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# taz.de -- Kulturtipps im Netz: Quarantäne als Chance
> Die Museen, Theater und Clubs in Berlin sind geschlossen, auch der
> taz.plan wird vorerst nicht mehr gedruckt – online wird er aber
> weiterlaufen.
Bild: Zu sehen bei Vdrome: Tuomas A. Laitinens „Haemocyanin“ 2019, 8 min
In Zeiten von Corona ist das Private nicht mehr nur politisch. Das
Politische selbst ist privatisiert – und damit auch das Kulturelle. In
Berlin steht der Kulturbetrieb still. Dass auch der taz.plan, sonst jeden
Donnerstag fester Bestandteil der Berliner Ausgabe, bis auf Weiteres nicht
erscheinen wird, ist keine Überraschung. Und lässt sich wohl genauso
verschmerzen wie die nun komplizierter werdende Freizeitgestaltung.
Für Künstler:innen und Veranstalter:innen ist es allerdings eine
Katastrophe, gerade in Berlin, wo Zehntausende Menschen Kunst und Kultur
produzieren. Fast niemand ist gegen Einkommensausfälle versichert,
Kurzarbeitergeld ist kompliziert zu beantragen. Clubs wie about blank, SO36
oder SchwuZ rufen zu Spenden auf, um die nächsten Wochen zu überstehen. Auf
„openPetition“ oder „change.org“ werden [1][Spenden für Freiberufler:i…
und Künstler:inne]n oder Unterschriften für die [2][temporäre Einführung
eines Grundeinkommens] gefordert.
Doch Ausnahmezustände bergen nicht nur Risiken, sondern auch Chancen. Nicht
nur für eine größere Solidarität und ein stärkeres Bewusstsein dafür, wie
sehr wir als menschliche Wesen stets von anderen abhängig sind, sondern
auch für einen Raum, der für die meisten gerade im Kulturbereich nun die
einzige Möglichkeit für Sichtbarkeit ist: das Digitale.
## Belesen tropft der Schweiß
Filme sind angeblich ein Spiegel der Wirklichkeit. Wenn das so wäre, würde
diese perfekt geordnet und linear ablaufen. Dass sie aber nur ein
Spezialfall des Möglichen ist, zeigt Alain Resnais' Film [3][„Letztes Jahr
in Marienbad“] von 1961, zu sehen im gut kuratierten Portal „Mubi“. Hier
wird eine nichtlineare Erzählung nach dem Vorbild des „Nouveau Roman“ mit
fieberhaften Bildsequenzen zum filmischen Wimmelbildspiel verschaltet, das
angenehm verwirrt.
Der Boiler Room ist eines dieser schönen Widersprüche an der Schnittstelle
digitaler und „echter“ Welt. Er sendet Clubmusik, die sich ja oft erst
erschließt, wenn du körperlich anwesend bist. Dass auch hier der Schweiß
von der Decke tropfen kann, zeigt ein [4][Set von Bok-Bok und L-Vis.] Die
radikale Energie der sekündlich wechselnden Breakbeats, lebensbejahenden
Pop-Samples und grimmigen Dubstep-Bässe ist ansteckend.
Der Podcast „Dear Reader“ bringt das geschriebene Wort zum Sprechen, ohne
in einen Plauderton zu verfallen. Das liegt an der extrem belesenen
Macherin Mascha Jacobs, aber auch an den Interviewgästen, deren Literatur
die Welt nicht einfacher macht, sondern komplizierter. Empfohlen sei die
[5][Episode mit Ann Cotten], in der die Dichterin über ihre
„Verhältnismäßigkeitspanik“ spricht.
## Kauft im Buchladen
Starpianist Igor Levit, der sich für Fridays for Future engagiert und wegen
seines politischen Engagements Todesdrohungen erhalten hat, hat den
Konzertsaal auf [6][Twitter] verlegt: Jeden Abend um 19 Uhr spielt er per
Livestream für sein Publikum: „Bis wir uns alle wieder gemeinsam, real, nah
beieinander versammeln und Kunst erleben können.“
Reggae, Rum und Joints: Baxter Thwaites (Michael Caine) führt ein
entspanntes Leben auf der Karibikinsel Cascara. Das ändert sich, als eine
Quelle entdeckt wird, aus der Mineralwasser sprudelt und die verschlafene
Insel zum Tummelplatz von US-Marines, Fremdenlegionären und Revolutionären
aus Kuba wird. Die Komödie [7][„Wasser – Der Film“ (1985)] ist kostenlos…
aber mit Werbung – unter anderem bei Youtube zu sehen.
Im „Disaster Capitalism“ gibt es auch Gewinner der Corona-Krise – die
großen Onlinehändler gehören dazu. Seid solidarisch und unterstützt darum
die notleidenden Kiez-Buchhandlungen, solange die noch geöffnet haben.
Diese seien bei Bestellungen oft „schneller als alle Anbieter im Internet“,
schreibt etwa die [8][Buchhandlung Tucholsky] in Mitte, bei der alle bis 18
Uhr georderten Bücher am nächsten Tag abgeholt werden können.
## Die Pest in Florenz
In Italien und Frankreich schießen die Verkaufszahlen von [9][Albert Camus'
„Die Pest“ (1947)] derart in die Höhe, dass der Roman vielerorts kaum mehr
zu bekommen ist. Camus beschreibt die Auswirkungen einer Epidemie auf einen
algerischen Küstenort und formuliert ein Plädoyer für Menschlichkeit und
Solidarität. Heiterer ist ein anderes Buch der Stunde. Giovanni Boccaccio
spielt in seinem [10][„Decamerone“] das kreative Potenzial einer Quarantäne
durch: Während der Pest in Florenz im Jahr 1348 vertreiben sich zehn junge
Leute auf dem Land die Zeit mit dem Erzählen von Geschichten.
Für Videokunst sind Onlineformate naheliegend, als Plattform für
Künstler*innen, deren Ausstellungen gerade reihenweise abgesagt werden,
wichtiger denn je. [11][Vdrome] kuratiert schon seit 2013 ein
hervorragendes, wechselndes Streaming-Programm. Momentan zu sehen: Tuomas
A. Laitinens „Haemocyanin“.
„Die Beschränkung als Herausforderung verstehen“ möchte das HAU und treibt
die eigene Digitalisierung voran: Auf dem [12][hauseigenen YouTube-Kanal]
wird unter anderem das Festival [13][„Spy on Me #2“] übertragen. Und das
kostenlos.
20 Mar 2020
## LINKS
[1] https://www.openpetition.de/petition/online/hilfen-fuer-freiberufler-und-ku…
[2] https://www.change.org/p/finanzminister-olaf-scholz-und-wirtschaftsminister…
[3] https://mubi.com/films/last-year-at-marienbad
[4] https://www.youtube.com/watch?v=lz2GjpHFfBs
[5] https://detektor.fm/kultur/dear-reader-ann-cotten-ueber-ihre-lieblingsbuech…
[6] https://twitter.com/igorpianist
[7] https://www.youtube.com/watch?v=G6RXZzyvG60
[8] https://www.buchhandlung-tucholsky.de/
[9] https://www.rowohlt.de/taschenbuch/albert-camus-die-pest.html
[10] http://www.zeno.org/Literatur/M/Boccaccio,+Giovanni/Novellensammlung/Das+D…
[11] https://www.vdrome.org/
[12] https://www.youtube.com/channel/UCWU0QgefOC8CcR7uzzwWwTQ
[13] https://www.hebbel-am-ufer.de/spy-on-me-2/
## AUTOREN
Beate Scheder
Ole Schulz
Philipp Rhensius
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