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# taz.de -- Diskussion um Popstar Rosalía: Die Gegner der Vermischung
> Die spanische Musikerin Rosalía verbindet zeitgenössischen Pop mit
> klassischen Flamenco-Elementen. Ethnizisten kritisieren das.
Bild: Musikerin Rosalía diesen Januar in Los Angeles anlässlich der Verleihun…
Nirgendwo waren Medien und Publikum so vom plötzlichen Erfolg Rosalías
überrascht wie in ihrer Heimat Spanien. Während die 26-jährige Sängerin aus
der Provinz Barcelona in den USA unter anderem mit fünf Latino-Grammys und
zwei MTV-Awards ausgezeichnet wurde, bleibt die Anerkennung ihrer Arbeit zu
Hause weitgehend aus. Dort sieht sich Rosalía Vila Tobella – so ihr
vollständiger Name – massiver Kritik ausgesetzt.
Den einen macht sie sich mit ihrer urbanen Mischung, die immer wieder
Elemente des traditionellen Flamencos aufgreift, der „kulturelle Aneignung“
schuldig. Und auch anderen wie den Separatisten in Katalonien gilt sie
häufig als nicht identitär genug ist.
Internationaler Erfolg und heimische Kritik begannen mit dem unabhängig
produzierten Album „El mal querer“ und dem Video zum darauf enthaltenen
[1][ersten großen Hit „Malamente“], der Ende 2018 die ersten zwei
Latino-Grammys einbrachte. Die junge Frau aus einer Industriestadt unweit
Barcelonas singt mit dem andalusischem Akzent Südspaniens.
Sie klatscht Flamencorhythmen, greift Symbole aus Stierkampf und dem
populären Religionsverständnis Andalusiens auf, kleidet sich wie die
Jungend in den Vorstädten Sevillas und mischt das alles mit Rap und dessen
Ästhetik. Ein Mix, der nicht allen gefällt.
## Schmerzhafte Verspottung?
„Ihre Nachahmung der Symbole der Gitanos ist eine schmerzhafte
Verspottung“, sagt José Heredia, Soziologe und einer der wenigen Gitanos,
der im spanischen akademischen Leben Ansehen genießt. Die bekannte Sängerin
„La Mala Rodríguez“ schließt sich der Kritik an: „Rosalía benutzt Ding…
die zur Identität des andalusischen Volkes und der Gitano-Community
gehören. Aber die Identität kann man nicht fabrizieren.“ Der Vorwurf einer
illegitimen „kulturellen Aneignung“ steht seither im Raum.
„Der Flamenco hat der Ethnie viel zu verdanken, aber die Musik hat keinen
Besitzer“, versucht Rosalía die Vorwürfe zu entkräften. Schließlich ist �…
das wird keiner, der sich mit der Musikgeschichte beschäftigt, ernsthaft
bestreiten – der Flamenco das Ergebnis jahrhundertealter Mischung
verschiedener Kulturen.
Entstanden aus der Kultur der Gitanos, die einst aus Indien auf die
Iberische Halbinsel kamen, sowie Elementen der jüdischen oder arabischen
Folklore. Rosalía weiß dies. Sie, die „Paya“ – wie die Gitanos alle nen…
die nicht zu ihrer Ethnie gehören –, hat mehrere Jahre an der
Musikhochschule in Barcelona Flamenco studiert, um ihre Stimme und ihr
Gefühl für die Rhythmen dort auszubilden.
Doch ihre Kritiker wollen das nicht gelten lassen. „Den Flamenco richtig
kennen, ist etwas, was man nicht an einer Akademie erlernt. Ich habe viele
Jahre gebraucht, um die Stimmen meiner Vorfahren durch meinen Mund
auszudrücken“, sagt die Sängerin Mayte Martín.
