# taz.de -- Ärger um Clublärm in Berlin: Das ewige Bum-bum | |
> Entlang des Kanals an der Berliner Lohmühleninsel gibt es immer mehr | |
> Clubs. AnwohnerInnen sind von dem Lärm zunehmend genervt. | |
Bild: Schön, der Blick auf die Lohmühleninsel. Den gibt's aber nicht ohne ent… | |
An einem Samstagnachmittag auf der Schlesischen Straße, zwischen | |
Landwehrkanal und Flutgraben: Es herrscht Berliner-Sommer-2018-Extremhitze | |
und Rummelplatzatmosphäre. Verschiedene Sprachen sind zu vernehmen, vor | |
allem Touristen sind auf der Suche nach dem berühmten Berlin-Vibe, nach | |
lässigem Partymachen, das hier beinahe rund um die Uhr möglich ist. | |
Direkt an der Brücke über den Flutgraben befindet sich der Club der | |
Visionäre, die wohl traditionsreichste Open-Air-Party-Location Berlins. Die | |
Besucher drängeln sich, es wird getanzt, die Stimmung ist blendend. Von den | |
vielen Clubs auf der Lohmühleninsel, die man von der Brücke aus im Blick | |
hat, pumpen einem noch mehr Beats entgegen. Ausgehläden wie die Ipse und | |
Birgit & Bier haben ihre Gärten geöffnet, die DJs haben schon zu dieser | |
Uhrzeit ihre ersten Schichten. | |
Doch dafür, dass sich hier ein Club mit Freiluftbespaßung neben dem anderen | |
befindet, Massen an Menschen unterwegs sind und auf kleinstem Raum DJs ihr | |
Technogebimmel unter freiem Himmel ausbreiten, ist es eigentlich | |
vergleichsweise ruhig und entspannt. | |
Es ist wirklich nicht so, dass man sein eigenen Wort inmitten der | |
Rundumbeschallung nicht mehr verstehen würde. Und bewegt man sich ein paar | |
hundert Meter den Flutgraben entlang weg von der Spree in Richtung Neukölln | |
und Kreuzberg, wird es immer ruhiger, man bekommt kaum noch etwas mit von | |
dem Trubel. Außer einem dumpfen, wie in Watte gehüllten, kontinuierlichen | |
Bum-bum. Kaum vernehmbar, aber doch da. | |
Das muss er sein, der tieffrequente Schall, verursacht von den | |
Technobässen, der sich über das Wasser trägt und von den Anwohnern hier | |
inzwischen als äußerst nervig empfunden wird. | |
Der Schrecken, der über das Wasser kommt, ist nichts Neues in Berlin. Schon | |
seit Jahren gibt es die Bürgerinitiative „Stralau gegen Lärm“, die | |
immerhin als Erfolg verbucht hat, dass es auf dem Veranstaltungsort Insel | |
der Jugend, mitten in der Spree am Treptower Park gelegen, inzwischen keine | |
Musikveranstaltungen in ernst zu nehmender Lautstärke mehr geben darf. | |
## Dem Lärm schutzlos ausgesetzt | |
Denn Schall breitet sich über Wasser besser aus als durch die Luft, | |
außerdem wird er in Stralau durch nichts gebrochen. Die Halbinsel ist dem | |
Lärm, der über das Wasser geleitet wird, mehr oder weniger schutzlos | |
ausgesetzt. Rüdiger Lange von der Initiative sagt, er sei Anfang 2000 nach | |
Stralau gezogen, als es dort noch ruhig und beschaulich zugegangen sei: | |
„Damals passierte hier praktisch nichts.“ | |
Erst nach und nach sei es zu einer „großen Anzahl genehmigter und | |
ungenehmigter Lärmquellen“ gekommen. Illegale Partys, Trommler im Treptower | |
Park, immer mehr Clubs am Ostkreuz und der Elsenbrücke. Und Partyboote, die | |
zu jeder Tages- und Nachtzeit über die Spree schipperten und, so Lange, das | |
Übel schlechthin seien. „Die haben keinerlei Schallschutz und deren Lärm | |
wird direkt an der Wasseroberfläche reflektiert.“ | |
