| # taz.de -- 20 Jahre Berghain: Happy Birthday, Hain | |
| > Am Wochenende feiert das Berghain sein 20-jähriges Bestehen. Der Club ist | |
| > nicht nur zum Symbol der Technokultur geworden. Er gilt auch als | |
| > Blackbox. | |
| Bild: „Sorry, heute nicht“: Das Berghain pflegt gern seinen Ruf, „Berlins… | |
| Berlin taz | Der Kies knirscht unter den Schuhen mit jedem Schritt in | |
| Richtung der kolossalen Industrieruine, aus der die Bässe dröhnen. | |
| Metallabsperrungen und ein Türsteher blockieren den Zugang. „Wie alt bist | |
| du?“, fragt er musternd. „Warum sollte ich dich reinlassen? Bist du | |
| betrunken?“ Ein rotes Licht leuchtet auf, die Entscheidung ist bereits | |
| gefallen: „Sorry, heute nicht“, sagt er kopfschüttelnd und deutet auf den | |
| Ausgang. | |
| Es ist eine Abfuhr an „Berlins härtester Tür“, wie sie schon Sido, Elon | |
| Musk und halb Berlin erfahren mussten. Die Szene stammt aus dem | |
| „Berghaintrainer“, einer Onlinesimulation, die Nutzer*innen auf die | |
| rigorose Türpolitik des Clubs vorbereitet – weniger ernst gemeint als eine | |
| spielerische Auseinandersetzung mit dem Mythos rund um den Club. | |
| Denn das Berghain in Friedrichshain gilt als Blackbox – ein Status, den das | |
| Haus um jeden Preis beibehalten will. Mit der Presse spricht das Berghain | |
| grundsätzlich nicht. Das hauseigene Label Ostgut, Booker, DJs lehnen ein | |
| Gespräch mit der taz ab. Ein strenges Fotoverbot soll verhindern, dass | |
| Bilder aus den Innenräumen nach außen gelangen. So bleibt das Berghain, das | |
| an diesem Wochenende Geburtstagsjubiläum feiert, auch 20 Jahre nach seiner | |
| Eröffnung ein Mysterium. | |
| Entstanden ist der Club Anfang der 2000er Jahre als Nachfolger des Ostguts, | |
| eines Clubs, nicht sonderlich weit weg von der jetzigen Location, der allen | |
| Geschlechtern offenstand, sowie des Laboratorys, das sich an schwule Männer | |
| richtete. 2003 wurde das Ostgut abgerissen, an seiner Stelle steht heute | |
| die Uber Eats Arena. Am 18. Dezember 2004 eröffnete es als Berghain, dessen | |
| Name sich aus dem Bezirksnamen Friedrichshain-Kreuzberg ableitet. Ein neues | |
| Zuhause fand es in den ehemaligen Hallen des Heizkraftwerks Friedrichshain, | |
| die dazu entkernt und umgebaut wurden. | |
| ## Berghain entwickelt eigenen Sound durch Resident DJs | |
| Das Berghain besteht aus verschiedenen Floors: der großen Berghain-Halle, | |
| der Panoramabar, der Kantine, dem Laboratory, dem Garten und der Säule. Die | |
| Musik variiert je nach Floor: „Oben in der Panoramabar ist es verspielter. | |
| Unten ist es auf die Fresse“, sagt Ronald Krüger*, der seit 14 Jahren | |
| Stammgast im Berghain ist. Der Club setzte von Anfang an darauf, einen | |
| eigenen Sound zu entwickeln und baute dazu eine Gruppe von Resident-DJs und | |
| Labels auf. Eine „Residency“ pflegt auch das Berliner Independent-Label | |
| Live From Earth, das seit einigen Jahren eigene Partys dorthin bringt. | |
| Teil davon ist auch Leo Altaras. 2022 legte er unter dem Namen „Alcatraz“ | |
| erstmals in der Panoramabar auf und gehört seitdem häufiger zum Line-up. | |
| Seine Musik beschreibt er als Electropop, zunehmend spiele er energetischen | |
