# taz.de -- Kommerzialisierung der Technoszene: TikTok Techno | |
> Die Kommerzialisierung der Technoszene setzt die Branche massiv unter | |
> Druck. Auch der Unesco-Status wird diese Entwicklung nicht aufhalten | |
> können. | |
Bild: Früher war mehr Lametta: Die letzte Party im alten Tresor an der Leipzig… | |
Berlin taz | Dröhnende Bässe, exzessiver Drogenkonsum und eine euphorische | |
Aufbruchstimmung prägten die Technoszene in den 90er Jahren. Kreative Köpfe | |
kämpften sich durch ein Labyrinth des Leerstands und des rechtsfreien | |
Raums, um Kultoasen wie das Tacheles und den Tresor zu schaffen. Mehr als | |
30 Jahre später wird die Szene zunehmend von Kommerzialisierung, | |
Influencer-Raver*innen und -DJs beherrscht. Die einst analogen Synthesizer | |
sind durch hochpreisiges DJ-Equipment ersetzt worden, besetzter Leerstand | |
durch gigantische Veranstaltungshallen, die guten alten Amphetamine durch | |
„Woke Coke“, vermeintlich ethisch hergestelltes Kokain. | |
[1][Seit diesem Jahr gilt die Berliner Technokultur als immaterielles | |
Unesco-Weltkulturerbe]. Es handele sich hierbei „um einen gelebten | |
Gegenentwurf zu klassischen Praktiken des Musikhörens“, so die Begründung | |
der deutschen Unesco-Kommission. Doch wie viel hat die Szene noch mit | |
Subkultur und einem „gelebten Gegenentwurf“ zu tun? | |
„Kommerzialisierung einer Branche heißt: Es fließt mehr Geld. Mehr Geld | |
heißt: mehr Chancen. Und mehr Chancen heißt für mich: mehr Möglichkeiten, | |
meinen Traum zu leben“, sagt Jonas Barner*. „Ich find's super.“ Der | |
27-Jährige ist Mitbegründer eines großen Berliner Techno-Labels, dem auf | |
Instagram rund 55.000 Menschen folgen. Das Label, 2020 gestartet, | |
veranstaltet Partys erst ab mindestens 1.000 Gästen und exportiert seine | |
Parteireihen nach Paris, Madrid, Shanghai und Tokio. | |
„Unser Sound ist grooviger sexy Berghain-Techno“, sagt Barner. Da dieser | |
der „authentische, ursprüngliche Old-School-Techno“ aber nicht kommerziell | |
sei, habe er ein weiteres Label gegründet, womit er nun wiederum „die | |
großen Hallen füllen“ könne. Er hat auch eine Booking-Agentur mit 20 | |
Künstler*innen, die bei ihm unter Vertrag sind, darunter Berliner | |
Szene-DJs. Das Ziel: „Hauptsache, groß. Wir wollen viele Tickets verkaufen, | |
nur große Veranstaltungen und riesige Produktionen machen.“ Und sicher, | |
dadurch riskiere man, dass die Partys an Exklusivität verlieren. | |
## Kritik an TikTok-Raver*innen | |
Bei einigen Besucher*innen stößt das auf Kritik. „Es hat großartig | |
angefangen, aber mittlerweile ist es zu einer Tiktok-Rave-Partyreihe | |
geworden“, schreibt ein Nutzer im Internet-Forum reddit. Tiktok-Raver*innen | |
sind der Inbegriff der Kommerzialisierung der Szene. Influencer*innen, die | |
zu Techno tanzen, sich dabei filmen lassen und ihr Geld damit verdienen, | |
dass sie die Filmchen dann bei Tiktok hochladen. | |
Vor allem ältere DJs und solche, die in den sozialen Medien nicht präsent | |
sein wollten, kritisieren die Kommerzialisierung. An Barner perlt das ab. | |
„Ich beschwere mich nicht darüber, sondern akzeptiere, dass die Industrie | |
heutzutage so ist.“ Als Promoter müsse er so viele Tickets wie möglich | |
verkaufen. Also buche er – unabhängig vom musikalischen Talent – den DJ mit | |
den meisten Follower*innen. Barner sagt: „Ob ich das mag oder nicht, ich | |
muss mitspielen, um mein Leben davon finanzieren zu können.“ | |
[2][Klar ist, dass durch die Kommerzialisierung der Zugang zu einer | |
vermeintlichen Subkultur zu einem Privileg wird]. „Die gestiegenen | |
Getränke- und Eintrittspreise machen mir mit am meisten Sorgen“, sagt etwa | |
Lutz Leichsenring zur taz. Er ist Vorstandsmitglied der Clubcommission. Und | |
tatsächlich tragen Preisanstiege bei DJ-Gagen und Bookinggebühren, Energie- | |
und Mietkosten zu immer höheren Clubeintritten bei. Häufig zahlt man für | |
