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# taz.de -- Elektronik-Produzent Efdemin: „Ich empfinde eine Befreiung“
> Der Klangkünstler Phillip Sollmann macht unter dem Namen Efdemin auch
> Musik für den Dancefloor. Auf dem neuen Album „New Atlantis“ findet
> beides zusammen.
Bild: Ich ist (k)ein Anderer: Phillip Sollmann
taz: Phillip Sollmann, Ihr neues Album als Efdemin, „New Atlantis“, ist
nach dem gleichnamigen Roman von Francis Bacon von 1627 benannt. Welche
neuzeitlichen Überlegungen hegen Sie zu diesem Stoff?
Efdemin: Die Vorstellung, dass man nicht alles hat. Unsere Welt ist so
entzaubert, so nackt. Meine Musik verhandelt immer auch meine Probleme mit
der Gegenwart. Das klingt rückwärtsgewandt, ist es aber nicht. Ich hoffe,
man hört, dass ich keinen reaktionären Ansatz verfolge.
Wenn man das Album mit Ihrer Diskografie abgleicht, entsteht der Eindruck,
dass nun der Dancefloorproduzent Efdemin und der Klangkünstler Phillip
Sollmann zusammenfinden. In den letzten drei Stücken „Temple“, „Black Su…
und „The Sound House“ passiert etwas, was man vorher noch nicht im
Efdemin-Sound gehört hat. Ihr Sound hat sich generell verändert, damit
einhergehend das Instrumentarium.
Korrekt, ich habe etwa eine Drehleier benutzt, ein Hurdy Gurdy. Damit
erzeuge ich Drones. Für das Titelstück habe ich zudem eine stark
verfremdete Aufnahme eines Tony-Conrad-Tribute-Konzerts verwendet, das ich
2018 mit meiner Band Pnin (mit Joachim Schütz und Nika Son) gespielt habe.
Es wirkt, als könne man die Musik auch einer tiefenpsychologischen Analyse
unterziehen. Hinter dem Auftakt „Oh, Lovely Appearance of Death“ verbirgt
sich etwas im Freud’ schen Sinne, schon der Titel verweist auf ein
ungesagtes Geheimnis. Es ist ein Song mit Gesang. Was hören wir da genau?
Das Stück hat folgenden Hintergrund: Ich habe den Gesang einem Album mit
acht Künstler*innen-Lectures entnommen. Einer davon ist der Maler William
T. Wiley. In seinem Vortrag ging es um Transzendenz. Es ist ein
baptistisches Lied, das den Tod lobpreist als Erlösung vom grässlichen
Leben. Dieses Stück war lange bei mir, und ich kann es nun endlich in die
Welt entlassen.
Erstaunlich, dass Ihr Werk auf dem Berghain-Label „Ostgut Ton“ erscheint.
Ist Ihre Musik überhaupt noch Techno?
Ein bisschen schon. Das Album für Ostgut stand seit sieben Jahren aus. Ich
lege ja seit 2005 auch regelmäßig im Berghain auf, fühle mich dem Laden
also irgendwie verbunden. Trotzdem ist es mir schwer gefallen, den
adäquaten musikalischen Ausdruck dafür zu finden. Seit sich Alex Samuels um
das Programm von Ostgut Ton kümmert und nun immer häufiger Musik
veröffentlicht wird, die aus der engen Definition von Techno ausschert,
konnte ich mich wiederum befreien von der Idee, dass meine Musik dafür
funktionieren muss. Ich hatte das Gefühl, dass ich keine linientreue
Techno-Musik liefern muss.
Das Label hat sich verändert, und Sie haben sich weiterentwickelt?
Ja, stimmt so. Ich empfinde meinen neuen Sound als Befreiung von jener
Funktionalität, die Techno sonst nachgesagt wird. Ein 15-Minüter wie „New
Atlantis“, in dem wenig passiert, fühlt sich trotzdem an wie der schönste
Technotrack, den ich je gemacht habe. Diese Trennung zwischen funktional
und nichtfunktional habe ich zuletzt als immer unnatürlicher empfunden.
Wie hat sich das konkret ausgedrückt?
Es gab die Idee: Ich gehe jetzt in den Club, dort wird gearbeitet, ich muss
liefern. Diese großen Vergnügungsfabriken mit Tausenden Besuchern an einem
Wochenende haben mich eingeschüchtert. Davon kann ich mich immer mehr
lösen. Gleichzeitig frage ich mich oft, ob ich mit so einer
Herangehensweise Leute vor den Kopf stoße, die etwas anderes erwarten. Ein
Album von mir wie 2009, mit klassischem Dancefloorsound.
Seither hat sich das Techno-Business geändert. Es gibt einen großen
Festival-Mainstream. Gleichzeitig feiert auch Undergroundsound Erfolge.
Das Elektronikfestival Unsound in Krakau ist dafür ein gutes Beispiel. Vor
zehn Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass dort 500 Leute zu einer
Performance von Phill Niblock kommen. Diesen Wandel finde ich toll.
Gleichzeitig vermisse ich hin und wieder die alte Intimität. Das klingt
jetzt hoffentlich nicht kulturpessimistisch, doch scheint mir die Rezeption
mittlerweile oberflächlicher zu sein als früher.
Was meinen Sie damit?
Ausgehen ist extrem professionell geworden. Man macht sich viele Gedanken
dazu, wie man aussieht und wann man wohin geht. Momente des Loslassens, des
Genießens, die in den Anfangstagen von Techno sehr wichtig waren, scheinen
mir da verloren zu gehen.
Das klingt tatsächlich kulturpessimistisch.
Okay, es gibt diese Orte und Momente noch, wo Freiheiten auch ausgelebt
werden können. In Berlin fallen mir ein paar ein; es geht auch im Berghain
an der richtigen Stelle und zur richtigen Zeit. Ein anderes Beispiel ist
der Club Bassiani in Tiflis, dessen Existenz letztes Jahr mit Razzien von
den georgischen Behörden bedroht wurde. Dort gibt es diese Freiheit auch
noch. Man kann manchmal 30 Minuten nichts sehen, weil das Licht aus ist und
Nebel im Raum steht. Die Leute tanzen dann einfach nur. Ein wunderbar
hedonistischer Ort.
15 Feb 2019
## AUTOREN
Lars Fleischmann
## TAGS
Efdemin
Phillip Sollmann
Berghain
Klang
Dancefloor
Holly Herndon
Titanic
Detroit
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