| Trance und Progressive House. „Die Akustik im Berghain ist der Hammer“, | |
| sagt der 24-Jährige. „Besonders im Low-Frequency-Bereich hört man Dinge, | |
| die man woanders nicht hört.“ | |
| Das Berghain ist bekannt für das sogenannte Funktion-One-System, das die | |
| akustisch herausfordernde Ruine mit ihren 18 Meter hohen Decken mit | |
| kraftvollem Sound und hochwertigen Bässen füllt. 2017 wurde das Soundsystem | |
| in der Panoramabar rundüberholt, 2024 auch das in der Halle im Berghain. | |
| Für Isa*, eine Berlinerin, die seit 6 Jahren ins Berghain geht, ist es vor | |
| allem der Sound, der die Erfahrung besonders macht. „Natürlich ist es | |
| architektonisch toll, aber vor allem ist die Anlage richtig krass“, sagt | |
| die 26-Jährige. „Auf dem Dancefloor ist es nicht zu laut und nicht zu | |
| leise. Man kann sich bei voller Lautstärke gut unterhalten – wobei das | |
| nicht gern gesehen wird.“ | |
| ## Das Berghain ist für DJs ein Ort künstlerischer Freiheit | |
| Neben dem Soundsystem schätzt Leo Altaras die künstlerische Freiheit, die | |
| ihm beim Auflegen in der Panoramabar geboten wird. „Man kann sich | |
| musikalisch ausprobieren. Die Gäste haben Ahnung von Musik, aber lassen | |
| sich auf andere Nischen ein und sind bereit für Neues. Wenn man sich als DJ | |
| etwas überlegt, wird das mit offenen Armen begrüßt“, sagt er. „Das Bergh… | |
| ist ein Ort der künstlerischen, aber auch allgemeinen Freiheit.“ Und | |
| natürlich ein sehr sexueller Ort. | |
| Der Club ging aus der schwulen Sex- und Fetischpartyreihe „Snax“ im | |
| Vorgängerclub hervor. Der Darkroom Laboratory im Erdgeschoss des Hauses | |
| ist dabei noch immer Herzstück des Berghains. Für den 56-jährigen Berliner | |
| Ronald Krüger sind es vor allem die Begegnungen, auch jenseits des | |
| Laboratory, die das Berghain besonders machen. „Man verbringt eine schöne, | |
| verbindende Zeit und ist kuschelig miteinander. Das bedeutet nicht | |
| unbedingt Sex. Aber Leute, die ein Teil genommen haben, ziehen sich eben an | |
| wie Magneten.“ | |
| In anderen Clubs habe er diese Begegnungen nicht. „Im Sisyphos fühle ich | |
| mich zu alt, im Tresor ist es zu dunkel und das Kitkat finde ich total | |
| scheiße“, sagt Krüger. Dort gehe es eindeutig um Sex. „Die Leute checken | |
| sich ab.“ Im Berghain sei das anders: „Alle gucken sich in die Augen. Ich | |
| kann zu jedem gehen, ob Mann oder Frau, etwas Nettes sagen und die Person | |
| wird sich freuen.“ | |
| Auch für Isa sind die Begegnungen im Berghain ein großer Anziehungsfaktor: | |
| „Es ist unglaublich, wie viel Liebe im Raum ist. Man ist nie allein, wenn | |
| man nicht will.“ Das liege auch am großen, vertrauten Stammpublikum. „Diese | |
| Menschen halten über Tage die Stimmung aufrecht und geben viel Energie | |
| rein.“ In anderen Clubs gebe es das nicht. „Vielleicht, weil sie nicht die | |
| gleiche Anziehungskraft haben.“ Für Isa besteht sie darin, dass das | |
| Berghain „roher und subkultureller“ ist als andere Technoclubs. „Die Welt | |
| drinnen ist eine andere – komplett abgekapselt von außen.“ | |
| ## Die Realität nach dem Rausch ist hart | |
| Auch Krüger bezeichnet den Club als „Paralleluniversum mit einzigartiger | |
