# taz.de -- Einzelhändler über Corona-Krise: „Schwindende Überlebenschance… | |
> Georg Odijk und Frank Dommert vom Kölner Plattenladen A-Musik über | |
> Auswirkungen des Coronavirus aufs Geschäft und staatliche Hilfen in | |
> Krisenzeiten. | |
Bild: Flaute: Georg Odijk und Frank Dommert im A-Musik Laden in Köln | |
Wer tagsüber durch die Kölner Innenstadt geht, weiß, dass die Hohe Straße | |
und Schildergasse auf Platz fünf und zwei der meistfrequentierten | |
Einkaufsstraßen Deutschlands liegen. Nun sieht es anders aus. Vereinzelte | |
Gruppen schleichen durch die City, kaum ein Laden hat geöffnet. Noch | |
verlassener sieht es im angrenzenden Griechenviertel aus. Es ist | |
menschenleer. Hier hat der international bekannte Plattenladen A-Musik | |
seinen Sitz. | |
Sowohl KölnerInnen als auch Touristen schätzen das Sortiment, das auf | |
Kunst-Musik und Avantgarde (von Free-Jazz bis Doom) spezialisiert ist. | |
Angeschlossen ist ein Lager für das Label A-Musik, den Mailordervertrieb | |
und die Distribution verschiedenster Label. A-Musik existiert seit 1995, | |
und wird heute von Georg Odijk und Frank Dommert geleitet. Sie lassen ihren | |
Laden momentan geschlossen, eine Krisensituation, die sie mit vielen | |
renommierten Plattenläden wie [1][Optimal] in Münchnen und [2][Hanseplatte] | |
in Hamburg teilen. | |
taz: Der Laden hat zu. | |
Georg Odijk: Die Lage ist verwirrend. Die Kanzlerin sagt: Lasst die Läden | |
zu. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet sagt: Wir setzen das um. Aber | |
ganz klar ist es nicht, welcher Laden aufmachen darf und welcher nicht. Es | |
gibt kein Verständnis für das Zögern von unserer Seite. | |
Ist die Unklarheit eine zusätzliche Belastung gerade? | |
Odijk: Wir haben geschlossen. Isolation scheint momentan die einzige | |
Möglichkeit, den Virus einzudämmen. Hygienemaßnahmen wie Desinfektion sind | |
in einem Plattenladen faktisch nicht umzusetzen. | |
Was machen Sie dann jetzt im Laden? | |
Frank Dommert: Der [3][Mail-Order-Versand] läuft weiter; wir haben genug zu | |
tun. Wir machen das weitestgehend als Zwei-Mann-Betrieb; Aushilfen bleiben | |
jetzt zu Hause. | |
Wie ist die Nachfrage im Mail-Order? | |
Dommert: Die Nachfrage ist vergleichsweise schlapp. Dabei fahren DHL und | |
ähnliche Lieferdienste weiter Post aus. Es ist wichtig, dass dies bei den | |
Kund*innen ankommt. Für uns ist Mail-Order generell das zweite Standbein – | |
und dass es da weiterläuft, ist derzeit für unsere Existenz essenziell. Wir | |
legen unseren Schwerpunkt nun auf Bestellservice. Wir konzentrieren uns | |
jetzt auf die Einpflegung von Ware. | |
Haben sich Leute vorher ausgestattet mit Musik; oder scheinen auch Ihre | |
Kunden von der schnellen Entwicklung der Coronaseuche überrascht worden zu | |
sein? | |
Odijk: Wir sind ja selbst von der Entwicklung überrascht worden. Noch ist | |
es zu früh, um abschätzen zu können, ob und wie sich die Lage ändert. Die | |
Frage ist ja: Wollen die Leute trotzdem konsumieren oder behalten jetzt | |
alle ihre Reserven, weil niemand weiß, wie lange das dauert? | |
Ihr Kundenstamm wird zu einem höheren Prozentsatz aus kulturellen Prosumern | |
bestehen – also aus Freiberuflern. | |
Dommert: Für die lokale Kundschaft ist das so. Das werden wir merken, dass | |
bei allen die Aufträge, Konzerte ausbleiben. Über die nächsten Wochen auf | |
jeden Fall, vielleicht sogar länger. Ich mache auch die Veranstaltungsreihe | |
„Reihe M“ in Köln; wir mussten bereits zwei Abende absagen für April und | |
