Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die letzten Tage des Bassy-Clubs in Berlin: Noch ein Mal krachen la…
> Seit über 20 Jahren hat sich der Cowboy Club Bassy „Wild Music before
> 1969“ verschrieben. Zum Monatsende muss er nun aufhören. Eine
> Liebeserklärung zum Abschied.
Bild: So etwas wie die Bassy-Hausband: die Berliner Rhythm & Beat ORGANization
Die Mitgliedsmarke behalte ich. Selbst wenn der Schlüsselbund schon ächzt
und die Marke aus massivem Messing ist, eine 7 x 2 Zentimeter große
Scheibe, eingestanzt ist meine Nummer – ich bin Mitglied Nr. 255 – und der
Schriftzug: „BASSY“.
Das Logo soll wohl zwei gekreuzte Gewehre darstellen, man erkennt das nicht
so genau. Die symbolischen Schießeisen waren glücklicherweise schon immer
eher der Retroaffinität des selbst ernannten „Cowboy Clubs“ geschuldet als
einer tatsächlichen Vernarrtheit in Waffen. Hier wird getanzt, nicht
gekämpft.
Aber wo soll denn jetzt bloß getanzt werden, nach der nächsten, der letzten
Woche des Clubs? Der der Gentrifizierung, die ja eigentlich eine
„Zerstörung“ ist, nach Jahren nicht mehr standhalten kann und sich
angesichts einer monströsen Mieterhöhung aus dem Staub macht? Vielleicht
ist man auch ein bisschen müde geworden.
## Start 1997 im Gartenhhaus
Tammi Torpedo, der dereinst wenige Jahre nach dem Mauerfall aus München
emigrierte Betreiber, hatte seinen Club erstmals 1997 in einem
zurückliegenden Gartenhaus in der Schönhauser Allee links neben dem
Pfefferberg eröffnet, an der Wand ein großes Robert-Redford-Bild, auf der
Bar ausgestopfte Tiere, hinter dem DJ-Pult 50s- und 60s-Afficionados mit
Vinyl im Koffer.
Der Club war mehrmals umgezogen – im S-Bahn-Bogen am Monbijoupark hatte es
mit Gardinen geschützte Knutschkabinen gegeben, und dass sich bereits
damals zu viele Touristen in den Laden verirrten, das nervte zwar. Aber war
im Gegensatz zu den Massen, die heute die Gegend nach Franchise-Geschäften
absuchen, natürlich rein gar nichts.
Die Räume im Erdgeschoss des Pfefferbergs, Schönhauser Allee 176 A, wurden
ab 2006 schließlich das Bassy, wie es noch eine Woche existiert: eine
Raucherbar, eine Konzerthalle, dazwischen eine Garderobe und die
dreckigsten Toiletten der Welt. Was okay ist, irgendwie; „Wild Music
before 1969“ war und ist das Motto – ja wo kämen wir denn da hin, wenn
jenes „wild“ ausgerechnet vor den Toiletten haltmachte?!
Und so ignorierte man fehlendes Klopapier und laufende Wasserhähne,
zuppelte den Vintagezwirn kurz vor dem Spiegel zurecht und ging tanzen,
rauchen, trinken und Livemusik angucken – jede Menge vom fast vergessenen
Vorplatz des Rock ’n’ Roll gekratzte, großartige KünstlerInnen wie Wanda
Jackson und Sky Saxon spielten dort. Oder Andre Williams, anzüglicher
Anzugträger und dreckiger Großvater des Sleaze Rock ’n’ Roll.
Dazu Retrobands aus aller Welt, Rockabilly und Rock ’n’ Roll, R ’n’ B,
Soul, Garage, Mod, Swing, Blues, Funk, Country und Western, Psychedelic.
Burlesque- und Ballroom-Partiereihen, Soul Explosions, Gay- und
Drag-Veranstaltungen, garniert von Tattoos galore. DJs, die wie ein Mantra
„all killer no filler“ vor sich hin beten. Die Rhythm & Beat ORGANization,
Berlins älteste und verlässlichste Cover-Band jenes Segments, jammte und
stemmte dabei gefühlt wöchentlich mehrere Liter Cuba Libre, auch sie wird
jetzt obdachlos und muss in die Fußgängerzone. Schön ist das alles nicht.
