# taz.de -- Meakusma-Festival in Eupen/Belgien: Hundsfett mit Rumbabeats | |
> Zeitgenössische Musik, Freejazz, Dancefloor und bildende Kunst: Das | |
> Festival Meakusma im belgischen Eupen schafft interessanteste | |
> Verbindungen. | |
Bild: Die rechte Hand von Mix Mup (Lorenz Lindner) beim Festival Meakusma | |
In der Dämmerung sind die Wiesen jenseits des Kulturzentrums im alten | |
Eupener Schlachthof bereits feucht vom Tau. Ein Pfad führt ins Unterholz, | |
zwei Positionslichter blinken auf, es geht einen Abhang hinunter, über | |
Reisig und Geröll hinweg gelangt man zu einer knorrigen Eiche: Mit diffusem | |
Licht angeleuchtet, wirkt sie mächtiger, als bei Tag betrachtet. Zwischen | |
Stamm und den Ästen sind Seile gespannt, darüber wurden Planen drapiert. | |
Man kann das belgische Duo [1][Abruit] (Lukas De Clerck und Dries Peeters) | |
nur hören. Einer der beiden Musiker im Baum spielt Bassklarinette, der | |
andere bedient diverse Percussions. Dazu schaukelt und knarrt das Gehölz im | |
Wind, es bleibt unklar, welche Sounds die Natur beisteuert, eine | |
Intervention mit Nachhall. | |
Das Festival Meakusma in der ostbelgischen Stadt Eupen hat ein Ohr für | |
Überraschungen dieser Art. Es bringt zwanglos E-Musik mit Freejazz, | |
Elektronik und den örtlichen Gegebenheiten in Einklang, und die Leute | |
kommen dafür aus Brüssel, Amsterdam, Köln, Frankreich und England. Dass | |
hier Nischenmusik in der Ortsmitte spielt, das Festivalprogramm der | |
Lokalzeitung beiliegt und bildende Kunst mit Dancefloor fusioniert, passt | |
zu dem unaufgeregten, sehr geschmackvoll ausgewählten Konzept. | |
Als es am Freitagabend gegen 18 Uhr im ehemaligen Kühlraum losgeht, taucht | |
man sofort ein in den Ozean der Sounds, die Zuschauer sitzen und stehen | |
direkt vor den KünstlerInnen. Es spielt das litauische Duo [2][Ugne & | |
Maria] (Ugne Vyliaudaite und Marija Rasa Kudabaite). Die beiden jungen | |
Frauen steuern auf ihren Sequenzern Keyboardtöne an und lassen sie klingen, | |
als würden sie sie gerade zum ersten Mal ausprobieren, relaxt und | |
verschroben zugleich, manchmal unterstützt von Kudabaites Geige, wabern | |
hier Klänge auf, haarscharf an retro vorbei, aber durchaus an die große | |
alte osteuropäische Zeichentrick-Musik und Progrock-Tradition gemahnend. | |
## Platonische Schatten | |
Zeitgenössische Performance kommt im Museum für zeitgenössische Kunst IKOB | |
(das neben einen Solarium untergebracht ist) zur Aufführung. Das Lütticher | |
Projekt „The Edge of Memories“, bestehend aus [3][Lynn Cassiers], Sylvaine | |
Hélary und Anne Palomérès, mischt eine „poetische Soundmasse“, verrät d… | |
Programm: Cassiers und Hélary mit Stimme, Elektronik und Querflöte kreieren | |
mit minimalen Mitteln Atmosphäre, Star des Trios ist die Lichtmischerin | |
Palomérès, die mit Schreibtischlampen um ihre Kolleginnen kreist und deren | |
Schatten an die Museumswände wirft. | |
So wandert die Musik im Raum umher, akzentuiert vom Licht, das mit | |
Farbschablonen mehrmals geändert wird. Die Britzel-Bratzel-Geräuschkulisse | |
ist dem leisen Gluckern eines Kühlschranks nicht unähnlich. Durch Cassiers | |
verfremdete Stimme, mit Echo auf eine Reise geschickt, wähnt man sich in | |
den Hochmooren dieser Welt. | |
Besonders am Festival Meakusma ist, dass es nichts gibt, was von der Musik | |
ablenkt. Hier fährt auch niemand E-Scooter und lässt die Dinger in der | |
Gegend stehen. Es riecht nur ein bisschen nach dem Hundsfett der | |
„Frittuur“, die köstliche Pommes mit „Sauce Andaluus“ anbietet. Also r… | |
in den Raum, sich ein Sitzkissen schnappen und es sich gemütlich machen, zu | |
[4][Don the Tiger], dem Projekt des Spaniers Adrián de Alfonso. | |
## Fresken der Gitarre | |
Zusammen mit einem Drummer, der schlaftrunkene Rumbabeats anrührt, | |
versucht sich der Künstler aus Barcelona an einer Melange aus | |
schwelgerischen, an Gitarristen wie Rowland S. Howard gemahnenden | |
Rock-’n’-Rollriffs und dem Klagegesang des Flamenco. Nicht alle | |
Arrangements sind zu Ende gedacht, wenn sich die Schritttempo-Drums mit den | |
barocken Fresken der Gitarre verkoppeln, wird es aber gut. | |
Gegen Füßezucken hilft nur Tanzen, dafür sind die zielstrebigen | |
Keyboard-Stabs des Leipziger Produzenten [5][Mix Mup] (Lorenz Lindner) | |
ideal. Bei seinem luftig rudernden Sound muss man sich Leipzig als | |
balearische Insel denken. Die Meute wirft die Hände in die Luft. Das | |
Programm in der größten Halle, zusammengestellt vom Londoner DJ Ben UFO, | |
hat das zeitgenössische britische Dancefloor-Schaffen im Auge: Freitagnacht | |
