# taz.de -- Debütalbum von Produzent Afriqua: Erntezeit in Charlottenburg | |
> Und mit den Drums kommt der Funk ins House: US-Künstler Afriqua hat an | |
> seinem Album „Colored“ im alten Berliner Westen gewerkelt. | |
Bild: „Ursprünglich war ‚colored‘ kein beleidigender Begriff“, erklär… | |
„Ich habe einen immer wiederkehrenden Traum. Darin arbeite ich fieberhaft | |
an einem Dancefloor-Track ohne jeden Beat: Kurz bevor ich verzweifelt | |
aufgebe und doch wieder die Roland-808-Drum-Maschine anschmeiße, wache ich | |
auf.“ Mit 27 hat man noch Träume! [1][Adam Longman Parker] verwirklicht | |
nicht alle. Einen aber hat er wahr gemacht, eingeflüstert vom | |
afroamerikanischen Kulturkritiker Amiri Baraka (1934–2014) im Schlaf. | |
Afriqua, wie sich Longman Parker als Künstler nennt, hat dazu einen | |
Breakbeat gemacht, der zickzack tanzt, um Barakas aus einem Interview | |
gesampelte Stimme – der denkt dabei laut über das Ghetto seiner Heimatstadt | |
Newark nach. Stimme und Rhythmus kommen sich immer wieder in die Quere und | |
kollidieren. Ein Satz Barakas wiederholt Afriqua dabei mantraartig: „It’s | |
called dope.“ | |
Meinte Amiri Baraka damit, dass etwas richtig toll ist, oder sinnierte er | |
über Dope als Slangbegriff? Das löst Afriquas Musik nicht auf, dafür | |
suggeriert sie fast schon unheimlich coole Anspannung: Allmählich fächern | |
sich Akkorde eines durch Vibrato verzerrten Fender-Rhodes-E-Pianos auf, und | |
die Saiten eines Kontrabasses klingen schmatzend nach, weitere, | |
undefinierbare Laute einer menschlichen Stimme werden hörbar. Dazwischen | |
fällt immer wieder das Sample von Baraka: „It’s called dope.“ | |
## Broken-Beats und HipHop | |
„Dope“ heißt auch der Track, der sich weit vorne auf [2][„Colored“] | |
befindet, dem Debütalbum von Afriqua, das heute veröffentlicht wird. | |
Longman Parker wohnt in Charlottenburg, was so ungefähr das Gegenteil vom | |
Ghetto in Newark ist. Das Café Einstein, wo er die taz zum Gespräch trifft, | |
ist sicher nicht der Ort, an dem seine deepen House-Tracks als Erstes in | |
Berlin aufgelegt wurden. | |
Charlottenburg ist für Longman Parker der beste Ort, um konzentriert an | |
Musik zu arbeiten. Hierher kam er 2012, um seine stilistische Palette zu | |
erweitern. Jetzt erntet er die Früchte. Die 16 Tracks von „Colored“ nehmen | |
die HörerInnen mit auf eine Reise durch verschiedene Sphären von Clubsound. | |
Es gibt Interludes, kurze, souveräne Zwischenspiele. | |
Da sind zerklüftete Broken-Beat-Tracks, die einen bei der Stange halten, | |
und ein HipHop-Stück, bei dem man nicht zugetextet wird, sondern vom Flow | |
der Reime mitgerissen wird. „Colored“ hat richtige Peaktime-Smasher, die | |
direkt auf Füße und Hüften zielen. Es ist keine Tracksammlung, in der | |
einzelne Stücke lieblos aneinandergereiht sind, „Colored“ ist ein Album mit | |
einer Dramaturgie, die nie langweilig wird. Sounds, deren Musikalität sich | |
in jeder Sekunde überträgt. | |
„Wenn ich komponiere, begebe ich mich bewusst in den Zwischenraum von | |
Rhythmus und Melodie, weil dann Fliehkräfte mich gleichzeitig in alle | |
Richtungen schicken. Das muss so sein! Bei ‚Dope‘ habe ich mich zuerst von | |
dem Baraka-Sample inspirieren lassen, er war ja ein Chronist seiner | |
Heimatstadt und hat Blackness oft ironisch kommentiert. Dann entschied ich | |
mich, seinen Worten ein E-Piano-Motiv an die Seite zu stellen. Und mit den | |
Drums kommt bei mir meistens der Funk ins House.“ | |
Longman Parker lässt sich auch von außermusikalischen Parametern | |
beeinflussen: So wie bildende KünstlerInnen erst mal nach geeignetem | |
Arbeitsmaterial suchen, so forscht er nach Klangstrukturen. „Ich versuche, | |
synthetische Sounds immer neu zu kombinieren, Samples so zu bauen, dass sie | |
mich beim Arrangieren weiterbringen. Erst dann entstehen meine Melodien. | |
Ich muss sie dann nur noch einfangen.“ | |
## Der Oldschool der Ostküste | |
Longman Parkers Laufbahn verläuft mindestens so zickzack wie seine Tracks. | |
Aufgewachsen ist er in Hampton Roads, Virginia, einem Knotenpunkt von | |
Nuller-Jahre-HipHop: Pharrell, Timbaland und Missy Elliott, drei der | |
