# taz.de -- Houseproduzentin Viola Klein: Aus Gründen der Wertschätzung | |
> Egalitär hören und feiern: Die Kölner Produzentin und Künstlerin Viola | |
> Klein macht elektronische Tanzmusik mit ethnografischer Genauigkeit. | |
Bild: Ethnografischer Blick zum House: Viola Klein | |
„Geboren bin ich 1973 in Frankfurt am Main, inmitten der früheren | |
US-Besatzungszone, und lebte als die jüngste von drei Schwestern um die | |
Ecke einer Army-Kaserne.“ Dies sind nicht etwa die ersten Zeilen eines | |
Romans, es ist der Versuch einer Selbstverortung der Kölner Künstlerin und | |
Musikerin Viola Klein. Pressetexte lesen sich meist formelhafter, mit dem | |
schaurigen Vermögen, noch die unpersönlichsten Idiome als zielgenaue | |
Einschätzungen zu verkaufen. | |
Davon ist die Auseinandersetzung mit dem nicht sonderlich enormen, dafür | |
umso dichteren Werk Viola Kleins weit entfernt. Ihre Diskografie fällt mit | |
fünf Maxisingles und einer Synthakkordkomposition für die Detroiter DJ | |
Whodat schmal aus. Daneben lassen sich bei der Recherche noch Beiträge für | |
Kunstausstellungen finden. | |
Kleins jüngstes Werk, veröffentlicht beim belgischen Label Meakusma, trägt | |
den Titel: „A Passport and a Visa Stamped by the Holy Ghost.“ Ihre | |
Herangehensweise an elektronische Tanzmusik unterscheidet sich fundamental | |
von den hypedurchsetzten Marktbewegungen der letzten Jahre. Während ein | |
Starkult um DJs allgegenwärtig ist, nimmt sich Klein als Person zurück. Bei | |
näherer Betrachtung sind strukturelle Zusammenhänge zu ihrer | |
Musiksozialisation erkennbar. „Meine Eltern organisierten Gruppenreisen für | |
Jugendliche. So hatte ich das Empfinden, eines unter 200 Kindern zu sein, | |
und nicht nur eine unter drei Schwestern.“ | |
Viola Klein hat eine klassische Ausbildung am Klavier absolviert; in der | |
Pubertät kam Jazz hinzu. Und Jazz ist bis heute wichtiger Bezugspunkt ihrer | |
Musik, obgleich diese im Feld von Dancefloorsound zu verorten ist. | |
Vorbilder sind die US-Produzenten Moodyman und Theo Parrish, beide haben | |
seit den Neunzigern eine selbstbestimmte und zugleich traditionsbewusste | |
Version von Techno und House geprägt, die der bankrotten Metropole Detroit | |
wieder Leben einhaucht. | |
Detroit House-Sound ist so gestaltet, dass auch der tanzbarste Track stets | |
auch als Jazzsong im Lehnstuhl zu genießen ist. Mit Marcellus Pittmann, der | |
regelmäßig mit den beiden genannten Kollegen kollaboriert, verbindet Klein | |
eine enge Freundschaft und einen regen musikalischen Austausch. | |
Und trotzdem kreiert die Kölnerin keine epigonale Musik. Häufig baut sie | |
kantige, manchmal sogar schroffe Beat-Loops, wie man sie aus dem HipHop | |
kennt. Ihre DNS wird meist durch Jazz bestimmt. Damit hebt sie den | |
maschinellen Funk von Techno auf eine neue, minimale und transzendente | |
Ebene. Minutenlang passiert oberflächlich betrachtet wenig, subkutan | |
schlummert aber genau in der wechselseitigen Beziehung des Loops vorher und | |
des Folgenden eine Spannung, die die Tracks zu zerreißen droht. Das konnte | |
man schon auf den Vorgänger-EPs erkennen und es wird auf [1][„A Passport | |
and a Visa Stamped by the Holy Ghost“] noch offensichtlicher: Jazz und | |
Minimal-Music sind in ihrer Beschreibung der Momente zwischen den Tönen | |
Geschwister im Geiste. | |
Die Leistung Viola Kleins besteht darin, das ephemere Gefüge an Sounds aus | |