Mai. Man geht bei Konzerten meist in Vorleistung: Flüge, Hotel; da müssen | |
Veranstalter Vorsicht walten lassen. Zudem ist fraglich, ob die beiden | |
großen Festivals in Köln „c/o pop“ und „Acht-Brücken“ in naher Zukun… | |
überhaupt stattfinden können. Werden sie abgesagt, werden wir die | |
Entwicklungen im Laden unmittelbar spüren. | |
Wie hätte es denn normalerweise für Sie ausgesehen? Das Ostergeschäft fällt | |
weg, gibt es Rücklagen? | |
Dommert: (augenzwinkernd) Natürlich haben wir Rücklagen, wir haben einen | |
Plattenladen! Nein, Tatsache ist, dass der Record-Store-Day (RSD) für uns | |
erheblich höheren Umsätze garantiert hätte. Das ist im ganzen | |
Plattenladengeschäft so. Der RSD ist vorerst vom 18. April auf Juni | |
verschoben. Ob er dann stattfinden kann, wissen wir nicht. Das gleiche gilt | |
auch für unsere verlängerten Donnerstage einmal im Monat. Da haben wir | |
normalerweise Konzerte und verkaufen gut – für uns als Laden sind solche | |
Events wichtig. Das fällt alles weg. | |
Wie lange können Sie bei Vollschließung durchhalten? Reden wir da über | |
Wochen oder Monate? | |
Dommert: Wenn der Laden monatelang geschlossen bleibt, müssen wir uns | |
ernsthaft eine Alternative überlegen. Dann wackelt das ganze Konzept. Da | |
geht es dann an die Substanz. | |
Odijk: Wenn man keinen großen Apparat oder viele Mitarbeiter hat, macht die | |
Miete den Großteil der Kosten aus. Bleibt der Laden zu, ist sie dann | |
eindeutig zu hoch. Das ist nicht zu stemmen. | |
Sie blicken auf 25 Jahre Knowhow im Musikgeschäft zurück: Wird das Gros der | |
Plattenläden den „Cut schaffen“, wenn länger geschlossen bleibt? | |
Dommert: Das geht schnell mit den Schließungen. Selbst das | |
Flohmarkt-Geschäft, für kleinere Läden im Sommer wichtige Einnahmequelle, | |
fällt weg. Dann schwinden die Überlebenschancen. | |
Sie haben gute internationale Kontakte. Wie sieht es in Übersee aus? | |
Dommert: Auch die Amis scheinen langsam ihre Läden zu schließen, andere | |
wichtige Märkte haben es schon vorgemacht. In Japan entspannt es sich | |
dagegen langsam wieder. Wir müssen das die nächsten Tage weiter eruieren, | |
wo es sich lohnt, gerade Platten zu verkaufen. | |
Es sind Maßnahmen wie Nothilfefonds aufgelegt worden. Sehen Sie darin | |
Chancen? Was würden Sie sich davon erhoffen? Steuererleichterungen, | |
zinsfreie Kredite, Mietamnestie? | |
Odijk: Umsatz- und Gewerbesteuer werden wir wohl stunden können. Das ist | |
beim Finanzamt möglich, so weit wir wissen. Versprochene Kredite könnten | |
hingegen kompliziert werden. Unsere Information ist, dass man jetzt | |
Jahresabschlüsse bereit haben muss, um Kredit zu bekommen. Das haben aus | |
unserem Metier vergleichsweise wenige. Unsere Forderungen sind ganz | |
konkret: Ausfallende Löhne für Selbstständige müssen übernommen werden vom | |
Staat. Es muss ein Pendant zum Kurzarbeitergeld geben. Und es muss von | |
staatlicher Seite eine Möglichkeit für die Verringerung der Ladenmiete | |
geben. Vielleicht mit einem Anreiz für die Vermieter: Wenn ihr jetzt den | |
Läden 80 Prozent der Miete erlasst, könnt ihr sie euch Ende Jahr beim Staat | |
zurückholen oder absetzen. Das ist enorm wichtig für uns und andere | |
Geschäftstreibende aus dem Kulturbereich. | |
20 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] http://www.optimal-records.de/ | |
[2] https://shop.hanseplatte.com/ | |
[3] https://www.a-musik.com/mailorder.html | |
## AUTOREN | |
Lars Fleischmann | |
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