# taz.de -- Integrationsbeauftragter im Interview: „Integration ist Chefsache… | |
> Andreas Germershausen kritisiert das Kopftuchverbot. Der | |
> Integrationsbeauftragte Berlins über Wutbürger, sein leises Auftreten und | |
> den Islam. | |
Bild: Willkommenszentrum für Flüchtlinge und andere Neu-Berliner, Potsdamer S… | |
taz: Herr Germershausen, Sie beackern das Megathema der Stadt: Integration. | |
Trotzdem, mit Verlaub, ist der Integrationsbeauftragte öffentlich nicht | |
sehr präsent. Woran liegt das? | |
Andreas Germershausen: Das liegt daran, dass Integration ein Thema des | |
gesamten Senats geworden ist. Früher war das anders, da musste man es gegen | |
den Senat durchsetzen. | |
Aha. | |
Die zentrale Stellung des Themas im Senat können Sie auch daran erkennen, | |
dass mir in den Richtlinien der Regierungspolitik die Aufgabe zugeteilt | |
wurde, ein neues Gesamtkonzept zu koordinieren für die Partizipation und | |
Integration Geflüchteter. Das mache ich auch, zusammen mit allen anderen | |
Senatsverwaltungen. Aber das ist eher eine strategische Aufgabe, die erst | |
öffentlich wird, wenn wir das Konzept vorgelegt haben. | |
Sie arbeiten also im Stillen an einem neuen Konzept? | |
Ja, nicht ganz so still und schon seit einem Jahr. Der Senat hat in seinen | |
Richtlinien gesagt, dass er erfolgreiche Projekte aus dem Masterplan | |
Integration fortsetzen und ein neues Konzept zu seiner Flüchtlingspolitik | |
entwickeln möchte. | |
Was soll anders werden als beim alten Masterplan? | |
Ich kann dazu erst mal nur so viel sagen: Wir organisieren das über neun | |
Facharbeitsgruppen, davon sieben zu den Handlungsfeldern des Senats, wie | |
Gesundheit, Soziales, Unterbringung bis zu Sport. Zwei sind übergreifend, | |
eine Gruppe zum Thema Partizipation, eine zum Thema Demokratiebildung, | |
Prävention gegen Radikalisierung und Sicherheit. Wir wollen das Konzept bis | |
zur Sommerpause fertig haben und bis dahin Dissense zwischen den Häusern | |
ausgeräumt haben. | |
Wird es zum Beispiel einen Dissens geben mit der Innenverwaltung bei der | |
Sicherheitspolitik? | |
Hierzu wird es Gespräche geben. Ein weiterer: Der Senat hat ja in die | |
Richtlinien hineingeschrieben, dass er einen Paradigmenwechsel beim | |
Migrationsrecht, bei der Aufenthaltspolitik haben will und alles | |
ausschöpfen wird, was der Bund an gesetzlichen Spielräumen zulässt. Da wird | |
es vielleicht beim Innensenator auch eine andere Position geben als bei | |
mir. | |
Man hat jedenfalls den Eindruck, dass Sie sich wenig zu | |
integrationspolitischen Debatten äußern, etwa zum Thema Islam | |
beziehungsweise Islamisierung, Antisemitismus an Schulen oder Kopftuch bei | |
Lehrerinnen. | |
Der Eindruck ist falsch. Ich habe mich voriges Jahr mehrfach zum Kopftuch | |
beziehungsweise dem Neutralitätsgesetz geäußert. Aber das ist | |
merkwürdigerweise nicht so stark aufgenommen worden. Dabei habe ich eine | |
deutliche Position gegen die Bildungsverwaltung bezogen und den Regierenden | |
Bürgermeister, die sich ja, wie die SPD insgesamt, für die strikte | |
Beibehaltung des Neutralitätsgesetzes ausgesprochen haben – was ich falsch | |
finde. Denn ich fühle mich auch als Vertreter der | |
MigrantInnenorganisationen einschließlich der muslimischen Organisationen. | |