| Warmherzigkeit“. Das gelte jedoch nur für die Stunden, in denen man drin | |
| ist. „Danach zerplatzt es wieder. Dann verlässt du den Schuppen, bist | |
| ziemlich druff und brauchst erst mal zwei Tage, um wieder klarzukommen.“ | |
| Bekannt ist das Berghain eben auch für exzessiven Drogenkonsum. [1][Immer | |
| wieder kursieren Gerüchte von Gästen mit Überdosis, die kollabieren oder | |
| sterben]. Im Berghain-Kanal des Internetforums Reddit warnen Gäste vor | |
| gefährlichen Drogen, die umhergehen, oder Needle-Spiking, dem heimlichen | |
| Injizieren von Drogen bei Clubgästen. | |
| Gleichzeitig eröffnet der Drogenkonsum erst die magische Dimension des | |
| Clubs, findet Krüger. Mit 43 Jahren nahm er im Berghain das erste Mal | |
| Drogen: „Was da passiert, ist sonst nicht zu begreifen. Ich hatte die | |
| euphorischsten Erlebnisse im Rausch von Ecstasy, elektronischer Musik und | |
| Tanzen.“ Das sei auch gefährlich. „Das Berghain kann eine Droge werden“, | |
| sagt Krüger. Das gelte vor allem, wenn man mit Alltag, Job oder Beziehung | |
| nicht so zufrieden ist. „In solchen Phasen renne ich 5 Sonntage | |
| nacheinander hin, wie so ein Bekloppter.“ Momentan geht er alle 2 Wochen | |
| hin. | |
| Ob sich in den vergangenen 14 Jahren viel verändert hat? Krüger glaubt | |
| nicht. „[2][Viele alte Stammgäste mosern rum, dass früher alles viel geiler | |
| gewesen sei].“ Auf den Zug könne er nicht aufspringen. „Touristen hat es | |
| schon immer gegeben und auch musikalisch hat sich nicht viel verändert.“ | |
| Zwar seien Getränke und Eintritt teurer geworden, aber „alles im Rahmen“. | |
| ## Clubsterben in Folge von Kostensteigerungen | |
| Die Berliner Clubszene hat mit enormen Kostensteigerungen zu kämpfen, etwa | |
| im Produktionsbereich, für Energie und Mieten, aber auch bei den | |
| Lohnkosten. Laut einer Befragung der Clubcommission aus dem November | |
| beträgt der Umsatzeinbruch der Clubs im ersten Halbjahr 2024 im Vergleich | |
| zum Vorjahreszeitraum 55 Prozent, der Gewinn reduzierte sich sogar um 61 | |
| Prozent. [3][Viele Clubs mussten daher schließen]. Andere versuchen sich zu | |
| halten, müssen die gestiegenen Kosten jedoch teilweise auf die Gäste | |
| abwälzen – so auch das Berghain. | |
| „Früher hat ein Ticket von Samstag bis Montag 10 Euro gekostet“, erinnert | |
| sich Krüger. Heute liegt der Eintritt bei 25 Euro, mit Ausnahmen an | |
| besonderen Tagen wie Silvester oder dem Jubiläumswochenende. „Durch die | |
| Berghain-Gerüchteküche geistert, dass der Eintritt zum Jubiläum 70 Euro | |
| kostet“, erzählt Krüger. „Aber dafür wird einem auch viel geboten.“ | |
| Es legen Stars des Berliner Technos wie Ben Klock, Norman Nodge, Marcel | |
| Dettmann und rund 70 weitere DJs auf. „Es ist ein absolutes Hammer-Line-up. | |
| Es wird legendär“, schwärmt Isa. Die Feier beginnt am Freitag und endet | |
| Montagfrüh. Krüger plant, ausgeschlafen am Samstagabend hinzugehen. „Und | |
| dann reicht’s auch. Dann gehe ich nach Hause und komme erst mal nicht | |
| wieder.“ | |
| *Namen von der Redaktion geändert | |
| 12 Dec 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lilly Schröder | |
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