verschiedenen Quellen zu einer eigenen Soundskulptur zu formen. So setzt | |
sie etwa Vocals des senegalesischen Kollegen Florent Kandety als auch der | |
US-Sängerin [2][Georgia Anne Muldrow] ein, auf vorangegangen EPs kamen | |
Beats der Detroiter DJ Whodat und der Gesang eines Gospelchors zum Einsatz. | |
An dessen Aufnahmen in der [3][Unity Fellowship Church New York] hatte | |
Klein als Toningenieurin selbst mitgewirkt. Auf der Basis dieser Aufnahmen | |
entstand dann eine Skizze, die die Choraufnahmen mit Klavierchords | |
versetzt; Klein operiert nicht im Sinne bloßer Aneignung, sondern (wie auch | |
der Titel einer EP verrät) aus „Appreciation“ (Wertschätzung). | |
Der Austausch, der sich hier zeigt, und die Ablehnung von Geniekult führen | |
zurück zu den Urformen von Dancefloor-Kultur. „Als ich in New York war, | |
habe ich Ur-Orte der Clubkultur besucht und mir angeschaut, wie etwa David | |
Mancuso bei seinen Loft-Parties die Stimmung erzeugt hat.“ Mancusos | |
semiprivates Loft im New York der frühen Siebziger gilt als Blaupause des | |
modernen Clubs und Geburtsort des „Selbst-Seins“: Besucher sollten | |
losgelöst von der Außenwelt egalitär feiern. „Bei Mancuso ist ein | |
erweiterter Familienbegriff erkennbar, ein Schutzraum für alle Gäste“, | |
erklärt Klein. | |
Neben den gemeinschaftgenerierenden Begebenheiten lässt sich der Schutzraum | |
auch poetisch lesen. Walter Benjamin schreibt in „Über einige Motive bei | |
Baudelaire“ zum „Chock“, der die Menschen zu Anfang des letzten | |
Jahrhunderts traf. Hektik und Stress im Alltag der Großstadt verhinderten | |
die ungetrübte Rezeption von Poesie. Dem entgegen steht der Reizschutz, den | |
Benjamin im Kino, konkret in der Filmmontage verortet – an einem Ort also, | |
an dem die Menschen einen Umgang mit dem Chock erlernen können. Ein Update | |
dieser Gedanken findet sich in der Musik von Viola Klein: Die Welt hat sich | |
in den letzten Jahren gewandelt und die Folgen der Digitalisierung, und der | |
damit einhergehenden Beschleunigung unseres Lebens, begleiten uns analog zu | |
den Erfahrungen von vor 100 Jahren. Innerhalb der musikalisch affektiven | |
Erfahrungsräume, die uns der deepe Sound von Viola Klein bietet, können | |
HörerInnen und TänzerInnen sich der chockhaften Welt entziehen. | |
Viola Kleins Track „Chant“ bietet einen per WhatsApp-Audio-Nachricht | |
aufgenommenen A-capella-Gesang von [4][Florent Kandety]. In der Musik rückt | |
die Außenwelt enger zusammen. Der Sound taumelt in einen eigenen | |
Futurismus, der eine andere Welt erdenken lässt. Das ist dem | |
afrofuturistischen Projekt gar nicht so fern. Bei Klein liegen | |
Frankfurt/Köln, New York/Detroit und Dakar/Saint-Louis nah beieinander, ein | |
erweiterter Familienbegriff, der sich (wie eine gute Party) durch ein | |
Miteinander konstituiert und verdammt gute Musik kreiert. | |
17 Nov 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://soundcloud.com/meakusma/sets/mea027-viola-klein-a-passport-and-a-vi… | |
[2] https://soundcloud.com/meakusma/b1-can-you-listen-to-the?in=meakusma%2Fsets… | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=kyQSY3eH3Rs&t=0s&list=PLHNzr_dEl6YK… | |
[4] https://soundcloud.com/meakusma/a1-naie-pas-peur-feat-florent?in=meakusma%2… | |
## AUTOREN | |
Lars Fleischmann | |
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