Aber die SPD liegt in dieser Frage im Trend der allgemein eher | |
antiislamischen Stimmung. Was können Sie tun, um die zu ändern? | |
Ich habe ja vonseiten des Senats die Verantwortung für das Islamforum, das | |
in Kooperation mit den muslimischen Organisationen und Vereinen unter | |
Beteiligung von Vertreterinnen und Vertretern aus der Zivilgesellschaft und | |
verschiedener Senatsverwaltungen durchgeführt wird. Dabei geht es um alle | |
Prozesse, die Musliminnen und Muslime anbelangen: vom Neutralitätsgesetz | |
über die muslimische Gefängnisseelsorge bis zur Frage von | |
Bestattungsmöglichkeiten. Das ist nicht immer einfach, aber wenn uns ein | |
echter Dialog mit diesen Organisationen nicht gelingt, dann wird es | |
tatsächlich immer stärker wahrgenommen, als ob der Islam an sich gefährlich | |
ist. Und das ist er natürlich nicht. Im Gegenteil: im Rahmen der | |
langjährigen Kooperation wurde immer wieder deutlich, dass die muslimischen | |
Organisationen, die im Islamforum versammelt sind, nicht „gefährlich“ sind, | |
auch wenn manche von ihnen zeitweise vom Verfassungsschutz beobachtet | |
wurden. | |
Aber diese Organisationen vertreten teilweise recht fragwürdige Positionen. | |
Stellen Sie auch mal Forderungen an die, dass sie mehr Integrationswillen | |
zeigen müssen? Ich denke an die Ditib-Moscheen, von deren Kanzeln kürzlich | |
gepredigt wurde, dass man für den Sieg der Türkei beim Krieg in Syrien | |
beten soll. | |
Solche Gespräche führe ich durchaus. Und zur Ditib ist das Verhältnis in | |
der Tat schwierig, nicht nur in Berlin, in allen Bundesländern. Ditib war | |
ja immer schon dem türkischen Staat unterstellt und lange Zeit ein | |
Hauptpartner für hiesige Verwaltungen. Aber seit der Zuspitzung nach dem | |
Putsch hat sich die Türkei als Staat gegenüber der Ditib viel direktiver | |
verhalten. Das macht den Umgang mit der Organisation für alle | |
Integrationsbeauftragen in Deutschland problematisch. Immerhin: Berlin hat | |
daraus gelernt und wird nun eigene Imame und islamische Religionslehrer | |
ausbilden. Dafür soll das „Institut für islamische Theologie“ an der | |
Humboldt-Universität etabliert werden. | |
Die Vorbehalte gegenüber Muslimen wurden durch die sogenannte | |
Flüchtlingskrise noch verstärkt. Sie machen seit Kurzem die Gesprächsreihe | |
„Integration im Dialog“. Was hören Sie da von den Leuten? Äußern sich da | |
viele „Wutbürger“? | |
Eigentlich hatte ich das erwartet, aber das hat sich nicht bewahrheitet. | |
Der Grund ist vielleicht, dass wir uns mit der Reihe auf drei Zielgruppen | |
konzentrieren. Zum einen die Freiwilligen-Netzwerke, die Ehrenamtlichen und | |
Willkommensinitiativen, die es ja in allen Bezirken gibt. Die möchte ich | |
stärken und ihre Position einbeziehen in das neue Flüchtlingskonzept des | |
Senats. Die zweite Zielgruppe sind die Geflüchteten selbst. Ihre Anliegen | |
nehme ich mit der Frage auf: Woran wollt ihr euch beteiligen? | |
Und? | |
Einerseits geht es vielen natürlich um Arbeit, Wohnen und dergleichen, aber | |
eben auch um politische Vertretung. In einer Veranstaltung, die sich | |
explizit an Geflüchtete richtete, haben viele gesagt: „Wir wollen uns | |
politisch beteiligen, vielleicht eine Partei gründen, uns organisieren.“ | |
