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# taz.de -- Gentrifizierung in Berlin: Das Clubsterben geht weiter
> Früher sorgten oft Lärmbeschwerden für die Verdrängung von Clubs. Heute
> sind es eher Investoren, die mehr Miete verlangen.
Bild: Es geht wenig über ein gepflegtes Clubkonzert: Auftritt der Sängerin An…
Das Gesicht, das Katja Lucker am Montagvormittag im Privatclub macht,
könnte man als einigermaßen ratlos beschreiben. Katja Lucker ist
Musikbeauftragte des Landes Berlin, fördert als Leiterin des Musicboards
Berlin Musiker und popmusikalische Projekte in der Hauptstadt. Neben ihr
sitzt der Sprecher der Clubcommission Lutz Leichsenring, einem Netzwerk der
Berliner Clubszene – und Norbert Jackschenties, der 1998 den Privatclub in
der Markthalle Neun gründete.
Der Privatclub ist eine Institution des Berliner Nachtlebens, hier traten
die Beatsteaks und Wir Sind Helden auf, bevor sie noch einen Plattenvertrag
hatten. Heute aber sitzen Jackschenties, Lucker und Leichsenring hier
zusammen, weil es den Privatclub, der inzwischen im alten Postamt in der
Skalitzer Straße residiert, bald nicht mehr geben könnte.
Die Ratlosigkeit, die über der ganzen Veranstaltung liegt, begründet sich
so: Bislang zahlte Norbert Jackschenties vom Privatclub 11 Euro pro
Quadratmeter Miete. Der neue Besitzer des Postamts, Marc Samwer (Rocket
Internet), möchte das Doppelte. Obwohl Jackschenties 15 Euro geboten hat,
soll er raus. Und zwar, falls das rechtlich überhaupt geht, noch vor Ablauf
des Mietvertrags 2022. Denn seit letzten Jahr ist ein Start-up über dem
Privatclub eingezogen. Den Mitarbeitern, so der neue Besitzer, sei es zu
laut.
## Einschränkung der Konzerte verlangt
Als Jackschenties seinen Club vor fünf Jahren am neuen Standort im alten
Postamt mit viel Liebe und Eigenkapital einrichtete, da sorgte er natürlich
auch für den Lärmschutz – zumindest den nach draußen und zum Treppenhaus
hin. Nach oben hin sei damals kein Lärmschutz nötig gewesen, erzählt er auf
dem Podium, denn diese Etage habe die ganze Zeit über leer gestanden.
Dann habe Samwer das Postamt gekauft und renoviert, offenbar aber nicht für
Lärmschutz gesorgt. Nun verlange man die Einschränkung auf zwei Konzerte
pro Woche und Soundchecks erst ab 17 Uhr – eine Maßnahme, die dem Club
sicher das Genick brechen würde.
Nicht nur der clubpolitische Sprecher des Berliner Abgeordnetenhauses Georg
Kössler (Grüne) vermutet, dass die Lärmbeschwerden nur vorgeschoben sein
können. Denn leider ist nur allzu wahrscheinlich, dass es hier einfach um
höhere Renditen geht. Ebenso offensichtlich ist auch, dass das Clubsterben
damit eine neue Eskalationsstufe erreicht hat. Denn nicht nur der
Privatclub sorgte in den letzten Wochen für Schlagzeilen.
So hat gerade das Watergate eine Verdopplung der Miete geschluckt – wer
weiß, ob der Club das wird verkraften können. Das Jonny Knüppel auf der
Lohmühleninsel kämpft derzeit mit einer Crowdfunding-Kampagne für
Lärmschutzmaßnahmen gegen das Ende. Und gerade wurde bekannt, dass der
Bassy Club an der Schönhauser Allee zum Sommer schließen wird.
## Die Politik hat kaum Hebel
Als vor knapp zehn Jahren das Clubsterben begann, waren oft private
Lärmbeschwerden von Anwohnern der Grund. Inzwischen hat die Verdrängung
andere Ursachen: Es sind eher Investoren, die mehr Miete verlangen – und
mit denen es noch viel schwieriger ist, überhaupt nur in Kontakt zu treten.
Die Strategie der Gewinnmaximierung von Marc, Oliver und Alexander Samwer
wird schon länger als zu aggressiv kritisiert. Letztes Frühjahr wurde
bekannt, dass Zalando ausgerechnet auf die Cuvry-Brache ziehen wird – ein
Teil der Zalando-Aktien gehört nach wie vor den Samwers. Wenige Monate
später drang durch, dass die Samwers die Uferhallen in Wedding erstanden
haben.
Doch bislang hat schlechte Presse eher wenig daran geändert, wie in dieser
Stadt investiert wird. Auch die Berliner Politik hat kaum Hebel: Ein
soziales Gewerbemietrecht könnte nur auf Bundesebene entschieden werden –
außerdem ist fraglich, inwieweit privatwirtschaftliche Unternehmen wie
Clubs davon profitieren könnten. Bleibt also nur der Appell. Und wie
wirkungslos Appelle sein können, das erzählt Norbert Jackschenties vom
Privatclub ebenfalls am Montagvormittag.
Jackschenties hat Marc Samwer ausrichten lassen, warum er nicht so viel
Geld aufbringen kann. Dass im Privatclub unbekannte Bands zu entdecken
sind, die nicht immer für großen Andrang sorgen. Dass er die
Eintrittsgelder nicht erhöhen kann, wenn er sein Stammpublikum nicht
vergraulen will.
Die Antwort sei immer dieselbe geblieben: „Das ist nicht unser Problem.“
22 Jan 2018
## AUTOREN
Susanne Messmer
## TAGS
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