Anfangs habe man beim Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, zu dem Stralau | |
gehört, wenig Verständnis für die Lärmthematik der Anwohner gehabt, so | |
Lange. Dann habe es diverse Mediationsverfahren gegeben und inzwischen habe | |
sich die Lage „deutlich verbessert“. Gegen illegale Partys werde | |
konsequenter vorgegangen, die Clubs hielten sich weitgehend an die Zusage, | |
nicht zu laut bei Open-Air-Veranstaltungen zu sein, die Wasserschutzpolizei | |
stoppe nach 22 Uhr Partyboote konsequenter. Durch all diese Maßnahmen sei | |
das „Gesamtlärmniveau deutlich gesenkt worden“, so Lange. | |
In einem vergleichbaren Prozess befinden sich gerade die Betreiber der | |
Clubs auf der Lohmühleninsel und die Anwohner entlang des Flutgrabens. Ein | |
runder Tisch wurde einberufen, zwei Treffen haben bereits statt gefunden, | |
weitere sollen folgen. Erste Ergebnisse gibt es schon, und ein Katalog mit | |
kurzfristigen Maßnahmen zur Verbesserung der Situation wurde erstellt. | |
Darin verpflichten sich die Clubs, ausschließlich eingepegelte und | |
verplombte Musikanlagen einzusetzen. Außerdem gibt es seit Mitte Mai einen | |
sogenannten Nachtruhewächter, der für die Anwohner nachts zu erreichen ist | |
und bei Beschwerden mit einem Schallmessgerät die zu lauten Geräuschquellen | |
aufzuspüren hat. | |
## Erstmal passiert: nichts | |
Die Einführung der Beschwerdehotline ist jedoch nur ein Pilotprojekt, das | |
noch in diesem Monat ausläuft. Längerfristig, so heißt es in dem | |
Maßnahmenkatalog weiter, der unter der Ägide der Berliner Clubcommission | |
entstanden ist, solle an einer Verbesserung des Schallschutzes gearbeitet | |
werden. Konkreter wird man hierzu freilich nicht. Sicher ist nur: In diesem | |
Sommer wird diesbezüglich nichts mehr laufen. | |
Susanne K., eine der Anwohnerinnen, die schon mehrfach bei dem erwähnten | |
Nachtruhewächter angerufen hat, weil sie wegen des Bum-Bums nicht schlafen | |
konnte, reicht das alles nicht. Sie möchte nicht mit ihrem richtigen Namen | |
genannt werden, weil sie Angst davor hat, öffentlich als Spaßbremse und | |
Spießerin gebrandmarkt zu werden. „Dabei bin ich eigentlich selber eine | |
alte Technobraut“, sagt sie. Mit anderen Betroffenen ist sie nun Teil der | |
Initiative gegen Clublärm am Flutgraben. | |
Susanne K. steht der Frust auf die Stirn geschrieben. Sie wohnt ein paar | |
hundert Meter von der Lohmühleninsel entfernt, sei aber nur noch möglichst | |
selten daheim, sagt sie: „Wann immer es geht und an den Wochenenden sowieso | |
verlasse ich Berlin.“ Die Situation sei einfach nicht auszuhalten. | |
In den Sommermonaten sei es jeden Tag außer Mittwoch dasselbe: Ab ungefähr | |
16 Uhr bis zum Morgengrauen krieche dieses ewige Bum-bum das Wasser | |
entlang und dann durch ihre vier Wände. „Ich freue mich immer, wenn es | |
regnet, dann fallen die Freiluftpartys aus.“ In diesem Jahr wartet sie | |
darauf angesichts des staubtrockenen Sommers vergeblich. Sie fühle sich | |
hilflos, der Situation ausgeliefert, die ihr belege: „Zu sagen hat hier in | |
Berlin derjenige, der laut ist.“ Dabei, so führt sie fort, „sollte es auch | |
das Recht auf Stille geben“. | |
## Niemand will zuständig sein | |
Sie, eigentlich typische Friedrichshain-Kreuzberger Linke, habe allein | |
schon in diesem Jahr unzählige Male bei der Polizei angerufen und sich über | |
den Partylärm auf der Lohmühleninsel beschwert. „Die Polizei sagt dann, | |