Ich möchte gerne mit diesen Leuten weitermachen, das war eine tolle Gruppe. | |
Man könnte sie im Sinne einer Fokusgruppe die Senatspolitik begleiten und | |
kommentieren lassen. | |
Was ist die dritte Zielgruppe? | |
Die Bezirke: der oder die Integrationsbeauftragte, die Bürgermeister, | |
Verwaltungsleute, Jobcenter, Unternehmen. Wir wollen Leute zusammenbringen, | |
die sich im Bezirk engagieren. Und ich nehme wahr, dass Integration in | |
allen Bezirken inzwischen viel stärker als Chefangelegenheit wahrgenommen | |
wird. In allen Bezirksämtern wird zum Beispiel mehr Personal eingestellt | |
für die Integrationspolitik. Das ist ein bisschen das Verdienst des Senats, | |
der den Bezirken dafür mehr Personal zugebilligt hat. Aber die | |
Bezirksbürgermeister nehmen das auch als strategische Aufgabe für sich an, | |
entwickeln eigene Ideen. Lichtenberg zum Beispiel hat inzwischen 31 | |
Projekte für Geflüchtete! Dafür bekommt der Bezirk vom Senat 2018 rund | |
970.000 Euro. | |
Was sind das für Projekte? | |
Eines zum Beispiel – eine Art „Leuchtturmprojekt“ – machen zwei arabisc… | |
Vereine. Sie gehen in die Unterkünfte und beraten Geflüchtete zu allen | |
Fragen des Lebens wie Bildung, Arbeit, Sprachkurse. | |
Solche Angebote gibt es inzwischen zuhauf. Aber was nützt die schönste | |
Beratung, wenn es keine günstigen Wohnungen, keine Arbeit gibt? | |
Ich stimme Ihnen zu: Wir werden Berlin sicher nicht mit Niedriglohnjobs | |
entwickeln. Und es ist wohl allen klar, dass die Qualifizierung der | |
Geflüchteten in den hochentwickelten deutschen Arbeitsmarkt ein längerer | |
Prozess sein wird. Aber wir haben auch schon Erfolge. Es gibt einen | |
erheblichen Teil von Menschen aus der Community der Geflüchteten, die in | |
Arbeit gekommen sind. Im Übrigen wird Arbeitsmarktintegration ein | |
wesentlicher Teil der Flüchtlingspolitik sein, die ich für den Senat | |
entwickle. Eine Stadtregierung muss das mit organisieren. Dass das vielen | |
nicht schnell genug geht und mit Hürden verbunden ist, ist klar. | |
Aber wäre es nicht besser, wenn die Politik ehrlich sagt, trotz all dieser | |
Anstrengungen wird der „Bodensatz“ an Menschen, die in unserer Arbeitswelt | |
keinen Platz mehr finden, größer werden durch die Geflüchteten? Weil sie | |
hier einfach niemand „braucht“? | |
Nach Ihrer Behauptung müsste die Arbeitslosenquote größer geworden sein. | |
Aber das Gegenteil ist der Fall. Es gibt unter den Geflüchteten so viele, | |
die sehr klug sind, sehr beweglich, mobiler als viele Langzeitarbeitslose. | |
Und oft entsteht durch Migrationsbewegungen Neues am Arbeitsmarkt. Denken | |
Sie an die vielen jungen Akademiker aus Südeuropa, für die Berlin eine | |
Weile sehr hip war. Sie haben die Kreativwirtschaft in Berlin stärker | |
gemacht. Gleichzeitig spielen Migrationsbewegungen immer eine Rolle, um | |
Bedürfnisse von Unternehmen zu befriedigen. Dass heute zum Beispiel die | |
Zeit des Arbeitsverbots für neue Geflüchtete auf drei Monate verkürzt ist … | |
… liegt an den Erfordernissen der Wirtschaft, die Arbeitskräfte braucht! | |
Auch. Aber es ist auch eine Notwendigkeit der Integrationspolitik. | |
14 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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