Aber man hatte die Entwicklung vorausgeahnt, hatte die Symptome der Kiez-
(und Stadt-)veränderung auch im Bassy längst wahrgenommen. Die Sache mit
der Clubmarke spielte schon lange kaum mehr eine Rolle, und an einem Abend
im letzten Sommer hatte sich – gleich einem bösen Omen – ein Tourist mit
Rucksack (!) am scheinbar unaufmerksamen Türsteher vorbeigeschmuggelt.
Und nicht nur das: An den ohnehin unförmigen Rucksack hatte er ein
Skateboard gebunden, mit den Rollen nach außen, und schrappte damit gegen
die Tanzenden. Eine größere vestimentäre Beleidigung für den/die FreundIn
geschmackvoller Kleidung als einen Rucksack gibt es bekanntlich nicht. Dass
der junge Mann nicht von aufgebrachten Modettes und Tollenträgern gehenkt
wurde, ist ein Wunder.
## 60s-Gemeinde dünnt aus
Dass das Bassy an Wochentagen, zuweilen auch freitags den großen
Konzertraum nicht mehr öffnete, lag vermutlich an ausbleibenden Gästen –
die schummerige Loungebar musste reichen, und tat es zunehmend auch. Die
Berliner 60s-Gemeinde, die keine wirkliche ist, denn dafür sind ihre
Mitglieder zu unterschiedlich, dünnt (genau wie ihre Frisuren) aufgrund von
Alter, Müdigkeit und Arbeitsstress aus – wer hat denn noch Zeit, an jedem
stinknormalem Montag die Nacht zum Tag zu machen?
Nachwuchs ist nicht in Sicht, weil nischige Jugendkulturen einen großen
Teil ihres Reizes verloren haben, seit man nicht mehr umständlich und
leidenschaftlich auf Flohmärkten und in Secondhand-Boutiquen nach ihren
Insignien suchen muss, sondern sie sich bequem per Klick nach Hause
schicken lassen kann. Zudem haben Szenen ausgedient, die Generationen Y und
Z möchten sich nicht mehr vom Mainstream abgrenzen.
Und überhaupt tanzt niemand um die 20 gern zwischen medioker betrunkenen
50-Jährigen, selbst wenn sie gut gekleidet sind. Für die sehen wir
schließlich aus, als würden wir nicht nur auf die 60er stehen, sondern
hätten sie aktiv miterlebt.
## Herzzerreißende Interieur-Versteigerung
Somit ist die Schließung des Clubs, die von einer herzzerreißenden Technik-
und Interieur-Versteigerung begleitet wird, keine wirkliche Überraschung.
Sogar das großformatige, vollgequalmte Robert-Redford-Bild, auf dem er so
attraktiv ist, dass man heulen könnte, ist erwerbbar, dazu der mächtige
Kronleuchter aus dem alten „Inter Hotel“.
Das Bassy-Ende, dem der zwanghafte Abzug des White Trash voranging, ist nur
eine der vielen Kiezsanierungen, die unsere Stadt homogener und universaler
machen und ihr die Seele rauben. Zurück bleibt auf der Schönhauser Meile
nur die wackere 8mm-Bar, die jetzt allein weiterkämpfen muss.
Zum Abschied lässt es das Bassy jedoch noch einmal krachen, und fährt ab
kommenden Dienstag eine Woche lang alles auf, was Hemden trägt und
Eyelinerstriche ziehen kann: unzählige Bands und noch mehr DJs. Vielleicht
hat ja einer einen Vorschlag, wo man seine Tanzwut in Zukunft hintragen
kann.
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
23 Apr 2018
## AUTOREN
Jenni Zylka
## TAGS
Clubsterben
Beat
Clubszene
Lesestück Interview
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ärger um Clublärm in Berlin: Das ewige Bum-bum
Entlang des Kanals an der Berliner Lohmühleninsel gibt es immer mehr Clubs.
AnwohnerInnen sind von dem Lärm zunehmend genervt.
Trixie Trainwreck im Interview: „Leo-Muster wird nie altmodisch“
Sie singt auch auf ihrem neuen Album vom Weggehen und ist doch in Berlin
sesshaft geworden: Trixie Trainwreck, Musikerin und Veranstalterin.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.