# taz.de -- DJ über Klimaschutz auf dem Dancefloor: „Seid gut zum Planeten“ | |
> Der kanadische Techno-Produzent und Star-DJ Richie Hawtin setzt seine | |
> Prominenz seit Langem ein, um für Klimaschutz zu sensibilisieren. | |
Bild: Optimismus weitergeben statt nihilistischem Sound: Richie Hatwin bei eine… | |
taz: Richie Hawtin, gerade rühren Sie die Werbetrommel für Ihre App „CLOSE | |
combined“. Aber mindestens so wichtig sind Ihre Aktivitäten beim | |
Klimaschutz. Wie kommt ’s? | |
Richie Hawtin: Die Welt ist ein crazy Ort, schon daran ersichtlich, dass | |
wir Kokosnusswasser aus Dosen trinken, hergestellt in Berlin. Immerhin | |
gestehen sich immer mehr Menschen ein, dass Klimaschutz zentral ist. | |
Mittlerweile kann ich darüber reden, ohne dass 90 Prozent des Publikums und | |
der Kolleg*innen mich bitten, ich solle endlich still sein. Gewissermaßen | |
nachvollziehbar: Mein Fachgebiet ist Techno, Musik ohne Worte, ich | |
kommuniziere meist mit Frequenzen. Das erlaubt leichter, der Realität zu | |
entkommen. Ausgerechnet der Typ, der gerade die Tänzerinnen hat entkommen | |
lassen, erinnert diese wieder an die Realität und mahnt. | |
Wann haben Sie angefangen, eine Sensibilität für die Umwelt zu entwickeln? | |
2007 wurde ich Vater eines Sohnes, da habe ich begonnen, über den Alltag | |
hinauszudenken. Und mein jüngerer Bruder, ein bildender Künstler, saß | |
damals an seinem Uni-Abschluss in Umwelttechnologie. Wir führten viele | |
Gespräche. Besonders viel Diskussionsstoff gab es wegen meines Jobs als DJ: | |
Dafür fliege ich ständig um die Welt. Grundsätzlich bin ich | |
technologiefreundlich. Aber in diesem Moment war die erste Priorität für | |
mich, Technologien zu finden, die mir erlauben, nicht zu reisen und doch zu | |
performen. In den letzten 15 Jahren hat gerade die digitale Technologie in | |
der Musik dazu geführt, dass wir rückständig wurden: Wir haben wieder | |
gelernt, Konzerte als das wahre Ding zu verstehen. Ich kann nicht komplett | |
darauf verzichten, für Gigs zu fliegen, aber ich habe Wege gefunden, | |
zumindest einen positiven Einfluss zu nehmen, durch CO2-Ausgleich für meine | |
DJ-Engagements und die Geschäftsflüge für mein Label. Übrigens verwenden | |
wir statt Plastik-CD-Hüllen nur noch solche aus Recycling-Papier! | |
Wie wird Klimaschutz in der Elektronik-Szene generell verhandelt? Auch | |
semibekannte DJs legen jedes Wochenende für mehrere Gigs in verschiedenen | |
Städten auf. | |
Dafür gibt es bis jetzt noch kein Bewusstsein. DJs sind eher interessiert | |
an Veganismus, weil sie verstehen, dass die Fleischindustrie mit schuld an | |
der Klimaerwärmung ist und schlecht fürs Tierwohl. Die gleichen Leute | |
reagieren aber verdutzt, wenn ich sie auf ihr Flugverhalten anspreche. Bei | |
Rockbands ist das früher anders gewesen, sie veröffentlichten Alben und | |
gingen damit danach auf Tour, meist so, dass die Wege zwischen den | |
Konzerten kurz waren. Für DJs gilt: Heute London, morgen Tokio, übermorgen | |
New York. Das ist nicht nur normal, sondern auch cool. Fans lieben es, wenn | |
solche Routen auf Instagram gepostet werden. Ich will nicht, dass Menschen | |
damit aufhören, zu mögen, was sie lieben, aber ich will, dass sich DJs | |
fragen, ob sie nicht anfangen wollen, das Geld, das sie verdienen, auch in | |
den Klimaschutz zu investieren. | |
Im Endeffekt ist das auch verwoben mit einem anderen Thema der | |
Nachhaltigkeit, das zuletzt oft verhandelt wurde: Psychohygiene von DJs. | |
Die Intensität der Techno-Community ist auch ohne Partys toxisch. Ich lebe | |
sehr gesund, aber ich bin auch sehr diszipliniert, gehe morgens um acht ins | |
Fitnessstudio, nachdem ich zuvor vier DJ-Gigs absolviert habe. Ich brauche | |
das für meine mentale Balance. Es ist ein harter Job, viel härter, als es | |
früher war, vor allem wegen Social Media. | |
Die klassische Lösung seit den Achtzigern war: „Lokal“ und „Regional“.… | |
das überhaupt auf die Dancefloor-Szene übertragbar? | |
Gerade weil sie so groß geworden ist, hat das Konzept des Clubs vor Ort | |
