# taz.de -- Neue Chefin im Kreuzberg-Museum: „Dieses Viertel wird überskanda… | |
> Natalie Bayer ist neue Leiterin des Friedrichshain-Kreuzberg Museums. Die | |
> Migrationsforscherin will ein kollaboratives Museum mit antirassistischen | |
> Botschaften. | |
Bild: Die Neue: Natalie Bayer in der Dauerausstellung „Ortsgespräche“ | |
taz: Frau Bayer, wie kommt eine Münchnerin dazu, ein Berliner Kiezmuseum zu | |
leiten? | |
Natalie Bayer: Ich bin Migrationsforscherin und gehöre zu einer neueren, | |
kritischen Generation, die sich sehr stark damit auseinandersetzt, wessen | |
Geschichte wie erzählt wird und von wem. Diese Aspekte habe ich hier in den | |
Ausstellungen immer gefunden. Ich habe bis Dezember im Münchner Stadtmuseum | |
beim Projekt „Migration bewegt die Stadt“ mitgearbeitet. Da habe ich drei | |
Jahre lang sehr eng mit den Menschen in einem Bezirk zusammen überlegt, was | |
Migration überhaupt bedeutet und was sie für eine Rolle in der Geschichte | |
gespielt hat. In München gibt es zwar kein Kreuzberg, aber es war ein | |
ähnliches Viertel und ich hatte vergleichbare Aufgaben wie hier im | |
Friedrichshain-Kreuzberg Museum. | |
Müssen wir uns eigentlich immer noch mit Migration beschäftigen oder ist | |
die nicht schon ein selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft? | |
Genau das ist mein Ziel, dass sie selbstverständlich ist. Wir sind aber das | |
Museum der Community Friedrichshain-Kreuzberg und da wäre die nächste Frage | |
dann: Wer ist diese Community? Die besteht und entsteht immer wieder neu | |
aus ganz vielen unterschiedlichen Menschen in zwei sehr unterschiedlichen | |
Stadtteilen, deren Geschichte auch durch die deutsche Teilung geprägt ist. | |
Und Migration spielte immer eine sehr wichtige Rolle in der Geschichte des | |
Bezirks. Ich sehe als Forscherin die Notwendigkeit, sich Migration | |
anzuschauen, um sich bewusst zu machen, dass die Gesellschaft noch nicht | |
gleichberechtigt ist. Mir ist aber wichtig, dass es bei der Arbeit mit den | |
Menschen und den Darstellungen im Museum nicht um Herkunft geht, sondern um | |
ihre Rolle als Geschichtsmacher*innen. | |
Sie sind eine der drei Herausgeberinnen von „Kuratieren als | |
antirassistische Praxis“. Was stellen Sie sich unter diesem Konzept vor? | |
Das antirassistische Museum ist ein kollaboratives Museum, in dem | |
demokratische Prozesse wirklich konsequent stattfinden können. Man muss von | |
vornherein dafür sorgen, dass tatsächlich jede*r Zugang haben kann, | |
unabhängig von der Herkunft oder Fähigkeiten. Und das muss man auch immer | |
wieder überprüfen. Zudem geht es im Kern darum, antirassistische, | |
antidiskriminatorische Botschaften zu vermitteln und gerade dafür das | |
Wissen der Leute miteinzubeziehen – was wir nicht wissen, müssen wir | |
schließlich nachfragen, selbst wenn wir glauben, es selbst besser zu | |
wissen. | |
Wie genau sieht so eine Teilhabe aus? | |
Man holt sich zum Beispiel Rat, anstatt Themen zu setzen, die man sich | |
selber am Schreibtisch überlegt hat. Man spricht Leute an und fragt, wo | |
denn wirklich der Schuh drückt oder wo er auch nicht drückt. Ich denke, | |
dass dieses Viertel hier im politischen und Pressediskurs überskandalisiert | |
wird. Gleichzeitig gibt es hier auch einen ganz normalen, gut | |
