# taz.de -- Unabhängiger Plattenladen „Optimal“: Wichtigster Ort von Wahnm… | |
> Der Plattenladen „Optimal“ ist eine Münchener Institution. Zum Anlass | |
> seines 40-jährigen Bestehens wird gefeiert. Hier kommt die fällige | |
> Huldigung. | |
Bild: München leuchtet ganz hell. Auch dank des Schallplattenladens Optimal | |
„Eigentlich ist es ein Wunder, dass es uns als Laden noch gibt“, sagt Peter | |
Wacha, genannt Upstart, und er hat recht. Das „Optimal“ ist wahrscheinlich | |
einer der ältesten unabhängigen Plattenläden Deutschlands, womöglich sogar | |
in ganz Europa. Wer ihn heute an seinem inzwischen dritten Standort in der | |
Münchner Kolosseumstraße besucht, fragt sich, wie sich so ein Laden, den | |
man eher in Berlin-Kreuzberg erwarten würde, ausgerechnet an einem der | |
mittlerweile teuersten Immobilienplätze Europas 40 Jahre lang hat halten | |
können. | |
Seine Anfänge machte Upstart 1980 im „Lipstick“, [1][einer der ersten | |
Punkkneipen] in München, wo er auch als DJ auflegte und selbst | |
7-Zoll-Singles im Bauchladen verkaufte. Er verteilte dazu fotokopierte | |
Zettel und Interessenten konnten bei ihm Punk- und Reggaeplatten bestellen, | |
die sonst nirgendwo in München zu haben waren. | |
Zu jener Zeit galt die 7inch, also das, was landläufig „Single“ genannt | |
wurde, als Goldstandard der Musikindustrie. Die Albumcharts waren wichtig, | |
aber die Singlecharts setzten die Trends und sorgten für massenhafte | |
Verkäufe. Es war das einzige Medium, auf dem Musik schnell und mit 6 DM | |
halbwegs preiswert verfügbar war. | |
## Mit Dreieinhalb Mille zu Rough Trade | |
Selbst wenn man die Zeit erlebt hat, vergisst man leicht, wie schwierig es | |
war, an die Musik zu kommen, die einen interessierte. Das machte Platten zu | |
Kostbarkeiten. Upstart kratzte sein ganzes Geld zusammen, 3.500 Mark, und | |
flog nach London, um bei Rough Trade, einem unabhängigen Musikvertrieb und | |
Plattenladen, einzukaufen. Gerade in diesem Moment erlebte Rough Trade | |
einen spektakulären Erfolg: „Ghost Town“, eine Single der Skaband [2][The | |
Specials], kletterte auf Platz eins der britischen Charts. | |
Ein kleiner, unabhängiger Vertrieb brach in einen Musikmarkt ein, den bis | |
dahin die Majorlabels der Musikindustrie unter sich aufteilten. Upstart | |
investierte alles, was er hatte, in unabhängige Platten und ließ sie nach | |
München liefern. | |
1982 eröffnete Upstart, damals gerade zwanzigjährig, zusammen mit Peter | |
Blaha den Plattenladen „Optimal“, um die Ecke vom heutigen Standort, in der | |
Hans-Sachs-Straße. Das erste Domizil war ein ehemaliger Friseursalon, neben | |
einem Milchgeschäft. Damals war das Glockenbachviertel das, was man in | |
München „Glasscherbenviertel“ nannte. Einfache Leute, die ihre Wohnungen in | |
schlichten Altbauten mit Kohle und Holzöfen beheizten. | |
## Platz für alle | |
Kleine Läden für das Alltägliche, mittendrin das Gelände einer | |
Maschinenbaufirma. Dazu einige Gaststätten, in denen nicht viel los war. | |
Den „Turnvater Jahn“ zum Beispiel, mit Kegelbahn. Daneben gab es aber noch | |
andere Szenen, die dieses Viertel für sich entdeckten. In der Müllerstraße, | |
Hans-Sachs-Straße, Pestalozzistraße, vor der Sperrbezirkregelung auch in | |
der Sendlinger Straße und ihren Nebenstraßen gab es schon seit den 1920ern | |
Rotlichtkneipen und Animierbars und seit den sechziger Jahren auch die | |
ersten Schwulenlokale. | |
Die „Deutsche Eiche“, in der Fassbinder zu Gast war, der „Ochsengarten“, | |
den Freddie Mercury in seiner Münchener Zeit besuchte, und das verruchte | |
„Pimpernel“. Anfang der 1980er öffnete aber auch das „Baader-Café“ un… | |
[3][„Tanzlokal Größenwahn“], in der sich die Münchner Punk- und | |
New-Wave-Szene traf, wenig mehr als ein paar hundert Leute. | |
Für sie wurde auch das „Optimal“ zum Treffpunkt, an dem nicht nur Platten | |
verkauft, sondern auch abgehangen wurde. Nach zweieinhalb Jahren genügte es | |
dem Vermieter und er kündigte. Das „Optimal“ zog um in die Kolosseumstraße | |
in einen tristen Zweckbau aus den sechziger Jahren. Den burlesken Namen hat | |
die Straße von dem Gebäude, das einst dort stand, einem Vergnügungspalast, | |
in dem unter anderem auch Karl Valentin auftrat. | |
## Im Tanzlokal Größenwahn | |
Upstart unternahm vom „Optimal“ aus bald auch andere Aktivitäten. Er legte | |
unter anderem im „Tanzlokal Größenwahn“ auf. DJs waren zu dieser Zeit vor | |
allem gefragt, weil sie Neuheiten spielten, die man im Radio nicht hören | |
konnte. Mitte der achtziger Jahre gründete er das Indie-Label „Sub Up | |
Records“, auf dem Platten von FSK, [4][Merricks], Dub Invaders, Die | |
Goldenen Zitronen erschienen. | |
