| # taz.de -- Die steile These: Techno muss sterben | |
| > Elektronische Tanzmusik begleitet heute vor allem das Ballern | |
| > synthetischer Drogen. Die Szene ist alt und reich geworden. Also: Geld | |
| > raus, Bass rein. | |
| Bild: Menschen, die am Berghain anstehen: Techno als Standortfaktor wie hier in… | |
| Schaut man sich die Vitalfunktionen von Techno an, ist nicht mit | |
| hundertprozentiger Sicherheit zu sagen, ob der Spiegel noch beschlägt, wenn | |
| man ihn dem Patienten vor Mund und Nase hält. Die Speerspitze in der | |
| Soundforschung ist elektronische Tanzmusik jedenfalls schon länger nicht | |
| mehr. Die alle sozialen Schichten umspannende Jugendkultur dieser Tage | |
| heißt Rap. | |
| Die meisten Techno-Vergnügungsstätten dieser Welt bieten einen Soundtrack, | |
| der allenfalls das Ballern synthetischer Drogen schwungvoll begleitet | |
| (statt umgekehrt) und bei dem sich Drinks in Plastikbechern zügig über den | |
| Tresen schieben lassen. In den Strandclubs von Tulum, dem Festival in der | |
| Wüste Nevadas, den Bruchbuden-Clubs in Berlin hat sich ein Schunkelsound | |
| durchgesetzt, zu dessen Highlights gehört, wenn mal ein Beatles-Refrain | |
| ertönt. Zergliedert ist die Szene, größtenteils alt geworden. Reich. Eine | |
| Bluttransfusion könnte nicht schaden. Aber vielleicht muss Techno auch | |
| einfach sterben. | |
| Wie schlecht es um ihn steht, wurde am Montag deutlich, [1][als Dr. Motte] | |
| in einem tristen Einkaufszentrum in Berlins Mitte verkündete, er wolle die | |
| von ihm jahrelang mitorganisierte Loveparade wieder aufleben, nebenbei | |
| Techno zum Weltkulturerbe erklären und auch noch einen Feiertag einrichten | |
| lassen. Gerne sogar international. Viel institutioneller kann eine | |
| ehemalige Jugendkultur kaum noch werden. | |
| Hinter dem heute 60-jährigen DJ, der in den letzten Jahren immer mal wieder | |
| mit Aussagen auffiel, die auch von Reichsbürgern oder Rechtsextremen | |
| unterstützt würden, stehen als Gesellschafter ein paar Geschäftsleute, die | |
| sonst im Consulting, in der Baubranche oder Immobilienentwicklung aktiv | |
| sind, aber auch am DDR-Museum oder einer Ausstellung über die wilden 90er | |
| in Berlin mitwirken. Es ist deswegen nicht so ganz klar, warum die | |
| gemeinnützige GmbH „Rave the Planet“ mit Crowdfunding finanziert werden | |
| soll. | |
| ## Im Mainstream angekommen | |
| Nun stellt sich natürlich zuallererst die Frage, ob man das Thema Parade | |
| überhaupt nochmal aufbringen muss, nachdem auf der (bisher) letzten | |
| Loveparade [2][vor zehn Jahren in Duisburg 21 Menschen zu Tode kamen]. Aber | |
| Techno, das ist heute eben etwas recht Nostalgisches: Vor der Fotogalerie | |
| C/O Berlin bildeten sich im vergangenen Herbst lange Schlangen vor der | |
| Ausstellung „No Photos on the Dancefloor“. | |
| Viele kamen sicherlich, um auf den Bildern aus 30 Jahren Berliner | |
| Technokultur sich und andere bekannte Gesichter zu sehen, weniger weil sie | |
| sich für Kunst interessierten. Denn im Club begegnen sie sich schon länger | |
| nicht mehr: die, die damals Techno mitgegründet und -gefeiert haben, sind | |
| heute alt, treffen sich mit Kunstsammlern, leiten konservative Zeitungen | |
| oder verbringen den Winter mit Ayahuasca-Ritualen in Peru. | |
| Elektronische Musik ist also längst im Mainstream angekommen. So sehr, dass | |
