# taz.de -- Revival der Breakbeats: Neue Lust am Gebrochenen | |
> Bis zum nächsten Drop: Wie sich die Neunziger in den Sound der Zwanziger | |
> einschreiben. Ein Dancefloor-Rundumschlag zu Quarantäne-Zeiten. | |
Bild: Die in Berlin lebende irische Produzentin Zoë Mc Pherson | |
Es mag absurd sein, in Zeiten von Social Distancing die Renaissance von | |
Breakbeats anzupreisen. Bestandteile einer Musik, die sich ja am besten im | |
Club, also im sozialen Raum, entfaltet. Andererseits war die Aussage, sie | |
nur dort hören zu können, immer schon herabwürdigend, weil sie ihr den | |
künstlerischen Eigenwert abspricht. Als ließe sich gerade die | |
breakbeatlastige Variante von Clubsound mit ihrer fantasiefördernden | |
Qualität nicht auch gut auf Kopfhörern, in der Küche oder gar in der | |
Badewanne hören. | |
Dennoch wäre es verfehlt, über Breakbeats – hier verstanden als in | |
elektronischen Dancefloorgenres wie Drum ’n’ Bass, Grime und Dubstep | |
vorkommende Polyrhythmen – nachzudenken, ohne zu beschreiben, wie Körper | |
sie wahrnehmen. Und da bietet sich die teilnehmende Beobachtung beim Tanzen | |
an. | |
Du bewegst deinen Körper wie in Zeitlupe zu einem zähflüssigen Sound, um | |
den sich ein vertrackter Beat windet. Dann stoppt die Musik plötzlich. | |
Völlig Stille. Zwei Sekunden zuvor hatte der Bass noch den Magen massiert. | |
Jetzt stehst du wie alle anderen herum. Wie Streichhölzer, die darauf | |
warten, entzündet zu werden. Spannung liegt in der Luft: die Erwartung auf | |
die Wiederkehr von Klang. | |
## Wenn sich die Bassdrum langsam schlängelt | |
Dann geht es los, Rhythmen schichten sich übereinander, eine | |
geschlechtslose Stimme insistiert: „I don’t give a fuck“, und eine | |
Bassdrum, die sich langsam durch die Tänzer:innen schlängelt, setzt dich | |
wieder in Bewegung. Dass die Bewegungen alle sehr unterschiedlich sind, | |
liegt an der Struktur des Breakbeat: Im Unterschied zum | |
Four-to-the-flour-Beat des [1][Techno], dessen Betonung auf jeder | |
Viertelnote etwas marschmäßig anmutet, bestehen Breakbeats aus | |
verschiedenen rhythmischen Schichten. Um auf dem Dancefloor nicht zu | |
stolpern, muss man sich für eine dieser Schichten entscheiden. Was dazu | |
führt, dass alle unterschiedlich tanzen. Breakbeats sind universal, ohne | |
gleich-macherisch zu sein. | |
Breakbeats würde es, so viel Historie muss sein, gar nicht geben, wenn die | |
Blaupause, der sogenannte „Amen Break“, ein kurzes Sample aus dem | |
Instrumentalteil des Songs „Amen, Brother“ der US-Soulband The Winstons von | |
1969, nicht im Oldschool-HipHop der 1980er das Licht der Tanzfläche | |
erblickt hätte. Bis heute wird der Amen-Break immer wieder neu | |
interpretiert und ist derzeit auf dem besten Weg, en vogue zu werden. So | |
werden immer öfter auch Techno und House, also jene Stile, die derzeit die | |
[2][Clubs] dieser Welt dominieren, von gebrochenen Beats unterwandert. | |
Breakbeats in all ihren Variationen finden sich derzeit in allen möglichen | |
neuen Veröffentlichungen zeitgenössischer Clubmusik. | |
Da wäre etwa das Album „Middle Ouest“ der US-marokkanischen Produzentin | |
Bergsonist. Ihre Stücke erzählen keine abgeschlossenen Geschichten, sondern | |
sind nach allen Seiten offen. Wie gekonnt sie etwa die gerade | |
Techno-Bassdrum mit komplexen Rhythmen flirten lässt, kann man etwa bei | |
ihrem Track „Amazon Snake Charming“ hören: Eine vertrackte Tabla trifft auf | |