Anfang der 1990er folgte mit „Disko B“ das Dancefloor-Department von „Sub | |
Up“, wo zum Beispiel DJ Hell veröffentlicht, und, für die Artschoolband | |
Chicks on Speed ein eigenes Label gleichen Namens gestartet wurde. | |
Zugleich veranstaltete Upstart mit den [5][„Ultraworld Parties“] in München | |
mit die ersten Raves, aus denen dann der Club Ultraschall hervorging, zu | |
seiner Zeit einer der aufregendsten Technoclubs Europas. Seit 2005 betreibt | |
Upstart die „Rote Sonne“, bis heute ein Tummelplatz der elektronischen | |
Musikszene. | |
Alles das machte der Kleinunternehmer nie alleine, sondern immer zusammen | |
mit einem Netzwerk von Leuten in der unabhängigen Musikszene, das mit den | |
Jahren behutsam gewachsen ist. Es zeichnete sich ab, dass er im Laden | |
Unterstützung brauchte, und an dieser Stelle kam Christos Davidopoulos ins | |
Spiel. Er zog Ende der 1970er aus Griechenland nach München, vor allem, um | |
dem Militärdienst zu entgehen, und studierte in der bayerischen | |
Landeshauptstadt Physik. | |
## Chaosphysiker hinterm Tresen | |
Seine musikalische Neugier ließ Davidopoulos den Plattenladen „Optimal“ | |
bald finden, er wurde einer der ersten Stammkunden. 1987, als er von vor | |
dem Tresen hinter den Tresen wechselte, hatte er sein Studium zwar | |
abgeschlossen, wollte aber lieber im „Optimal“ arbeiten als bei Siemens | |
oder im Europäischen Patentamt. | |
Upstart ist ein Erfinder, Christos ist der Enzyklopädist, und beide sind, | |
jeweils auf ihre Weise, unendlich neugierig. Christos nicht allein auf dem | |
Gebiet Musik, sondern auch dem der Literatur. Von Anfang an waren im | |
„Optimal“ Fanzines und Musikbücher zu erwerben. | |
Am wichtigsten vielleicht Werke des US-Undergroundverlags RE/Search und | |
dessen gleichnamiges Magazin, aber natürlich auch vieles, was von den | |
Leuten, die schrieben und produzierten, direkt in den Laden gebracht und | |
verkauft wurde. Christos machte aus einem Bücherregal ein Juwel, es kann | |
sich messen mit den wichtigsten Buchhandlungen der Stadt. | |
## Alles außer Massenware | |
Man findet dort alles außer Massenware. Christos hatte nie vor, ein | |
herkömmliches Buchsortiment anzubieten. Lediglich Bücher sollte es geben, | |
die er entweder selbst gelesen hatte oder für interessant genug befand, | |
noch gelesen zu werden. Wer die Gesamtausgabe von Wolfgang Pohrt kaufen | |
will, findet sie hier genauso wie das zehnbändige „Ein Tanz zur Musik der | |
Zeit“ von Anthony Powell. | |
In der Mitte des Tisches steht eine Hall-of-Fame-Kiste mit Werken von | |
Thomas Meinecke, Rainald Goetz, Andreas Neumeister, [6][Franz Dobler] und | |
anderen. Sie alle waren und sind Kunden im „Optimal“ und halfen Christos | |
anfangs, mit ihren Verlagskontakten nach und nach ein Sortiment aufzubauen. | |
Heute stellt Chrstos aus den Programmen der spannendsten unabhängigen | |
Verlage eine unverwechselbare Auswahl zusammen. Alles Interessante an | |
aktueller Theorie, aber auch die besten Klassikerausgaben stehen in den | |
Regalen, selbstverständlich auch eine originalsprachliche Auswahl | |
griechischer Literatur. | |
## Irres You-Tube-Format | |
Während der Corona-Zeit hat Christos mit „Home Order Television“ zudem ein | |
unterhaltsames Youtube-Format erfunden, das sich mit inzwischen [7][79 | |
Folgen] nach wie vor rasender Beliebtheit erfreut. Darin stellt er | |
lakonisch und zugleich sehr persönlich neue Alben aus dem Musiksortiment | |
vor und spielt sie ausführlich an. Es sei allen empfohlen, die sich einen | |
Eindruck verschaffen wollen, wie weit der musikalische Horizont des | |
„Optimal“ gespannt ist. | |
Wenn Upstart und Christos Davidopoulos über die vergangenen 40 Jahre in | |
München sprechen, klingt es nie sentimental. Die Geschichte des „Optimal“ | |
ist selbstverständlich auch die Geschichte einer lokalen Musikszene in | |
unzähligen Anekdoten, zum Beispiel, wie US-Künstler Thurston Moore einmal | |
im Laden ein Bootleg vom Münchener Konzert seiner eigenen Band Sonic Youth | |
kaufen wollte und den Tonträger dann von Christos geschenkt bekam. | |
Letztendlich kann der Plattenladen bestehen, weil er von Enthusiasten | |
betrieben wird, die über das Geschäftliche hinaus denken. „Schallplatten | |
Optimal“ ist ein Monument unabhängiger künstlerischer Ideen, musikalisch, | |
literarisch und politisch. Hoffentlich noch sehr lange. | |
1 Dec 2022 | |
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[5] /Ausstellung-im-Stadtmuseum-Muenchen/!5803937 | |
[6] /Nach-dem-Tod-des-Filmemachers/!5829373 | |
[7] https://www.youtube.com/@optimalrecords3056 | |
## AUTOREN | |
Georg Oswald | |
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