prägenden Produzenten, kommen von dort. Virginia gehört faktisch zu den | |
US-Südstaaten, aber die Hauptstadt Washington ist nicht weit. | |
Longman Parker ging mit seinem älteren Bruder schon als Steppke zu | |
HipHop-Jams. Im Alter von 12 begann er zu deejayen und legte bald bei | |
Mixbattles mit allen Oldschool-Legenden an der Ostküste auf. Parallel fing | |
er an, Klavier zu spielen, besuchte eine Performing-Arts-Highschool und | |
erhielt ein Stipendium, mit dem er sich klassisch ausbilden ließ. | |
Damit schaffte er es bis nach London und studierte an der Royal Academy of | |
Music. In Berlin kommt Longman Parker all das zugute: seine | |
Black-Music-Sozialisation, die Plattensammlung der Familie und das | |
Interesse an allen Formen von Komposition. „Colored“ ist erst sein | |
Debütalbum, aber es hat einen zündenden Masterplan: „Ich zelebriere damit | |
Black Music in all ihren Facetten“, erklärt Adam Longman Parker, der | |
jüdische und afroamerikanischen Wurzeln hat. | |
„Ich denke beim Musikmachen nicht daran, ob sich das kommerziell verwerten | |
lässt. Das widerspricht dem, was mich am meisten inspiriert: Musik, die | |
nicht leicht zu kategorisieren ist. Künstler, deren Werke selbst | |
genrebildend sind. Mir fallen da Parliament und Funkadelic ein, genauso wie | |
ein Claude Debussy.“ | |
Aber zurück zu Amiri Baraka, der einst vom „changing same“ der | |
afroamerikanischen Musik gesprochen hat und damit den „Impuls des Blues“ | |
meinte, den er in der DNA aller afroamerikanischer Genres aufspürte: | |
Longman Parker nimmt diesen Gedanken in seinem Sound mit auf. „Es geht mir | |
nicht um Deephouse oder Techno, um Soul oder Disco, nennen wir es einfach | |
Black Music. Das ist was anderes als ein Pastiche aus verschiedenen | |
Elementen.“ | |
Wie wirkmächtig das Erbe erscheint, hat Afriqua erst in Berlin kapiert, als | |
er Flyer sah, die „Black Music Parties“ anpriesen. „Colored“ ist ein | |
Albumtitel, der einen aber auch zum Grübeln bringt: War das nicht eine | |
abfällige Bezeichnung für Schwarze, zu Zeiten der Segregation? | |
„Ja, das ist absichtlich kontrovers. Ich finde das weit weniger | |
spalterisch, wenn man ‚colored‘, also ‚farbig‘, aus dem alten Kontext | |
reißt. Sicher kennen alle Fotos aus den sechziger Jahren, auf denen | |
Schwarze zu sehen sind, die in abgesperrten Bereichen auf den Bus warten | |
müssen. Das waren schreckliche Zeiten! Ursprünglich aber war ‚colored‘ | |
kein beleidigender Begriff. Ich persönlich finde ‚farbig‘ viel zutreffender | |
als ‚schwarz‘. Außer den Weißen sind doch alle Menschen farbig. Irgendwie | |
ahnte ich, dass das der Titel meines Albums werden würde. Die Musik habe | |
ich erst komponiert, als der Titel für mich feststand.“ | |
Longman Parkers Eltern stammen aus dem ländlichen Louisiana, wo es | |
außerhalb von New Orleans zu Zeiten der Bürgerrechtsbewegung besonders | |
segregiert war. Heute ist Afriqua froh darüber, dass das Berliner | |
Nachtleben die Musik afroamerikanischen KünstlerInnen als originär | |
akzeptiert. Da hier die schwarzen Ursprünge des Dancefloor anerkannt seien, | |
Werke von Produzenten aus Detroit und Chicago geschätzt würden, konnten in | |
den USA Karrieren überhaupt nur fortgeführt werden. Was die Situation in | |
seiner Heimat anbelangt, bleibt er trotz allem optimistisch. | |
Für Adam Longman Parker macht es keinen Sinn, dass Schwarze in der | |
Opferrolle verharren. „Meine Generation steht doppelt in der Verantwortung. | |
Einmal, weil wir nie vergessen dürfen, wie mies wir in der Vergangenheit | |
behandelt wurden. Wie krass die Benachteiligung war. So eine Form von | |
Rassismus dürfen wir nie wieder zulassen. Andererseits dürfen wir nicht | |
vergessen, dass uns heute viel größere Möglichkeiten offenstehen. Deshalb | |
haben wir die Verantwortung, dass wir daraus etwas Positives gestalten. | |
Auch dafür steht meine Musik.“ | |
3 Oct 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.residentadvisor.net/dj/afriqua | |
[2] https://afriqua.bandcamp.com/album/colored | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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