# taz.de -- Filmfestival Viennale: Kurze Blüte | |
> Mit dem Cineasten Amos Vogel und der Regisseurin Sara Goméz ehrt das | |
> Filmfestival Viennale subversive Strategien. Andere Reihen aber | |
> enttäuschten. | |
Bild: Still aus Sara Goméz Film „De cierta manera“ | |
Amos Vogel war ein großer Cineast. Am 18. April 1921 in Wien als Sohn einer | |
1938 ins Exil gezwungenen jüdischen Familie geboren, gründete er in New | |
York zuerst seinen Filmclub Cinema 16 und dann auch das New York Film | |
Festival. In seiner Wahlheimat New York und im Berliner Arsenal laufen | |
dieses Jahr Retrospektiven zu seinem hundertsten Geburtstag. Bei den | |
Gratulanten selbstverständlich dabei ist auch seine Geburtsstadt Wien. Denn | |
das [1][Filmfestival Viennale] hat seine traditionell in Zusammenarbeit mit | |
dem Österreichischen Filmmuseum ausgerichtete große Retrospektive dieses | |
Jahr dem legendären Filmpublizisten, -sammler und -multiplikator gewidmet. | |
Amos Vogel legte seinen Fokus auf die Kontextualisierung der einzelnen | |
Filme durch gezielte „Programmarbeit“. Damit war er auch ein Pionier der | |
Tätigkeit, die in den letzten Jahren unter der aus den bildenden Künsten | |
immigrierten Bezeichnung des Kuratierens eine Aufwertung erfuhr. So passt | |
es, dass die Schau der Viennale im Unterschied zu den Retros in New York | |
oder Berlin nicht historische Programme des Cinema 16 nachspielt, sondern | |
sechs Kurator*innen aus verschiedenen Orten der Welt nach Wien einlud, | |
einen neuen, durch die persönliche kuratorische Praxis fokussierten Blick | |
auf Vogels Schaffen zu wagen. | |
Dabei war die einzige Vorgabe, sich inhaltlich mit den Begriffen | |
„Subversion“ und „Kunst“ auseinanderzusetzen, die Vogel in seiner Studie | |
„Film As as A Subversive Art“ programmatisch setzte. Sie war 1974 erstmals | |
erschienen und prägte mit ihren politischen und ästhetischen Einschätzungen | |
Filmemacher*innen und Publizist*innen bis heute. In jeweils drei | |
Filmprogrammen zeigen Nicole Brenez, Go Hirasawa, Kim Knowles, Birgit | |
Kohler, Roger Koza und Nour Ouayda dabei zwar durchaus unterschiedliche | |
Ansätze, aber auch deutliche Schnittmengen etwa in der Thematisierung von | |
Körperlichkeit und eines antianthropozentrischen Umgangs mit der Natur. | |
## Als Kubas Kino aufbrach | |
Als subversiv im damaligen historischen wie im heutigen Kontext lässt sich | |
auch der einzige lange Film der schon während der Postproduktion ihres | |
Films verstorbenen Schwarzen kubanischen Regisseurin Sara Goméz verstehen, | |
der mit einigen Kurzfilmen aus ihrer Hand in einer digital restaurierten | |
Fassung im Metro-Kino präsentiert wurde. „De cierta manera“ entstand Mitte | |
der 1970er Jahre, als das kubanische Filminstitut ICAIC noch die Idee eines | |
auch formal neuen revolutionären Kinos propagierte und so eine (leider viel | |
zu kurze) Blüte innovativer Filmkunst brachte. | |
Goméz’ Film erzählt vordergründig von der schwierigen Liebesbeziehung | |
zwischen einer Lehrerin und einem Arbeiter, liefert aber rund um diese | |
romantische Erzählung mit einer breiten Vielfalt dokumentarischer Einblicke | |
in verschiedene Sektoren der kubanischen Gesellschaft auch eine weit | |
aufgefächerte essayistische Auseinandersetzung mit Fragen von sozialer | |
Ungleichheit, Machismo und Rassismus aus dem postrevolutionären Kuba, der | |
heute noch erschreckend aktuell scheint. | |
Nach einer ausgedünnten Corona-Variante letztes Jahr waren Programm und | |
Kinosäle heuer wieder (selbstverständlich mit den üblichen | |
Hygiene-Vorkehrungen) gut gefüllt. Erwähnt werden muss, dass es den | |
Großteil des einheimischen Publikums vor allem in die vielen Nachspiele | |
internationaler Festivalerfolge zog. | |
## Vereinte Männermacht | |
Doch gerade in den ambitionierteren Teilen des Programms hatte Sara Goméz’ | |
(gemeinsam mit den eingeladenen Filmemacherinnen und Kuratorinnen) aus | |
heutiger Sicht durchaus feministisch aufgeladener Blick auch die gewichtige | |
Verantwortung, vereinter Männermacht entgegenzutreten. | |
Denn die diesjährige Viennale zeigte auch wieder einmal, dass eine Frau in | |
der Festivalleitung nicht unbedingt [2][fortschrittliche Gender-Politik] | |
bedeuten muss. Wer sich (nach dem plötzlichen Tod des langjährigen | |
Viennale-Leiters Hans Hurch 2017) mit der Installierung von Eva Sangiorgi | |
als neuer künstlerischen Leiterin Hoffnungen auf mehr Vielfalt und | |
Frauenpower beim Festival gemacht hatte, dürfte nun nach drei Jahren | |
gründlich desillusioniert sein. | |
So gibt es dieses Jahr (neben der Retro) eine klaffende und merkwürdige | |
Leerstelle gerade bei den immer besonders inspirierenden thematisch und | |
nicht personell orientierten Reihen. Und von denen sind – außer den zwei | |
Programmen mit Filmen von Sarah Goméz – alle anderen männlichen Künstlern | |
gewidmet. So würdigten Monografien den britischen Regisseur [3][Terence | |
Davies] und den aus Lemberg über Wien nach Berlin gekommenen Schauspieler, | |
Autor und Regisseur Henrik Galeen, der unter anderem die Drehbücher für | |
„Nosferatu“ und „Das Wachsfigurenkabinett“ verfasste. | |
Eine „Kinematografie“ präsentierte auch das Werk des italienischen | |
Filmemachers [4][Fabrizio Ferraro], einem gerne improvisierenden Freejazzer | |
des künstlerischen Films, der von sich selbst in einem Interview sagte, er | |
wolle ein Kino machen, „das ständig Fragen stellen will, aber keine | |
Antworten liefert, immer neue Fragen aufwirft und neue Perspektiven | |
eröffnet“. | |
Das klingt so spannend wie ambitioniert, ist aber umso schwerer einzulösen. | |
Und wenn Ferraro in seinem jüngsten Film „La veduta luminosa“ einen | |
alternden italienischen Regisseur mit einer jungen Assistentin auf der | |
Suche nach Inspiration für einen Hölderlin-Film als dessen Alter Ego durch | |
diverse Landschaften gen Tübingen ziehen (und dabei in einer bizarren | |
Mischung aus Englisch und Italienisch dessen Verse zitieren) lässt, wirkt | |
das leider nur wie eine prätentiös aufgeplusterte und unfreiwillig komische | |
Straub/Huillet-Epigonie. | |
1 Nov 2021 | |
## LINKS | |
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[3] /Film-The-Deep-Blue-Sea/!5083144 | |
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## AUTOREN | |
Silvia Hallensleben | |
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