einen Clubeintritt an einem Abend mehr als 20 Euro. | |
## Kommerzialisierung bringt Vor- und Nachteile mit sich | |
„Die Kommerzialisierung ist aber nicht schwarz-weiß zu betrachten“, sagt | |
Leichsenring. Einige Clubs wie das Ritter Butzke in Kreuzberg könnten | |
dadurch ihre Mitarbeiter*innen überdurchschnittlich gut bezahlen. | |
Aber, so Leichsenring: „Natürlich wäre es mir lieber, wenn sie weniger | |
Verpflichtungen und Abhängigkeiten hätten.“ | |
Das Problem: Die generelle Entwicklung setzt Clubs unter Druck, ihre Preise | |
zu erhöhen oder kommerziellere Maßnahmen zu ergreifen, als sie eigentlich | |
möchten. Und einige sagen: Bevor wir das mitmachen, schließen wir lieber. | |
„Dadurch fallen immer mehr experimentierfreudige Spaces weg“, sagt David | |
vom queerfeministischen Kollektiv Euphoriot. | |
[3][Ende vergangenen Jahres schloss der linksalternative Traditionsclub | |
Mensch Meier] an der Storkower Straße in Prenzlauer Berg, weil er seinen | |
Gästen die gestiegenen Preise nicht zumuten wollte. Auch das Kulturhaus | |
Kili am Lichtenberger Wiesenweg, ein nach eigenen Angaben „unkommerzieller | |
Technoclub“, schloss im Dezember nach 10 Jahren. Wegen des kaum bezahlbaren | |
Mietmarktes seien sie nach Marburg gezogen, erzählt Inhaber Bashir der taz. | |
Auch Label-Gründer Jonas Barner und David vom Kollektiv Euphoriot erzählen | |
von bekannten Clubbesitzer*innen und Veranstalter*innen, die sich | |
immer wieder selbst verschuldeten. „Genau darin liegt das Problem: Clubs | |
müssen Miete, DJs und Personal zahlen“, sagt David. „Es kann keine | |
unkommerziellen Clubs geben.“ | |
## Unesco-Weltkulturerbestatus soll die Kommerzalisierung aufhalten | |
Der Kommerzialisierung der Szene einen Riegel vorschieben – genau dazu | |
könnte der Status der Technokultur als Unesco-Weltkulturerbe beitragen. Das | |
glaubt jedenfalls Rave the Planet, die Initiative des Loveparade-Gründers | |
Dr. Motte, die sich für die Aufnahme in die Weltkulturerbe-Liste eingesetzt | |
hat. Neben gesellschaftlicher Anerkennung erhofft sich Rave the Planet von | |
dem Status, dass Hürden und Auflagen bei der Neueröffnung und Erhaltung von | |
Clubs gesenkt werden. Auch könnte der Zugang zu staatlichen Subventionen | |
und gemeinnützigen Förderungen einfacher werden. Da mehrere Kulturorte | |
wegen Gentrifizierung sowieso, aber auch dem geplanten Weiterbau der | |
Stadtautobahn A100 über Treptow hinaus gefährdet sind könnte, so eine | |
weitere Hoffnung, die Erhebung zu einem Schutzgut den Kulturschaffenden ein | |
neues Standing in der Diskussion mit dem Land Berlin und den Behörden | |
geben. | |
Doch aus der Szene kam auch Kritik an dem Antrag. Einige bemängelten, dass | |
Techno nicht in Berlin, sondern in Detroit erfunden wurde und es an | |
Wertschätzung für die Schwarzen Pionier*innen fehle. Zudem wurde | |
kritisiert, dass der Status die Kommerzialisierung und | |
Institutionalisierung einer Subkultur weiter vorantreibe. Denn Techno | |
sollte ursprünglich ein Gegenentwurf zu dem sein, was Institutionen als | |
kulturell erstrebenswert betrachten. In einem Interview mit der | |
Techno-Zeitschrift Groove rechtfertigte sich Dr. Motte: Die | |
Kommerzialisierung werde durch Gentrifizierungsprozesse, die Inflation und | |
Tiktok angetrieben. Der Unesco-Status hingegen biete eine Form der | |
Anerkennung an, um die Kultur in ihrer ursprünglichen Form weiterbestehen | |
zu lassen. | |
Lutz Leichsenring von der Clubcommission hält den Unesco-Status für ein | |
„stumpfes Schwert“. Es werde weder die Kommerzialisierung aufhalten, noch | |
werde es sie verhindern: „Die Reputation, die man dadurch erhält, wird bei | |
Fördergeldanträgen oder Gesetzesforderungen nicht schädlich sein, es wird | |
aber keine direkten Auswirkungen haben.“ Auch David gibt sich ambivalent: | |
„Aus Underground-Perspektive ist der erste Impuls natürlich Skepsis. Aber | |
