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# taz.de -- Demonstration für die Clubkultur: Jeder geschlossene Raum ist ein …
> Trauer um dahingeschiedene Kulturorte: Die Initiative Reclaim Club
> Culture geht symbolisch wehklagend für die Erhaltung von Freiräumen auf
> die Straße.
Bild: Trauermarsch für verschüttgegangene Kulturräume
„Möchtest du auch den Löffel abgeben?“ Eine Frau mit goldenem
Glitzer-Blazer verteilt an die umstehende Trauergemeinde kleine Holzlöffel.
Um einen Sarg mit goldenem Deckel tanzen Menschen mit bunten Tüchern und
spielen Blockflöte. Immer wieder gibt es lautes Wehklagen. Weinende und
Schreiende betrauern das im Sarg Liegende: [1][die sterbenden Berliner
Clubs und Kulturräume].
Am Donnerstagabend hat die Initiative Reclaim Club Culture einen Trauerzug
mit etwa 200 Teilnehmenden vom Hansaplatz bis zum Zentrum für Kunst und
Urbanistik (Z/KU) durch den Westen Berlins geführt und anschließend eine
symbolische Beerdigung veranstaltet.
An einen Trauerzug erinnert der Marsch auf den ersten Blick allerdings
wenig. Vielmehr scheint man hier das Leben zu feiern: überwiegend junge
Menschen in auffallend bunter Kleidung tanzen hinter einem gelben Wagen
her, manch eine:r trägt Topfpflanzen – das mit dem (Weiter-)Leben wird hier
ernst genommen. Nur der Sarg, mit dem der Zug angeführt wird, und die
regelmäßigen, lauten Wehklagen erinnern daran, dass es den Menschen hier
tatsächlich ernst ist.
„Wir wollen den Ausverkauf in dieser Stadt stoppen“, erklärt Rosa Rave*,
eine der Sprecher:innen von Reclaim Club Culture, die alle unter demselben
Pseudonym auftreten. „Wir fragen uns: Was macht eigentlich Klaus Lederer?
Warum passiert nichts?“ Die Frau mit der pinken Perücke und der großen
Sonnenbrille mit herzförmigen Gläsern gestikuliert energisch mit ihren
Händen. Nach und nach verschwänden immer mehr Räume, während der aktuelle
Kultursenator tatenlos zusehe.
Es ginge dabei nicht nur darum, Orte zum Feiern zu haben. Vielmehr seien
die Frei- und Kulturräume gerade jetzt wichtig, da Rechtspopulismus immer
gesellschaftsfähiger wird. Mit ihrem Trauerzug möchten sie daher auf ihre
Wichtigkeit für die Gesellschaft hinweisen. Die Initiative fordert
langfristige Mietverträge und mehr Verständnis von Behörden bei der
Anmeldung und Durchführung von Veranstaltungen. „Es muss einfacher sein,
Genehmigungen zu bekommen“, fordert Rosa Rave*.
## Über den Jordan
Wie sehr sich Berlin verändert, wird deutlich, wenn man sich die Gegend
anschaut, durch die der Trauermarsch führt. Nach den Plattenbauten in der
Lessingstraße kommt man nach dem Überqueren der Spree („Liebe sterbliche
Gemeinde, wir werden nun über den Jordan gehen!)“ an Geschäften vorbei, die
wenig an individuelle Kiezkultur denken lassen: O2-Store, Darwich’s Crispy
oder Back-Factory. Am Schultheiss-Quartier kommt die Demonstration zum
Stehen.
„Hier hätte Kultur entstehen können, das ist Mord!“, rufen die
Mitarbeiter:innen der Initiative, gefolgt von Buhrufen und lautem
Trauergeschrei. In der ehemaligen Brauerei aus dem 19. Jahrhundert
eröffnete im August 2018 ein Einkaufscenter mit mehr als 30.000
Quadratmetern Verkaufsfläche. Ein weiterer Ort, der eher für Monokultur als
Individualität steht.
Dem Zug hat sich auch Jakob Turtur angeschlossen. Zusammen mit Freunden
gründete er 2015 das Clubkollektiv Jonny Knüppel auf der Lohmühleninsel in
Kreuzberg. Die Mitglieder gestalteten eine alte Autowerkstatt zu einem Ort
für Kunst und Kultur um, zu einem kreativen Freiraum, der auch zu einem
Treffpunkt für Anwohner:innen wurde. „Drei Jahre lang haben wir den Ort
aufgebaut, haben auch viel Unterstützung vom Senat, aus der Politik
erhalten“, erzählt Turtur.
Nach dieser Zeit war Jonny Knüppel allerdings noch immer illegal.
Mietverträge wurden immer nur über kurze Zeiträume ausgestellt, am Ende
verlängerte der Investor, dem die ganze Lohmühleninsel gehört, kein
weiteres Mal. Nun steht der Raum bereits seit einem Jahr leer. „Hier
entsteht die nächste Brache“, meint Tutur. Auch die Verträge der anderen
vier Clubs dort laufen Ende 2019 aus.
Aufgeben wollen die Mitglieder von Jonny Knüppel aber noch nicht,
mittlerweile haben sie einen neuen Ort gefunden worden. Dieses Mal in
Prenzlauer Berg, wieder mit befristetem Mietvertrag. Die Geschichte könnte
sich wiederholen. Denn nicht nur Investor:innen, auch steigende Mieten
führen dazu, dass immer mehr der Berliner Kulturorte verdrängt werden oder
unter dem steigenden Wettbewerbsdruck Qualität verlieren, da kein Raum für
Experimente bleibt.
## Gedenken der verlorenen Räume
Am Ende kommt der Trauermarsch an seinem Ziel an. Im Garten des Z/KU findet
eine Beerdigungszeremonie statt. Am Grab versammeln sich die
Demonstrierenden und gedenken [2][der bereits verlorenen Kulturräume]: der
Wilner Brauerei Berlin, Brunnen70, Stattbad, des Gemeinschaftsgartens
Himmelbeet, Klub der Republik I und II, Rummelsbucht, Mittwochsclub und
Jonny Knüppel.
„Diese Tode machen uns sprachlos. Vieles war ein abgekatertes Spiel von
Nachbar:innen, Investor:innen … Aquarien“, sagt eine der Sprecher:innen von
Reclaim Club Culture bei ihrer Trauerrede mit Anspielung an die
Rummelsburger Bucht, wo Investor:innen Luxuswohnungen und das Aquarium
„Coral World“ planen. „Sie starben alle zu jung, sie verstarben an einer
Krankheit namens Gier aka Kapitalismus.“
Klar wird an diesem Abend, dass sich viele nicht gehört fühlen. Man laufe
gegen Wände, von der Politik gebe es zu wenig Rückhalt. „Das wird nicht die
letzte Beerdigung sein, auf der ihr seid“, mahnt eine Sprecher:in. Denn
schon in den nächsten Tagen geht es weiter: Ende Mai schließt nach zehn
Jahren der Farbfernseher.
Die Anwesenden versuchen dennoch, optimistisch zu bleiben. Man solle
gemeinsam kämpfen, sich vernetzen. „Liebe sterbliche Gemeinde“, rufen sie
immer wieder auf. „Mögen diese Tode nicht umsonst gewesen sein.“
24 May 2019
## LINKS
[1] /Gentrifizierung-in-Berlin/!5475940
[2] /Demo-gegen-das-Clubsterben/!5443158
## AUTOREN
Ann-Kathrin Liedtke
## TAGS
Clubkultur
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Verdrängung
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