zelebriert hier der Londoner [6][John T. Gast] die kommende | |
Post-Apokalypse. Im Stroboskop-Gewitter zuckend, stolpern hier Beats und | |
TänzerInnen gleichermaßen, während der Produzent im Trockeneisnebel schwer | |
auszumachen ist. | |
Viel hilft viel: Noch mehr Strobo-Einsatz und noch mehr Trockeneisschwaden | |
unterstreichen das düstere, wie aus einem J.-G.-Ballard-Roman in Lärm | |
übersetzte Klangbild. „Bruk“ wird dieser Sound in Großbritannien genannt, | |
irgendwas zwischen technischem K. o. und hartem Brexit. Kein Gesang, | |
keinerlei menschliche Regungen sind zu vernehmen, nur ausschweifende | |
Hallfahnen, Klopfgeräusche aus der Kanalisation, hinterhältig, nie straight | |
ausgespielt. In dieser Konsequenz beeindruckend. | |
## Tanzen im Regen | |
Etwas ermattet versammelt man sich am Samstagnachmittag im Hinterhof des | |
Kulturzentrums, wo das Soundsystem „54 Sound“ aus Brüssel seine DJ-Anlage | |
installiert hat. Der einsetzende Regen regt die Leute an, sie tanzen und | |
chillen unter einem Zeltdach und genehmigen sich das elektronische | |
Lagerfeuer des japanischen Schriftstellers und DJs Koki Emura ohne | |
Weiteres. Dessen Faden nimmt wiederum der Neuseeländer Jackson Bailey | |
(alias [7][Tapes]) auf, macht minutenlange Digidub-Build-ups mit skankenden | |
Beats und Bässen von tief unten, die er an die Oberfläche holt, sie | |
blubbern lässt. | |
Ihr Rauschen verbindet sich mit dem plätternden Regen zu einer dritten | |
Spur. Dass man sich hier auf dem Dancefloor zunickt, die Musik genießt und | |
die Natur machen lässt, hat hohen Erholungsfaktor. Als dann auch noch ein | |
Rave-Klassiker gedroppt wird, „[8][Ability II Pressure]“, den der Londoner | |
DJ mit dem Alias Klaus auflegte, wird es kurz besinnlich: Die subsonisch | |
wummernden Bässe sind auch noch in den Ardennen zu hören. | |
Aber nur kurz, denn Wendy Gondeln tragen keine Trauer. Wendy Gondeln, so | |
heißt das Projekt des bildenden Künstlers Albert Oehlen: Im guten bösen | |
alten Sinne geht es hier um Antimusik: Reklame für Kopfschmerzen. Seine | |
beiden Gäste Norbert Möslang und Luca Canzonetti fahren Samples ab und | |
generieren enervierende Pfeiftöne, vor der Bühne bearbeitet Oehlen eine | |
Geige mit dem Bogen, als würde er einen Laib Brot anschneiden. | |
Hohngelächter plärrt aus einem Lachsack, bis Oehlen das Rosshaar des | |
Geigenbogens aufgearbeitet hat. | |
## Dudelsack auf der Empore | |
Das Publikum lässt sich von der Irritation nicht beirren und trottet zur | |
spätbarocken Kirche St. Nikolaus, wo am Samstagabend das Konzert des | |
Japaners Takeshi Wada und der kalifornischen Künstlerin Julia Holter | |
stattfindet. Wada steht auf der Empore, spielt abwechselnd Dudelsack und | |
die Kirchenorgel, Holter, vor dem Altar an Gesang und Keyboard, versucht | |
die Drones des Japaners zu erwidern. Im Mittelgang ist ein Drummer, der dem | |
Interplay der beiden KollegInnen leider nicht immer folgen kann, so dass | |
die Musik in dieser an sich beeindruckenden Akustik manchmal verschleppt | |
klingt. | |
Am Ende ist man froh über [9][DJ Residue] (Kassem Mosse aus Leipzig), der | |
sein Set mitten im Raum, von Baustellenabsperrgittern begrenzt, aufgebaut | |
hat. Drumbeats hat er keine, alles, was zum Moven und Shaken benötigt wird, | |
erledigen Basstöne in verschiedenen Frequenzen. | |
Ähnlich sparsam geht das bulgarisch-deutsche Duo [10][Blurred Music] am | |
Sonntagmorgen im Museum ICOB zu Werke: Eine Violinistin und ein | |
Klarinettist variieren die Klangquellen ihrer Instrumente, lassen das | |
Pusten des Mundstücks Musik werden und die Wirbel der Violine, sanft | |
geklopft mit dem Bogen. Die beiden MusikerInnen gehen um das auf | |
Liegestühlen sitzende Publikum, spielen leise. Wie laut Stille wirken kann, | |
das war eine schöne Erkenntnis, an einem Wochenende mit intensiver Musik | |
jeder Couleur. | |
10 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://vimeo.com/293789612 | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=2v-nU4Z99Lg | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=EZ31Kenq4y0 | |
[4] https://www.youtube.com/watch?v=oNpTLaJQGEo | |
[5] https://www.youtube.com/watch?v=Rxnf_u9yBks | |
[6] https://www.youtube.com/watch?v=_Sgc-HQa90A | |
[7] https://www.youtube.com/watch?v=jcDMwZPUN5I | |
[8] https://www.youtube.com/watch?v=TBgztBW01jg | |
[9] https://www.youtube.com/watch?v=88bfceGMjnA | |
[10] https://www.youtube.com/watch?v=iU4ravZYs8o | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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