vielleicht wird dadurch das Clubsterben wenigstens ein bisschen aufgehalten | |
und es entstehen Räume für alternativeres Clubleben.“ | |
Ebendiese möchte David zusammen mit seinem Kollektiv schaffen. Sie | |
veranstalten Raves auf Spendenbasis, Solipartys für Spendenzwecke und | |
sogenannte Freetek-Events, also Festivals ohne Werbung und Sponsoren, die | |
sich durch Spendengruppen und Barverkäufe finanzieren. „Wir wollen nicht so | |
weit verbreiteten Genres und unbekannten, vor allem Flinta-, Queer- und | |
PoC-DJs eine Bühne geben“, sagt er. Die Musik, die sie spielen, sei | |
nischig: Gabber, Hardcore-Techno, Acidtek, Frenchcore oder Breakcore. | |
„Leisten können wir uns das nur, weil wir das nicht hauptberuflich machen.“ | |
Seit vergangenem Jahr ist das Kollektiv auch mit einem Wagen auf der | |
Fuckparade vertreten, einer unkommerziellen Parade, die 1997 als | |
Gegenentwurf zur Loveparade ins Leben gerufen wurde. | |
## Forderungen nach mehr Unterstützung für die Szene | |
„Musik braucht unkommerzielle Räume“, sagt David. Daher fordert er mehr | |
Unterstützung und ein „Ende der Repressionen“ der Freepartys und Raves. | |
„Bei der Fuckparade hagelt es immer Anzeigen wegen Lärmbelästigungen, es | |
gibt zu hohe Auflagen und Polizeipräsenz, Raves werden geräumt, sobald die | |
Polizei von ihnen erfährt, und Zwischennutzungen unterbunden“, sagt er. | |
Lutz Leichsenring fordert zudem eine Neueinstufung von Clubs als Kultur-, | |
nicht – wie bislang – als Vergnügungsstätten. Denn dadurch würden sie ni… | |
als besonders schützenswert vor der Verdrängung angesehen. Zudem fordert er | |
mehr staatliche Unterstützung. Doch auch das sei „nicht so einfach“, denn | |
die brachten wiederum Abhängigkeiten mit sich. | |
Wenn Kommerzialisierungsdruck, Abhängigkeiten und Verpflichtungen die Szene | |
bestimmen, liegt die Frage auf der Hand, ob Techno überhaupt noch Subkultur | |
ist. „Darauf gibt es keine Antwort“, sagt Leichsenring. Nur eines steht für | |
ihn fest: „Die Zeiten sind nicht mehr so wie in den 90ern.“ | |
* Name auf Wunsch geändert | |
14 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Berlin-Techno-in-Unesco-Liste/!5996034 | |
[2] /Die-steile-These/!5654348 | |
[3] /Berlins-Clubszene/!5977618 | |
## AUTOREN | |
Lilly Schröder | |
## TAGS | |
Techno | |
Kommerzialisierung | |
Clubszene | |
Techno | |
Clubs | |
Clubs | |
Schwerin | |
Unesco-Kulturerbe | |
Clubkultur | |
Techno | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
20 Jahre Berghain: Happy Birthday, Hain | |
Am Wochenende feiert das Berghain sein 20-jähriges Bestehen. Der Club ist | |
nicht nur zum Symbol der Technokultur geworden. Er gilt auch als Blackbox. | |
Ende des Clubs Watergate: An Silvester ist Schluss | |
Mit dem Watergate muss einer der bekanntesten Clubs der Stadt schließen. | |
Neue Räume sind dagegen rar. Noch aber ließe sich dem Clubsterben begegnen. | |
Clubkultur in Berlin: Der Letzte macht das Licht an | |
Die Wilde Renate muss schließen, wie zuletzt das Mensch Meier. Ist das | |
schon das große Berliner Clubsterben, das Ende des Hypes? | |
Schweriner Schloss jetzt Weltkulturerbe: Später Traum von dynastischer Größe | |
Das Residenzensemble ums Schweriner Schloss ist Weltkulturerbe. Erste | |
Initiativen gab es vor über 20 Jahren. | |
Berlin-Techno in Unesco-Liste: Rave mit Gütesiegel | |
Techno in Berlin gehört nun zum bundesweiten „immateriellen Kulturerbe“ der | |
Unesco. Dabei geht es aber weniger um Kultur und mehr um Marketing. | |
Berlins Clubszene: Tatsächlich Schluss im Mensch Meier | |
Der linksalternative Traditionsklub gibt auf. Die Location an der Storkower | |
Straße in Prenzlauer Berg soll der benachbarte Club Anomalie übernehmen. | |
Die steile These: Techno muss sterben | |
Elektronische Tanzmusik begleitet heute vor allem das Ballern synthetischer | |
Drogen. Die Szene ist alt und reich geworden. Also: Geld raus, Bass rein. |