# taz.de -- Neues Museum in Kreuzberg: Kapitalismus zum Anfassen | |
> Drehen, wiegen, drücken, lernen: Im neu eröffneten Museum des | |
> Kapitalismus geht es vor allem um die Aspekte unseres Alltags. | |
Bild: Eine von vielen Stationen, wo BesucherInnen anpacken müssen. | |
Die Erleichterung und Freude über die Fertigstellung der Ausstellung war | |
den KuratorInnen am Freitagabend anzusehen. Mit einem Sektglas begrüßten | |
Julian Genten und Sylwia Rafinska die zahlreich erschienenen Gäste. Die | |
beiden Mitglieder des Vereins für Bildung und Partizipation organisieren | |
bereits seit fünf Jahren temporäre Ausstellungen und Veranstaltungen zum | |
Thema Kapitalismus. Diese beschäftigen sich mit dem bestehenden | |
Wirtschaftssystem und seinen Auswirkungen auf uns – die Gesellschaft. Dabei | |
verfolgen sie den Ansatz, komplizierte Sachverhalte auf verständliche und | |
partizipative Weise darzustellen. | |
Nun fiel der Startschuss für ein dauerhaftes Museum, das in Zusammenarbeit | |
mit der Stiftung für Menschenwürde und Arbeitswelt sowie der Berliner | |
Landeszentrale für politische Bildung realisiert wurde: „Die Idee, eine | |
Ausstellung über den Kapitalismus dauerhaft anzubieten, gab es schon | |
länger, die Suche nach einer passenden Lokalität dafür erwies sich jedoch | |
als kein einfaches Unterfangen“, sagt Sylwia Rafinska. Unverhofft jedoch | |
bot die Genossenschaft, die den Häuserblock in der Köpenicker Straße 172 in | |
Kreuzberg verwaltet, von sich aus die Räumlichkeiten an. | |
Auf 150 Quadratmetern Fläche können BesucherInnen an über 35 Stationen | |
durch eigene Partizipation erfahren und ausprobieren, wie Wirtschaft und | |
Gesellschaft im Kapitalismus funktionieren. Eine theoretische und | |
historische Einordnung des Kapitalismus ist hier nicht gegeben, wodurch der | |
praktische Zugang in den Vordergrund rückt. Der Zeitpunkt für die | |
Ausstellung hat dabei auch symbolischen Charakter: „Zehn Jahre | |
Wirtschaftskrise, dreifaches Revolutionsjahr, 200. Geburtstag von Karl Marx | |
– was den Kapitalismus angeht, ist dieses Jahr voller historischer und | |
zeitgenössischer Eckdaten,“ sagt Rafinska. | |
Im Vordergrund steht die Interaktivität: „Das ganze Museum ist darauf | |
ausgelegt, dass man Sachen ausprobieren, anfassen, bedienen kann und | |
darüber den Kapitalismus handgreiflich zu fassen bekommt“, sagt Genten. Es | |
empfiehlt sich also, etwas Zeit mitzubringen. Dabei ist die | |
Mitmachausstellung in drei Themenbereiche aufgeteilt: „Auswirkungen“ | |
beschäftigt sich mit der Frage, wie sich dieses System im Alltag von uns | |
allen auswirkt. „Mechanismen“ – wie funktioniert das System? Alternativen… | |
was für Möglichkeiten einer anderen gesellschaftlichen Ordnung sind | |
denkbar? | |
## Drücken, drehen, kurbeln – mitmachen ist angesagt | |
Jede Station ist mit einer Erklärtafel versehen, auf der in Deutsch und | |
Englisch das Thema der jeweiligen Station sowie die Bedienungsanleitung für | |
die Aufgabe erläutert wird. Los geht’s mit den Auswirkungen und der ersten | |
Station. BesucherInnen werden aufgefordert zu schätzen, wie das Vermögen | |
hierzulande verteilt ist. Wieviel besitzen die ärmsten zehn Prozent, | |
wieviel die reichsten, und wieviel die Menschen dazwischen? Mit Hilfe von | |
Bällen, die man im „Vier-gewinnt“-Prinzip in verschiedene Röhren legt, so… | |
man seine Einschätzung zeigen. Danach bekommt man die Auflösung, die | |
Realität angezeigt. „Fast alle Menschen sind überrascht, wie die reale | |
Verteilung dabei aussieht“, sagt Genten. | |
Ein paar Meter weiter ist ein Holzrad aufgebaut. Thema hier sind die | |
Wohnkosten eines jeden Mieters und die Frage, wie sich unsere Miete | |
eigentlich zusammensetzt. Dreht man an dem Rad, so erscheinen Auflösungen, | |
wie sich die Miete eines Hauses ungefähr zusammensetzen würde, wenn etwa | |
Kosten für Instandhaltung und Verwaltung ohne Profitgedanken konstruiert | |
wären. Es sind solche Beispiele, die BesucherInnen daran erinnern, dass die | |
Auswirkungen des Kapitalismus tief im alltäglichen Leben verankert sind. | |
„Es ist so alltäglich, dass man sich oft gar nicht damit beschäftigt. Uns | |
kommen Sachen so natürlich vor, die aber systemisch bedingt sind: Geld, | |
Waren, Arbeit, Wohnen“, erklärt Genten. Bei den Mechanismen gehen die | |
einzelnen Stationen Begriffen wie Kapital, Arbeit und Ausbeutung auf den | |
Grund. Auch dabei steht die Partizipation der BesucherInnen im Vordergrund. | |
Um die Beziehung von Mensch zur Arbeit, vom Kapital zur Ware zu erfassen, | |
wird man an Installationen eingeladen, zu pumpen, zu drücken, zu wiegen, | |
Brettspiele zu spielen, 3D-Brillen zu tragen und vieles mehr. | |
Dabei helfen die einfachen, aber zielgerichteten Erklärungen auch besonders | |
den jüngeren BesucherInnen, schnell mit den jeweiligen Aufgaben | |
zurechtzukommen und die Botschaft, die dahinter steckt, zu begreifen. Am | |
Ende des Rundgang ein Zitat von Margaret Thatcher: „Es gibt keine | |
Alternativen zum Kapitalismus!“ Dieser These widersprechen die | |
Organisatoren vehement und präsentieren Alternativen. Um diese zu erfahren, | |
muss man sich nur nach Kreuzberg aufmachen. Der Eintritt ist – ganz | |
unkapitalistisch – frei. | |
25 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Martin Horn | |
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