völlig an Bedeutung verloren. Kids aus London können billiger eine Nacht in | |
Berlin feiern als in London. Wer wollte ihnen das Reisen verbieten? | |
Gleichzeitig stelle ich bei Jüngeren fest, dass sie insgesamt viel | |
bewusster leben. Sie achten auf saisonales Gemüse und regionale Produkte – | |
vielleicht reflektiert das ja irgendwann wieder zurück auf die DJ-Szene, | |
fragt sich nur, wann. Gerade, dass die Szene so verschiedene Menschen | |
zusammenbringt, macht es ja so spannend – toll an Techno war schon immer, | |
dass es nie nur nationale Diskurse gegeben hat. | |
Das Selbstbild von elektronischer Tanzmusik ist seit ihren Anfängen | |
politisch. Zumindest gab es ein politisches Bewusstsein, was Identitäten | |
anbelangt, etwa [1][Queerness] und [2][Blackness]. Es gibt gewisse | |
Zuneigung den Nächsten gegenüber. Aber dabei ging es um den einen Moment, | |
der gegenkulturell hergestellt wird. Nachhaltigkeit ist ja fast das genaue | |
Gegenteil davon. Wie könnte diese Szene das adaptieren? | |
Ja, das ist merkwürdig, natürlich. Aber das gilt doch eher für die Anfänge. | |
Hedonismus und Gegenkultur sind keine Attribute, die ich dem Dancefloor von | |
heute geben würde. Wenn ich eine Industrie wäre, würde ich doch dafür | |
sorgen, dass ich auch noch in der Zukunft existiere. | |
Warum ist es so schwer, Problembewusstsein zu entwickeln, angesichts der | |
drohenden Klimakatastrophe? | |
Bisher waren die Veränderungen im Alltagsleben einfach so mikroskopisch, | |
dass es niemand interessiert hat. Erst seit ein, zwei Jahren sind die | |
Nachrichten voll mit Themen, die offensichtlich mit dem Klimawandel zu tun | |
haben. Hitzewellen, [3][Feuersbrunst im Amazonas], Naturkatastrophen. In | |
Berlin werden mittlerweile selbstverständlich Klimaanlagen in neue | |
Wohnungen eingebaut. Der Klimawandel ist definitiv angekommen. Aber als | |
Thema ist er immer noch zu abstrakt, um zu verstehen, welchen Einfluss man | |
als Einzelner hat. | |
Wie kann elektronische Musik mit ihrem manchmal dystopischen Futurismus | |
dabei helfen, solch ein Bewusstsein zu wecken? | |
Nihilistischen elektronischen Sound gab es immer. Aber Detroit-Techno, wo | |
ich ursprünglich herkomme, hat immer eine positive Zukunft verhandelt. Die | |
Apokalypse war im bankrotten Detroit ja bereits eingetreten, es gab keine | |
Infrastruktur mehr. Wir mussten vorwärts schauen, um es für uns erträglich | |
zu gestalten. Diesen Optimismus will ich weitergeben. Ich bin kein Hippie, | |
aber: Gut zu den Mitmenschen und zum Planeten sein, kostet keine Energie. | |
20 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Neues-Album-von-Daniel-Haaksman/!5568081 | |
[2] /Neues-Album-von-Equiknoxx/!5625557 | |
[3] /Waldbraende-in-Brasilien/!5618016 | |
## AUTOREN | |
Steffen Greiner | |
## TAGS | |
Tanzen | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Techno | |
DJ | |
Schwerpunkt Klimaproteste | |
Techno | |
elektronische Musik | |
Schwerpunkt Fridays For Future | |
CO2-Emissionen | |
Anti-Atom-Bewegung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die steile These: Techno muss sterben | |
Elektronische Tanzmusik begleitet heute vor allem das Ballern synthetischer | |
Drogen. Die Szene ist alt und reich geworden. Also: Geld raus, Bass rein. | |
Debütalbum von Produzent Afriqua: Erntezeit in Charlottenburg | |
Und mit den Drums kommt der Funk ins House: US-Künstler Afriqua hat an | |
seinem Album „Colored“ im alten Berliner Westen gewerkelt. | |
Eckart von Hirschhausen übers Klima: „Es braucht Protestler und Profis“ | |
Er ist Gründer von „Doctors for Future“, Mediziner und Kabarettist. Eckart | |
von Hirschhausen erklärt, warum er den Klimawandel mitverbockt hat. | |
Naomi Klein über die Klimakrise: „Beginn der Ära der Klimabarbarei“ | |
Was kann man tun, um den Klimawandel zu stoppen? Nichts, sagt die Autorin | |
Naomi Klein. In ihrem neuen Buch sucht sie dennoch nach Lösungen. | |
Sieben Thesen zur Klimabewegung: Kampf gegen die Hydra | |
Der bislang größte Erfolg einer sozialen Bewegung in Deutschland war der | |
Atomausstieg. Eine Blaupause für das „Wie weiter?“ nach dem Klimastreik? |