| ein gesetztes Feuilleton, konkret das der Süddeutschen Zeitung, das | |
| komplette Set – also die Liste der einzelnen Lieder – eines House-DJ | |
| abdruckt in dem Glauben, es gäbe da einen Mehrwert für die Leser, der über | |
| das Nachgoogeln einzelner Songs hinausgeht, und ignorierend, dass ein | |
| DJ-Set nur über die Ohren erlebbar ist (für gehörlose Menschen natürlich | |
| auch über die Vibration des Basses.) | |
| So sehr, dass selbst die CDU sich mittlerweile für den Erhalt der | |
| sogenannten Clubkultur einsetzt, weil auch sie erkannt hat, dass ein | |
| funktionierendes Nachtleben ein Standortfaktor ist, der Touristen anzieht, | |
| die allein Berlin angeblich 1,48 Milliarden Euro pro Jahr einbringen. Das | |
| zumindest will der Berliner Wirtschaftsverband der Clubbetreiber, die | |
| Clubcommission, errechnet haben. | |
| In Clubs werden mittlerweile Ausschusssitzungen von Bezirken abgehalten, | |
| weil die Politik Kulturorte schützen soll. Clubbetreiber starten | |
| Hashtag-Kampagnen namens #saveourspaces. Aber solange die Technoszene nicht | |
| kapiert, dass Clubsterben in Berlin auch heißt: Verdrängung von Alten, | |
| Armen und Kleingewerbetreibenden aus den Kiezen – und somit etwas ist, was | |
| man gemeinsam mit anderen Initiativen, die nicht aus der Privatwirtschaft | |
| kommen, bearbeiten muss –, wird es schwer, den Endgegner zu besiegen. | |
| Techno ist nicht die „Friede, Freude, Eierkuchen“-Familie, in der sich alle | |
| Menschen der Welt Schulter an Schulter an der Hitze ihrer Ecstasy-Tablette | |
| aufwärmen. Da streitet das Berghain vor Gericht um den zu zahlenden | |
| Mehrwertsteuersatz, da werden Clubs für große Firmenevents vermietet oder | |
| lassen sich von der Europäischen Union für eine „European Clubnight“ vor | |
| den Karren spannen. „Das Tanzen zu elektronischer Musik verbindet | |
| Geschlechter, Generationen, Nationalitäten, Religionen und soziale | |
| Schichten“, heißt es zwar in altbekannter Selbstüberhöhung in der Erkläru… | |
| von Motte und seinen Gesellschaftern, warum Techno Weltkulturerbe werden | |
| müsse. | |
| ## Glatzköpfige Proll-Raver | |
| Doch da muss man leider sagen: Leute, die nicht weiß sind, haben es immer | |
| noch schwerer an den Clubtüren. Und es mögen Menschen aus unterschiedlichen | |
| Schichten zu elektronischer Tanzmusik tanzen – aber die Überschneidung von | |
| Millionären, die in Ibiza in Clubs mit dreistelligem Mindestverzehr tanzen, | |
| mit glatzköpfigen Proll-Ravern ist doch recht gering. | |
| Wenn also Techno und Co. wieder zur vitalen, kreativen Kultur werden soll, | |
| die sie in ihrem Selbstverständnis ja immer noch ist, müsste sich die Szene | |
| mal gesundschrumpfen: raus mit den Parteien aus den Clubs, raus mit den | |
| Wirtschaftslobbyisten, weg mit DJs, die haupt- oder nebenberuflich ein | |
| Influencer-Leben führen und für Autos und Luxusmode Werbung machen. Weg mit | |
| den All-inclusive-Festivals, die ein paar hundert Euro Eintritt kosten und | |
| vor allem den internationalen Rave-Jetset beglücken. Weg mit dem | |
| idealisierten Überbau von Love und Peace und Harmony. | |
| Also: Geld raus, Bass rein. Dann schlägt das Herz vielleicht mal wieder mit | |
| 128 bpm. | |
| 18 Jan 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Laura Ewert | |
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