# taz.de -- Plattenladenbesitzerin über Lockdown: „Nicht müde, wenn ich zu … | |
> Die Hamburger Plattenladenbetreiberin Marga Glanz spricht über schlechte | |
> Umsätze zu Pandemiezeiten, fehlende soziale Treffpunkte und hohe Margen | |
> auf Vinyl. | |
Bild: „Aber einige Majors halten Vinyl-Käufer für Idioten, denen man alles … | |
taz: Marga Glanz, wie wichtig ist Ihr Hamburger Plattenladen Groove City in | |
Krisenzeiten? | |
Marga Glanz: Wir brauchen Plattenläden dringender denn je! Als ich Groove | |
City 2005 übernommen habe, dachte ich, dass ich mit meinen Kunden alt | |
werden und irgendwann gemeinsam mit ihnen in Rente gehen würde. Aber: | |
Inzwischen kommen viele junge Leute, die Vinyl für sich entdecken. Warum | |
sie das tun, weiß ich nicht genau – sie sind ja nicht mit Tonträgern | |
aufgewachsen. Aber es gibt trotz freier Verfügbarkeit von Musik im Netz ein | |
Bedürfnis, sich an haptischen Dingen festzuhalten. Gerade auch jetzt. Eine | |
Plattensammlung ist wie ein Tagebuch. Wenn ich meine alten Platten | |
anschaue, weiß ich, wann ich sie gekauft habe und wie es mir damals ging. | |
Wie sehr trifft Sie als Plattenhändlerin nun die Coronapandemie? | |
Ich bin krisenerprobt. Groove City habe ich in der größten Krise der | |
Musikindustrie übernommen, als HipHop-DJs, die vorher alles dreimal gekauft | |
haben, auf einmal nichts mehr gekauft haben. Und es ging dennoch. | |
Wie ist es Ihnen im ersten Lockdown ergangen und wie gehen Sie nun mit der | |
erneuten Schließung um? | |
[1][Das Frühjahr war nicht leicht]. Aber die Online-Musikdatenbank | |
discogs.com war damals eine große Hilfe. Vorher hatten wir dort nur Sachen | |
verkauft, die wir übrig hatten. Seit Ende März haben wir dort jeden Tag | |
zehn Stunden Alben eingestellt. Die Leute haben aus Solidarität sehr viel | |
gekauft. Wir haben in Länder mit noch härterem Lockdown verschickt, nach | |
Frankreich, Belgien und Italien. Das hat uns gerettet, und das rettet uns | |
noch immer. | |
Wird in Zeiten der Pandemie andere Musik gekauft? | |
Viele Alben, die eher in Bars aufgelegt werden, sind seit Monaten nicht | |
mehr angefasst worden. Wir haben die jetzt in andere Kisten geschmuggelt, | |
damit sie noch durchgeblättert werden: etwas verquerere Musik, aber auch | |
Singles. Da fehlen die Multiplikatoren, denen man solche Werke in die Hand | |
drückt, damit sie in die Bars und Clubs getragen werden. Und so die | |
nächsten Käufer*innen anlocken. | |
Bislang gab es schlechte Umsätze vor allem an Regen- und sehr heißen Tagen. | |
Und jetzt … | |
… sind alle Tage schlechte Umsatztage. Und freudlose dazu. Wir machen | |
normalerweise fast jede Woche eine Veranstaltung. Groove City ist auch ein | |
sozialer Ort. Die Vorstellung, dass wir noch Monate geschlossen bleiben | |
müssen, ist schwer auszuhalten. | |
Viele Veranstaltungen, gerade mit türkischer Musik der 1960er und 1970er, | |
wurden von Ihrem Kollegen Sebastian Reier organisiert, der nun als | |
Musikdramaturg an die Münchner Kammerspiele gewechselt ist. | |
Ich vermisse ihn, auch weil er so viel angestoßen hat. Durch Sebastian | |
haben sich Menschen mit der Musik ihrer Eltern auseinandergesetzt. Sie | |
haben sich gesagt: Die Alten mögen konservativ sein, aber sie haben | |
wirklich progressive Musik gehört. Sebastian hat da Pionierarbeit | |
geleistet. | |
Auch Sie sind für Ihre Expertise in den Genres Soul, Funk, Jazz und HipHop | |
bekannt. | |
Groove City versteht sich als Anlaufpunkt für Leute mit weltoffenem | |
Geschmack. Angenommen, jemand beginnt duch Sebastian Reier türkische Musik | |
zu entdecken, kann er bei uns noch eine Menge mehr finden. Wir selbst | |
entdecken auch ständig Neues. Die Leute vertrauen uns und [2][nehmen | |
Empfehlungen mit]. | |
Was finden Sie gerade gut? | |
Wir sind große Fans des Soulsängers Kelly Finnigan, der war unser | |
Bestseller 2020. Sein Vertrieb sagte uns, dass wir allein mehr Vinyl von | |
ihm verkauft hätten als alle anderen Plattenläden Deutschlands zusammen. | |
Warum ist Vinyl so teuer? | |
Wir haben eine Marge wie im Buchhandel und schlagen etwa 30 bis 40 Prozent | |
drauf. Ich kotze, wenn ich sehe, wie viel die Platten im Einkauf kosten. Es | |
macht keinen Spaß, den Leuten 30 Euro abknüpfen zu müssen. Viele | |
Majorlabels nerven mich. Die schicken winzige Pakete, und am Monatsende | |
soll ich tausende Euro dafür zahlen? Es gibt Firmen, die es sehr wohl | |
preiswerter schaffen: Habibi Funk und Jakarta Records zum Beispiel. Aber | |
einige Majors halten Vinyl-Käufer für Idioten, denen man alles unterjubeln | |
kann. | |
Wer ist aus Sicht der Musikliebhaberin schlimmer: Amazon oder Spotify? | |
Beide sind Krisengewinnler, und ich finde beide zum Göbeln. Ich hätte | |
überhaupt nichts dagegen, wenn [3][Spotify] den Musiker*innen mehr Geld | |
geben würde und wenn Amazon anständig Steuern zahlen würde. Aber so wie es | |
jetzt ist – das geht gar nicht. | |
Was passiert mit dem Musikgeschäft 2021? | |
Ich habe Angst, dass viele Läden es nicht schaffen werden. Oft liegt in | |
Hamburg das Augenmerk auf Schlagermove und Musical. Glücklicherweise haben | |
wir mit Carsten Brosda nun einen Kultursenator, der Clubs wie dem Knust | |
hilft. Und er weiß: Solche Orte sind nicht nur Beiwerk. Wenn es die nicht | |
mehr gibt und auch die kleinen Läden wie meinen nicht mehr – warum sollte | |
dann noch jemand nach Hamburg kommen wollen? | |
Was stimmt Sie optimistisch? | |
Wie sehr die Menschen die Welt von Clubs und Kneipen vermissen. Am Tresen | |
stehen und Quatsch labern! Tanzen! Ich merke: Ich bin oft gar nicht müde, | |
wenn ich ins Bett gehe. Mein Gehirn braucht auch Kino und Theater. Ich sehe | |
und höre schon gar nicht mehr richtig. Wir sind soziale Wesen, wir brauchen | |
einander. Wir müssen uns treffen, diskutieren, streiten, umarmen. Das | |
fehlt. | |
21 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Jan Paersch | |
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