## Globalisierung und Internet
Rosalía hält dagegen: „Die musikalischen Schranken und die
unterschiedlichen Genres sind längst so stark aufgelöst und vermischt, dass
sie eigentlich nicht mehr existieren.“ Das sagte sie in einem Interview mit
dem Magazin Billboard. „Ich glaube nicht, dass irgendjemand auf die Idee
käme, Picasso der kulturellen Aneignung zu beschuldigen, weil er
afrikanische Masken malte“, fügt sie hinzu. Sie selbst komme „aus einer
Generation, die mit der Globalisierung des Internets aufgewachsen ist“.
Alle Kulturen ständen in stetigem Kontakt. „Ich frage mich nicht, ob etwas
korrekt ist oder nicht, ich denke immer: Spricht es Gefühle an oder nicht?“
Auch das 2019 mit zwei MTV-Awards ausgezeichnete Stück „Con Altura“ in
Zusammenarbeit mit dem kolumbianischen Reggeaton-Star J Balvin zeige, was
sie mit Globalisierung meine.
Bevor Rosalía begann, urbane Rhythmen aus Europa, den USA und Lateinamerika
mit der Musik Südspaniens zu mischen, veröffentlichte sie mit „Los Angeles�…
ein Album, auf dem sie zur Gitarrenbegleitung Flamenco singt. Es ist ein
erstaunliches Erstlingswerk, das allerdings keinen großen kommerziellen
Erfolg hatte – und wohl auch deshalb nicht weiter kritisiert wurde. Erst
mit „El mal querer“ fand Rosalía persönlichen Stil und Erfolgsformel.
Sie trat bei den wichtigen Festivals in den USA auf. „Con Altura“ wurde
bisher 1,3 Milliarden mal [2][auf YouTube gesehen]. Mittlerweile steht sie
bei einem der größten Labels dieser Welt unter Vertrag. Das bestärkt die
Kritiker noch. Neben der „kulturellen Aneignung“ ist nun von einem
„Marketingprodukt“ die Rede.
## Die „privilegierte“ Rosalía
„Der Kapitalismus kauft die Atmosphäre des Schmerzes anderer und wäscht
gleichzeitig die Geschichte weiß, um so diejenigen zu belügen, die als
Nächste kommen“, sagt Gitano-Aktivistin Noelia Cortés. Sie sieht Rosalía
als Teil eines heimtückischen Plans. Die „privilegierte“ Rosalía würde d…
wirklichen Flamenco auslöschen und unsichtbar machen.
Geschichtswissenschaftler Rafael Buhigas von der Universität Complutense in
Madrid spricht deshalb nicht von „kultureller Aneignung, sondern
kultureller Enteignung“. Ein feministischer Blog titelt gar: „Rosalía ist
Rassistin.“
Edu Galán, Mitgründer der Satirezeitschrift Mongolia, ist einer der
wenigen, die dagegenhalten. „Dem Streit liegt die lächerliche Idee
zugrunde, dass Kunst ein Gut ist, das von wenigen geteilt wird und nicht
berührt werden darf, als wäre es die verlorene Schatz des Indiana Jones“,
sagt er.
„Letztendlich sollten wir hier nicht die kulturelle Aneignung
thematisieren, sondern über eine Identitätskultur bestimmter
Interessengruppen sprechen, die im Namen von Minderheiten behaupten, sie
wüssten von deren Ansprüchen, die sie ethnisch und künstlerisch
kurzschließen. Sie wollen die Fiktion erobern, weil sie die Realität sonst
als verloren betrachten“, fügt er hinzu.
„Vielleicht stahl Paul Simon den südafrikanischen Rhythmus, als er sich
traute, Pop und Mbaqanga auf der Platte Graceland zu mischen“, schreibt
Rodrigo Terrasa von der Tageszeitung El Mundo. Neben Paul Simon führt er
den Blues des weißen Eric Clapton, den Rap des ebenfalls weißen Eminem oder
die afrikanischen Rhythmen der Kolumbianerin Shakira an.
