# taz.de -- Gedenken an Alfred Edel: Von manischer Beredsamkeit | |
> Alfred Edel war die wohl kurioseste Gestalt des Neuen Deutschen Films: | |
> ein schlechter Schauspieler und ein guter Selbstdarsteller. Heute wäre | |
> sein 80. Geburtstag gewesen. | |
Bild: Alfred Edel, der Meister der typisierenden Überzeichnung, hier im Film "… | |
Der Schauspieler Alfred Edel war ein Ausnahmetalent. In mehr als 100 | |
Produktionen wirkte der gebürtige Bayer mit, wurde zum Markenzeichen des | |
Neuen Deutschen Films. Dabei war Schauspielern nicht seine Sache. | |
Grobschlächtig, mit unmodulierter Stimme und stoischem Gesichtsausdruck, | |
unfähig sich an Textvorgaben zu halten, redete er sich in Raserei und so | |
blieb für Edel nur eine Rolle: Alfred Edel selbst. Die beherrschte er | |
meisterhaft. | |
1966 spielte Edel in Alexander Kluges „Abschied von gestern“ einen | |
manischen wissenschaftlichen Mitarbeiter. Einen, wie Edel selbst einer war, | |
seit etlichen Jahren im Studium der Soziologie, Philosophie, Geschichte und | |
Theaterwissenschaften gefangen. „Kennen Sie mich vielleicht?“, fragt Alfred | |
Edel selbstverliebt die überforderte Studentin. Ohne mit der Wimper zu | |
zucken doziert er dann weiter über Probleme der Weber’schen | |
Herrschaftslehre. | |
Mit diesem Debüt war Edel zur festen Größe der frühen Produktionen von | |
Werner Herzog, Hans-Jürgen Syberberg, Edgar Reitz und Hans W. Geißendörfer | |
geworden. In seiner zerstörerischen Rede bügelte der Darsteller den | |
kleinsten Widerstand nieder, widersprach sogar noch dort, wo das Gegenüber | |
bereits resigniert schwieg. Edel sprengte die angelegten Rollen und füllte | |
sie mit Edel. Er trat selbstherrlich auf, mit unbeweglichem | |
Dorftrottel-Gesicht, rollendem „r“, einer eigenen Mundart zwischen nasalem | |
Bayrisch und schiefem Frankfurterisch. Feinmotorik ging ihm völlig ab, | |
ständig steckte er in absurden Kostümen. Und immer war er hinreißend. | |
Als Arnold Hau führte Edel in den 60ern in der „Hau Schau“ durch | |
Filmmontagen von Arend Agthe, Bernd Eilert, Robert Gernhardt und F. K. | |
Waechter, als seien es die eigenen: Er tritt als Teufelsgeiger in hautengem | |
Overall auf oder erklärt in „Wie Harald Worch nur ein stümperhaftes | |
Hosianna“ zustande brachte den Zoom. 1981 entstand „Das Cassanova-Projekt�… | |
Die Hauptrolle hatten ihm Waechter und Co. auf den Leib geschrieben, ein | |
Klassiker. | |
## Schlingensief trieb ihn in die manische Beredsamkeit | |
Einmal setzt Edel dem verzweifelten Regisseur die Treppen-Szene aus | |
„Panzerkreuzer Potemkin“ auseinander: Die Hafentreppe von Odessa („Die | |
Treppe war eng, niedrig, winklig“), das verängstigte Kind („Ein Teddy saß | |
im Kinderwagen“) und die Entstehungsgeschichte, den Matrosenaufstand, | |
ausgelöst durch madiges Fleisch („Aus dem Kinderwagen fiel ein großer | |
Klumpen Fleisch“). | |
In den 80ern bekam Edels Spiel eine neue Qualität. In „Menü total“ | |
(1985/1986) trieb der junge Schlingensief ihn über den Text, über die | |
manische Beredsamkeit hinaus, die bis dahin Edels einziger Ausdruck gewesen | |
war. „Edel gab dumpfe krächzende Artikulationen von sich und stürzte sich | |
in ein totales Spiel“, schreibt Dietrich Kuhlbrodt. Edel wurde hemmungslos. | |
Kuhlbrodt war begeistert. Und er war es, der Edel den Finger in den Hals | |
steckte, damit der das „Menü total“ herauskotzte. | |
Edel praktizierte eine bestechende Form der Logik. Sein größtes Talent war | |
es, komplizierte Sachverhalte in wenigen unterhaltsamen Sätzen | |
herauszubringen. Als spräche er über sein Frühstücksei. Auf komplizierte | |
Weise wurde aus seinem Mund alles ganz schlicht. Und so zog er auch in | |
seiner Freizeit in heiligem Ernst dozierend die Frankfurter Fressgass | |
entlang. Die irritierten ZuhörerInnen ließ er dabei – genau wie in seinen | |
filmischen Darstellungen – im Unklaren darüber, ob er meinte, was er da | |
sagte. Mit seinen Rollen aber war es ihm vollkommen ernst. Als bloßer | |
Humor-Darsteller nämlich sah er sich nicht. | |
Heute wäre Alfred Edel 80 Jahre alt geworden. Er verstarb 1993. | |
12 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Sonja Vogel | |
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