dafür ist das Ordnungsamt zuständig. Das Ordnungsamt verweist einen zum | |
Umweltamt. Das Umweltamt sagt: Rufen Sie beim Bauamt an.“ Die | |
Nachtruhewächter habe sie auch schon mehrfach angerufen. Danach werde es | |
meist für eine Weile deutlich leiser, dann sei alles wieder wie vorher. | |
„Die Clubs schrauben sich mit der Lautstärke einfach immer wieder | |
gegenseitig hoch“, glaubt K. „Das macht einen krank, das ist Folter, | |
Körperverletzung.“ Zwei Nervenzusammenbrüche habe sie bereits gehabt und | |
sie überlege, wegzuziehen. Die Clubs müssten ernsthafter in den | |
Schallschutz investieren. Außerdem ist K. der Meinung, dass sechs Tage die | |
Woche in den Sommermonaten Open-Air-Remmidemmi einfach zu viel seien. | |
Gerne hätte man jetzt ein paar Stellungnahmen von Clubbetreibern | |
präsentiert. Doch von den wichtigsten Läden auf der Lohmühleninsel wollte | |
sich niemand gegenüber der taz äußern. Niemand vom Birgit & Bier, niemand | |
vom Club der Visionäre, niemand von der Ipse. | |
So unzufrieden Susanne K. mit den bisherigen Ergebnissen des runden Tisches | |
zwischen den Betreibern der Lohmühleninselclubs und den Anwohnern ist, so | |
wenig Verständnis hat Lutz Leichsenring, Pressesprecher der Clubcommission, | |
für diese Unzufriedenheit. Er spricht von einem „längerfristigen Prozess | |
mit den Anwohnern“, in dem man sich gerade befinde. Diese seien weiter dazu | |
aufgefordert, Lärmprotokolle zu erstellen, und die Auswertung des Projekts | |
Nachtruhewächter stehe ja auch erst noch an. | |
## Der Runde Tisch kommt gut an | |
Die ganze Situation habe sich aber schon merklich verbessert und der runde | |
Tisch komme bei den meisten Betroffenen gut an. Der letzte offizielle | |
Meinungsaustausch sei ihm gegenüber von einem Anwohner als | |
„Leuchtturmveranstaltung“ bezeichnet worden. | |
Die Mutmaßung von Susanne K., dass manche Clubs ihre verplombten Anlagen | |
einfach gegen unverplombte eintauschen würden, hält er für „Quatsch“, das | |
sei technisch viel zu aufwendig. Konfrontiert damit, dass Susanne K. trotz | |
bereits vorgenommener Einpegelungen und Verplombungen immer noch unter dem | |
Clublärm leide, sagt er: „Es geht nicht um die Frage, ob jemand gefühlt | |
Probleme hat, sondern darum, dass immissionsschutzrechtlich alles in | |
Ordnung ist.“ | |
Das Umweltbundesamt, das sich mit tieffrequenten Geräuschen | |
auseinandergesetzt hat, zu denen auch repetitive Technobässe gehören, | |
schreibt in einer Studie, es könne auch trotz Einhaltung | |
immissionsschutzrechtlicher Richtlinien im Umfeld von „Anlagen mit | |
tieffrequenten Immissionsanteilen zu Beschwerden von Anwohnerinnen und | |
Anwohnern kommen, die sich von derartigen Anlagen belästigt und in ihrer | |
Gesundheit beeinträchtigt fühlen“. Und weiter: „Hinsichtlich tieffrequent… | |
Geräusche fehlt es an wissenschaftlich gesicherten Grundlagen über die | |
Wirkungsgrenzen. Ein diesbezüglich angemessenes Schutzniveau steht zur | |
Diskussion.“ | |
Auch wenn dann irgendwann immissionsschutzrechtlich alles in Ordnung sein | |
sollte zwischen Lohmühleninsel und Flutgraben, könnte es also sein, dass | |
Susanne K. die Ruhe, nach der sie sich so sehr sehnt, doch nie ganz | |
bekommen wird. | |
10 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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