industrielle Sounds. | |
## Weniger Rauheit, mehr Lametta | |
Weniger Rauheit, dafür aber mehr Lametta steckt in der EP „Studio Pads“ des | |
britischen Produzenten Dance (alias Sam Purcell), der seiner stoischen | |
Techno-Bassdrum ordentliche Arschtritte verpasst. Wie im Track „Murmur“, in | |
dem warm umschlingende Akkorde mit Vogelgezwitscher und wild | |
herumspringenden Hihats verschaltet werden, die von einem dauergrummelnden | |
Bass erfolgreich an der Verkitschung gehindert werden. | |
Kitsch gibt es auf dem Album „States of Fugue“ der irischen Musikerin Zoë | |
Mc Pherson nicht mal ansatzweise. Im Gegenteil, die Welt, von der erzählt | |
wird, entspringt keiner Vorstellung irgendeiner Natur, sondern sie ist | |
längst überwunden. Neben radikal unterkühlten Klangstudien wie „Growth“ | |
oder „Exile“, die jeden Horrorfilm-Soundtrack der letzten Jahre wie | |
Krippenlieder erscheinen lassen, liegt auch hier ein Fokus auf rhythmischen | |
Experimenten. | |
Tracks wie „Kada (Poly Everything)“ oder „Tenace“, in dem triolische | |
Bassdrums auf wütende Schreie und Metallschläge treffen, unterwandern nicht | |
nur die gleichförmige Clubmusik, sondern justieren sie neu: Wie bei Jungle, | |
einem in England Mitte der 1990er entstandenen Stil, werden zeitgenössische | |
Seinszustände, vor allem die Entfremdung, spürbar gemacht. | |
## Cineastische Meditation | |
Geradezu meditativ wirkt da die Compilation „Burial, Tunes 2011 to 2019“ | |
des Londoner Enigmas Burial, das trotz seiner seltsamen Kompositionen | |
zwischen UK Garage, Dubstep, Ambient, cineastischer Pop-Attitüde und, ja, | |
vielen Breakbeats weite Kreise zieht. Das mag auch daran liegen, dass seine | |
Person lange anonym blieb, auch wenn er sich infolge der Nominierung für | |
den renommierten Mercury Prize 2008 gezwungen sah, seinen bürgerlichen | |
Namen zu veröffentlichen – mit einem verschwommenen Foto im Guardian, bis | |
heute das einzige. | |
In den 17 Stücken treibt er seine ikonischen Merkmale – die exzessive | |
Verwendung von Hall-Effekten, die skelettierten Stolper-Beats, die | |
pastoralen Harmonien und opernhaften Arrangements, auf die Spitze. Die | |
Schwelle zum Kitsch ist recht niedrig, wird aber nie überschritten. | |
Ob der Garage-House-Hit „Loner“ oder die immersiven Gothic-Ambient-Opern | |
„Beach Fire“ und „State Forest“, alles bleibt aufs Wesentliche reduzier… | |
Musik, die klingt wie geträumt. Die alles enthält, indem sie radikal | |
weglässt. Besonders das Eindeutige, das sonst die hiesigen Playlists | |
dominiert. Hörer:Innen bleibt nur: entweder zu versinken oder draußen zu | |
bleiben. Auf der Oberfläche schwimmen ist nicht. | |
## Noch mehr Entfremdung | |
Man muss auch Pathos mögen und vor allem: viel Geduld haben und überhaupt | |
mal richtig zuhören. Für Leute, die weiterskippen, wenn nach drei Sekunden | |
nicht alles gesagt ist, sind Breakbeats nichts. Aber für alle, die Lust | |
haben, sich vielleicht noch ein bisschen mehr zu entfremden von einer Welt, | |
die einfach nie ihre Klappe halten kann. | |
Standen Breakbeats stets für eine jegliche Sentimentalitäten verweigernde | |
Kälte und Härte, werden sie bei Burial liebevoll domestiziert. So stehen | |
die androgynen Gesänge, die mit wenigen Silben Zärtlichkeit („holding you�… | |
„tell me I belong“) evozieren, oder die gesampelte Rede der Regisseur*in | |