funktionierenden Alltag, wo die Leute sich sehr gut miteinander arrangiert | |
haben, obwohl oder gerade weil die sozialpolitische Realität sehr | |
angespannt ist. | |
Wer ist am kreativen Prozess beteiligt? | |
Ich bin zwar erst seit sechs Wochen hier, aber habe schon beobachtet, dass | |
viele Leute aus dem Bezirk mit Vorschlägen zum Museum kommen. Das sind | |
Vereine, Einzelpersonen, Ausstellungsbesucher*innen. Das Haus selber hat | |
natürlich auch Ideen und Themen. Dann geht man in einen ersten | |
Rechercheprozess und überlegt, wer die Personen sind, um die es geht, und | |
wer dazu etwas erzählen kann und mit uns etwas erarbeiten möchte. Danach | |
beginnt die Konzeptarbeit. | |
Welche Themen stehen unter Ihrer Leitung an? | |
Mein Vorgänger Martin Düspohl ist zwar schon seit fast einem Jahr weg, aber | |
für dieses Jahr sind schon viele Dinge geplant. Meine Handschrift wird ab | |
nächstem Jahr so richtig sichtbar. Die Themen der Migrationsgesellschaft | |
werden weiterhin relevant sein, wie etwa die Frage des Wohnens: Wer kann | |
denn hier wohnen, wer nicht mehr, welche neuen Menschen kommen her? | |
Speziell hier im Kiez entsteht ja gerade eine neue | |
Bevölkerungszusammensetzung mit einigen Alteingesessenen und einigen mit | |
ganz neuen Migrationsgeschichten. Da muss ich auf jeden Fall noch viel | |
mehr Leute kennenlernen. Und vor allem zu Friedrichshain möchte ich einen | |
eigenen Zugang finden und Netzwerke aufbauen. | |
Was gefällt Ihnen am FHXB Museum? | |
Dieses Haus hat eine lokale Verankerung, das kennen irgendwie alle. In | |
meiner ersten Woche habe ich schon von Leuten Besuch gekriegt, die | |
irgendwie mitbekommen haben, dass ich neu bin. Das fand ich wirklich sehr | |
schön und kannte ich vorher nicht. | |
Ihr Vorgänger Martin Düspohl sagte in einem Interview mal, dass bei so | |
einem kleinen Museum immer zu wenig Geld da ist, um alles umzusetzen, was | |
man sich vorstellt. Was haben Sie für Strategien, um damit umzugehen? | |
Ich komme aus einer sehr reichen Kommune, München, und aus einem sehr | |
großen Museum. Hier erlebe ich jetzt genau das Gegenteil, aber das wollte | |
ich ja auch. In München musste ich aber auch mit einem verhältnismäßig | |
kleinen Etat umgehen. Ich suche daher immer nach Kooperationen mit vielen | |
anderen Vereinen und Akteuren. Das ist wie bei einem Picknick: Man plant | |
gemeinsam, jede*r bringt ein bisschen was mit, und am Ende hat man etwas | |
Tolles zusammen gemacht. Auch aus diesem Grund ist Kollaboration total | |
wichtig. Die Haushaltslage ist für uns eng, sodass wir uns immer wieder um | |
Drittmittel bemühen müssen. Der positive Effekt daran ist aber, dass wir | |
uns auch immer wieder etwas Neues überlegen müssen. | |
Haben Sie ein Lieblingsmuseum? | |
Dieses Haus gehört tatsächlich zu meinen Lieblingsmuseen. Außerdem mag ich | |
das Historische Museum in Frankfurt sehr gerne, das sich seit den 1970er | |
Jahren als partizipatives Museum versteht. In den USA gefallen mir auch | |
einige Community-Museen. Die leiden zwar häufig auch unter chronischem | |
Geldmangel, aber alle brannten für das, was sie dort machten. | |
13 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Hannah El-Hitami | |
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