| # taz.de -- Kinofilm über Flucht: Mannheim Paradeplatz | |
| > Zwischen Ghana und Deutschland: Mit seinem Debütfilm „Borga“ schließt | |
| > York-Fabian Raabe eine klaffende Lücke im Migrationskino. | |
| Bild: Auf der Suche: Kojo (Eugene Boateng) in „Borga“ | |
| Zwei Jungen machen ein Feuer aus Kabeln und Plastikabdeckungen. Der | |
| aufsteigende giftig-gelbe Rauch vermischt sich mit dem der zahlreichen | |
| kleinen Wohlstandsscheiterhäufchen um sie herum. Wie die anderen Menschen | |
| auf der überdimensionalen Müllhalde verbrennen sie Schrott aus Europa – sie | |
| haben es auf das Metall im Inneren abgesehen, mit dem sie sich etwas | |
| dazuverdienen wollen. | |
| Einer von ihnen ist Kojo, der von seinem Vater (Adjetey Anang) prompt | |
| gerügt wird: Er solle gefälligst zur Schule gehen, damit ein erfolgreicher | |
| Mann aus ihm wird. Da es aber sein Bruder Kofi ist, der als nächstes | |
| Familienoberhaupt auserkoren wurde, plagt Kojo früh ein Gefühl von | |
| Verlorenheit. | |
| [1][Regisseur York-Fabian Raabe], der zusammen mit Toks Körner auch das | |
| Drehbuch zu „Borga“ verfasste, wählt für den Auftakt seines Debütfilms d… | |
| ghanaische Hauptstadt Accra als Handlungsort. Chronologisch erzählt er von | |
| den Minderwertigkeitsgefühlen, die die Perspektivlosigkeit schon in | |
| Kindertagen in den jungen Protagonisten pflanzt – und zu welchen kühnen | |
| Entscheidungen sie ihn antreiben, zu welchen halsbrecherischen Taten sie | |
| ihn anstacheln wird. | |
| Mit nach Mitleid haschendem Elendskino hat das Drama, das bei dem | |
| Nachwuchsfilmfestival Max Ophüls Preis unter anderem als bester Spiel- und | |
| gesellschaftlich relevanter Film ausgezeichnet wurde, allerdings wenig | |
| gemein. | |
| Vielmehr vermengen sich pralle Lebendigkeit mit tiefsitzender Bedrückung in | |
| vielen der Figuren. Bilder von Armutsbehausungen fängt die Kamera ebenso | |
| ein wie die natürliche Schönheit der westafrikanischen Drehorte. | |
| ## Ein Borga werden | |
| Als Kojo (jetzt gespielt von Eugene Boateng) etwa zehn Jahre später die | |
| Entscheidung trifft, nach Deutschland aufzubrechen, treibt ihn die Hoffnung | |
| auf eine glücklichere Existenz ebenso an wie der Wunsch, seiner Familie zu | |
| beweisen, dass er zu Größerem fähig ist. Er möchte ein „Borga“ werden, … | |
| zu einem jener Männer, die im Ausland zu Reichtum gelangen. | |
| Auf eine ausführliche Darstellung der Flucht selbst verzichtet Raabe. | |
| Stattdessen rückt er die Dichotomie von Aufbruchsort und Ziel seiner Flucht | |
| ins Zentrum. Im Laufe der etwas über 100-minütigen Spielzeit werden Accra | |
| und Mannheim mehrmals die Rollen tauschen. | |
| Mit diesem erzählerischen Fokus schließt „Borga“ eine klaffende Lücke im | |
| Migrationskino: Er zeigt ein mehrmaliges Hin und Zurück, anstatt Flucht – | |
| wie so oft – als eine in eine Richtung verlaufende Bewegung zu zeichnen, | |
| die mit Ankunft am Zielort abgeschlossen ist. Denn wie Kojo in Deutschland | |
| feststellen muss, gaben seine Vorbilder nur vor, zu Wohlstand gekommen zu | |
| sein. | |
| Bisweilen wirkt der Plot etwas konstruiert, wenn der Protagonist – nachdem | |
| er mangels Job-Aussichten auf der Straße gelandet ist – ausgerechnet damit | |
| beginnt, Elektroschrott zu sammeln, der nach Afrika geschickt werden soll. | |
| Gleichzeitig trifft der Film so eine eindrucksvolle Aussage über | |
| fortdauernde Perspektivlosigkeit. Es scheint so, als gebe es keinen Ort, an | |
| dem Kojo ihr entfliehen könnte. | |
| ## In der Abwärtsspirale | |
| Schlimmer noch: Durch die kriminellen Taten, zu denen er von vermeintlichen | |
| Borgas angestiftet wird, stürzt er nicht nur sich selbst, sondern auch | |
| weitere Landsmänner in die Abwärtsspirale. | |
| Ähnlich wie [2][Burhan Qurbanis] moderne Interpretation von Alfred Döblin | |
| erzählt auch Raabe letztlich eine universelle Geschichte eines Migranten, | |
| der trotz bester Absichten auf die schiefe Bahn gerät: Mannheim Paradeplatz | |
| statt Berlin Alexanderplatz, nüchterner Sozialrealismus statt kunstvolle | |
| Parabel. | |
| 27 Oct 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Arabella Wintermayr | |
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