# taz.de -- Nachruf auf DJ Andrew Weatherall: Im anderen Orbit | |
> Der britische DJ Andrew Weatherall ist gestorben. Seine Mixe läuteten die | |
> Acid-House-Ära ein. Zudem machte er tolle Remixe für die Band Primal | |
> Scream. | |
Bild: Genialischer DJ: Andrew Weatherall (1963–2020) | |
„Style funktioniert jenseits der Zeit, Mode forciert nur den | |
Konkurrenzgedanken, damit kommt man nicht über die Gegenwart hinaus“, | |
bilanzierte Andrew Weatherall, da war der britische DJ schon jenseits der | |
50, sah aus wie ein Bauer in einem Van-Gogh-Gemälde, mit Rauschebart und in | |
Tweed gekleidet. Im Alter hörte Weatherall gerne Rockabilly. Sozialisiert | |
wurde er in den Siebzigern mit [1][Punk]. 1988 wurde er als DJ der Londoner | |
Acid-House-Clubnacht „Shoom“ berühmt. „Die Punters ravten zu ‚Kaw-Liga… | |
einem Song der [2][Residents], und der Trockeneisnebel war so dicht, dass | |
man die eigene Hand nicht vor Augen sah.“ | |
DJs waren damals prekär bezahlte Dienstleister, seine Leidenschaft | |
finanzierte Weatherall zunächst als Best Boy beim Film. Er gab ein Fanzine | |
raus, Boys Own, in dem es um Dancefloor, Mode und Fußball ging. Die | |
Alltagswelt der Londoner Mietskasernen wurde durch die Acidhouse-Explosion | |
erträglicher und Weatheralls unprätentiöses, kosmopolitisches Deejaying war | |
der Soundtrack. Schon als Teenager inspizierte er die B-Seiten von | |
Hitsingles, während die anderen zum Knutschen gingen, hörte er sich durch | |
das Pop-Universum und förderte auf seinen Expeditionen durch Plattenläden | |
obskurste Musik zutage. | |
[3][So ist das geblieben], auch später, als er zum gefeierten DJ und | |
Labelbetreiber wurde. „Durch die Suche nach Platten wird Musik totemisiert, | |
Fahndung und Reise werden selbst Teil der Sounds.“ Im dicksten Hype | |
bewahrte Weatherall Ruhe, klopfte für Remixe auf Mülleimerdeckel und holte | |
qua Eingebung das entscheidende Quäntchen aus einem gewöhnlichen Song. | |
## Fucking destroyed it | |
„We gonna have a good time and gonna get loaded“, mit diesem aus einem | |
Rockerfilm mit Peter Fonda gesampelten Dialogsatz begann Weatherall seine | |
Version von „Loaded“, einem Song der schottischen Band Primal Scream. Für | |
den Remix sattelte er einen Italohousebeat auf die Gitarrenspuren und | |
schickte die Musik in einen anderen Orbit. „Fucking destroyed it“, sagten | |
die Schotten über den Mix und engagierten Weatherall als Produzent für ihr | |
Album „Screamadelica“. Er gestaltete es zum torfigen, auch heute noch | |
beglückenden Der-Fänger-im-Roggen-’n’-Rave-Bestiarium aus. | |
Remixe für Björk und New Order folgten. Nicht nur Auftragswerke, auch | |
eigene Produktionen solo oder mit befreundeten Produzent:Innen unter Namen | |
wie Two Lone Swordsmen veröffentlichte Weatherall und überlebte rasch sich | |
wandelnde Poptrends durch seine antikarrieristische Haltung: Wenn es nicht | |
lief, verzog er sich ins Billardzimmer seines Lieblingspubs. Dort | |
befreundete er sich mit dem Romancier Michael Smith, begann die | |
[4][Psychogeografie] Londons flanierend zu erkunden. „Ich höre auf, wenn | |
keine Anrufe mehr kommen“, gestand Weatherall. Am Montag ist er 56-jährig | |
an den Folgen einer Lungenembolie gestorben. | |
18 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Wozu-es-Punk-gibt/!5322328 | |
[2] /Artrock-Legenden-The-Residents/!5565213 | |
[3] https://www.nts.live/shows/andrewweatherall/episodes/andrew-weatherall-30th… | |
[4] https://www.faber.co.uk/9780571230877-the-giro-playboy.html | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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