Lana Wachowski, in der sie sich als transgender erklärt („Come Down to | |
Us“), für eine Öffnung zum Nicht-Binären – was „Tunes 2011 to 2019“ … | |
zeitgemäß macht. | |
Noch mehr geballte Gegenwart enthält eine EP, die auch geografisch aus der | |
eurozentrischen Perspektive herausfällt: „From Avoca Hills to The World“ | |
von Citizen Boy & Mafia Boyz aus Durban/Südafrika. Die sechs Stücke sind | |
eine Weiterentwicklung des noch jungen in der Küstenstadt entstandenen | |
Stils Gqom, bei dem düstere Soundlandschaften auf ultrareduzierte Beats | |
treffen. Highlight ist der apokalyptische Auftakt „Hlasela“, in dem ein | |
bedrohliches, kaum hörbares Grollen von messerscharfen Claps und | |
Spoken-Word-Einlange perforiert wird. | |
## Zu viel lineares Denken | |
Gerade der internationale, wenn auch nur in subkulturellen Nischen | |
stattfindende Erfolg der talentierten Gqom-Künstler:innen könnte | |
paradigmatisch stehen für die neue Lust am Breakbeat. Vielleicht hat diese | |
neue Lust auch etwas mit der Ideenlosigkeit einer Welt zutun, die immer | |
öfter binär, konservativ und vor allem linear denkt. | |
Breakbeats bestehen aus Rhythmen, die außerhalb der eigenen alltäglichen | |
Zeitwahrnehmung stehen, und lassen die Körper womöglich nachfühlen, wie es | |
ist, eine Maschine zu sein. Wesentlich attraktiver in einer Zeit der | |
konstanten Sinnesreize ist womöglich das Phänomen, das uns noch mal zurück | |
zur eingangs beschriebenen Tanzsituation bringt. | |
Die meisten der hier genannten Alben sind ähnlich aufgebaut, nach dem | |
Prinzip des Drop: Nach einem beatlosen Intro, dem „Build-up“, kommt es zu | |
einem „Breakdown“, der aus einem beatlosen Teil oder gar Stille besteht – | |
und dem Drop, also dem vollen Beat, vorangeht. Diese Struktur verleiht | |
Clubnächten eine völlig andere Dramaturgie, als es im Techno oder House die | |
Regel ist. | |
Sie ist quasi das musikalische Pendant zum Brecht’schen Verfremdungseffekt: | |
So wie Zuschauer:innen im Theater stets daran erinnert werden sollen, einer | |
Inszenierung, nicht der „Wirklichkeit“, beizuwohnen, werden sie hier mit | |
der Realität der sonischen Überwältigung konfrontiert. Vereinfachend, | |
natürlich nicht erschöpfend, ließe sich sagen: Während Techno und House | |
nach einer sich langsam aufbauenden Trance streben, geht es bei Breakbeats | |
stets um die Überraschung – und ständig neue, so vielleicht noch nie | |
erlebte Wahrnehmungen. Viele Klimata statt einer Klimax oder: viele | |
Orgasmen statt nur einem. | |
Die Dramaturgie der ständigen Unterbrechung macht sehr viel Spaß, ist aber | |
auch politisch. Wenigstens indirekt. Weil sie die Hörer:innen auf sich | |
selbst zurückwirft und sie reflektieren lässt. Sie ermöglicht einen | |
stetigen Wechsel von der Ego- in die Vogelperspektive und zeigt, wie eng du | |
verwoben bist mit den unsichtbaren Kräften, die auf dich einwirken. Indem | |
du dann quasi wie ein Satellit über dir selbst schwebst – blickst du voll | |
in die Fratzen dieser bescheuerten Welt. Und zwar nicht ängstlich, sondern | |
mit offenen Augen und fest entschlossen, bis zum nächsten Drop. Wenn das | |
mal kein Training für eine kritischere Perspektive auf die stetig | |
übereinandergeschichteten und damit ja ebenso konstruierten Wirklichkeiten | |
ist. | |
1 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Philipp Rhensius | |
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