## Freiheit der Kunst
Einer der wenigen Gitano-Musiker, die Rosalía in Schutz nehmen, ist José
Miguel Carmona. Mit der Gruppe Ketama und ihrem Flamenco-Rock hat er in den
1980ern selbst Grenzen überschritten und mit Tabus gebrochen. Er sagt,
durch Rosalía würde der Flamenco überhaupt wieder stärker wahrgenommen
werden: „Sie lädt doch dazu ein, den klassischen Flamenco kennenzulernen.“
Er fordert Freiheit und Respekt für die Kunst. „Sie macht Musik, die ich
sehr interessant finde und die ich sehr mag“, sagt er. Doch sei sie „keine
Flamenco-Sängerin“. Etwas, was Rosalía seit ihrem zweiten Album nicht mehr
für sich in Anspruch nimmt, wenn auch sie auf ihre eigenen Wurzeln besteht.
Wie um zu beweisen, dass man auch außerhalb der großen Musikerdynastien und
der Welt der Gitanos im Süden Spaniens Sensibilität für Flamenco und seine
Ableger entwickeln kann, bedient sich Rosalía bei i[3][hrem dritten Erfolg
„F*cking Money Man (Milionària + Dio$ No$ Libre Del Dinero)“] der Rumba
Catalana. Also der Musik der Gitanos und südspanischer Einwanderer in
Katalonien, Identitätsmerkmal der nordostspanischen Industriegebiete.
Erstmals singt sie nicht auf Spanisch oder Englisch sondern in ihrer
Muttersprache Katalanisch.
Und wieder gefällt es nicht allen. Dieses Mal wird sie von denen
kritisiert, die für die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien eintreten.
Rosalías Sprache sei vom Spanischen verunreinigt, schimpfen sie. Etwas, was
in den Industrieorten Kataloniens normal ist. Wo sich die Bevölkerung und
Kulturen mischen, bleibt auch die Sprache nicht unbeeinflusst.
## Katalanische Nationalisten
Was für so manchen noch schlimmer wiegt: „Die katalanische Künstlerin, die
Flamenco singt, hat die Gefangenen und die Repression mit keinem Wort
erwähnt. Erinnern wir uns, wie die Guardia Civil am 1. Oktober in dem Dorf
vorging, in dem sie aufwuchs“, bemängelt die Online-Zeitung La República
fehlende Solidaritätsbekundungen für die nach dem Unabhängigkeitsreferendum
vom 1.Oktober 2017 inhaftierten Politiker:innen und -aktivist:innen.
Da bleiben auch Glückwünsche etwa vom katalanischen Regierungschef Quim
Torra für den Erfolg der Sängerin aus.
Kulturautor Juan Sanguino erklärt, was für ihn hinter dem Ganzen steckt.
Die Diskussion um Rosalía sei ein erneuter Beweis für den „Neid als
spanischen Nationalsport“, schreibt er in der Tageszeitung El País. Hinzu
komme „ein gewisser kultureller Minderwertigkeitskomplex, der dazu führt,
dass wir verlegen die weltweite Resonanz von La Macarena oder Aserejé (…)
zur Kenntnis nehmen, und dass viele nicht so recht glauben wollen, dass in
Hollywood seit 1988 jeder Pedro Almodóvar liebt.“
Und außerdem: „Vielleicht glauben ja diejenigen, die Rosalía beschuldigen,
ein Marketingprodukt zu sein, dass ihnen die Beatles oder ‚Breaking Bad‘
gefallen, weil sie einen besonderen Riecher haben.“
Juan Sanguinos Schlussfolgerung: „Letztendlich ist es den Fans von Rosalía
egal, was andere alles an ihr kritisieren, egal was sie macht. Es ist doch
so: Auch die, die über Rosalía schimpfen, wollen nichts von ihr verpassen.
Und diesen Erfolg kann keiner leugnen.“
20 Mar 2020
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=Rht7rBHuXW8
[2] https://youtu.be/p7bfOZek9t4
[3] https://youtu.be/eQCpjOBJ5UQ
## AUTOREN
Reiner Wandler
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