# taz.de -- Bilanz Bochumer Plattenladenbetreiber: „Haste extra gemacht, oder… | |
> DISCover ist eine Bochumer Institution. Seit 1985 verkauft der | |
> Plattenladen Musik. Zum 40. Geburtstag ziehen Rebecca und Klaus-Peter | |
> Boehmelt Bilanz. | |
Bild: Rebecca Boehmelt an der Pforte von DISCover in Bochum: Im Schaufenster h�… | |
taz: Herr Boehmelt, warum öffnet Ihr Laden am Wochenende eigentlich immer | |
genau um 11.15 Uhr? | |
Klaus-Peter „KP“ Boehmelt: Wir schaffen es nicht eher. 40 Jahre fünf Tage | |
die Woche, da lässt man es am sechsten etwas ruhiger angehen. Vor ein paar | |
Wochen kam samstags vor dem Heimspiel des VfL Bochum ein Stammkunde mittags | |
vorbei, VfL-Fan, lebt am Niederrhein, ist eigentlich Berliner, fährt Lkw | |
und Taxi und sieht nicht nur aus wie Kurt Krömer, sondern spricht auch so. | |
Er marschiert also in den Laden und hat zehn Freunde in Blau-Weiß dabei. | |
Alle singen „Ohne Platten wär hier gar nichts los“. Das war surreal – und | |
großartig. | |
taz: Was haben Sie denen empfohlen? | |
KP: Getdown-Services, „Crisp“. Ein nettes, überdrehtes | |
Indie-Pop-Feieralbum. Big Beat, Gitarre, Elektro und Rap, sehr tanzbar. Das | |
Duo besteht aus zwei Briten, unverkrampfte Anti-Stars. Dann Kratzen aus | |
Deutschland. Zwei Frauen, ein Mann. Shoegaze, unaufgeregt. Klare, schlichte | |
Cover. Wir hatten neulich mit der Band Mailkontakt. Sie haben keinen | |
Vertrieb und haben uns ihr neues Album, „III“, direkt geschickt. | |
Rebecca Boehmelt: Und Fcukers, zwei junge Amis. Sie singt, er spielt Bass. | |
Bisher gibt es nur die EP „Baggy$$“ auf Ninja Tune … | |
KP: … sehr dubby Techno. Mögen auch viele, die keine Rave-Granaten sind. | |
taz: Ist das immer noch Ihr Kerngeschäft? Gute Empfehlungen, persönliche | |
Beratung? | |
KP: Daran hat sich in vier Jahrzehnten nichts geändert. | |
Rebecca: Es kommen Leute rein und du versuchst einzuschätzen, was ist das | |
für ein Typ Mensch? Dann spielst du was an. Es dauert fünf Minuten und die | |
Leute fragen, was ist das? Meistens gehen sie mit der Platte raus und | |
sagen: Das haste extra gemacht, oder? Ein wunderbares Gefühl, jedes Mal. | |
KP: Wobei ich öfter abwägen muss, Platten zu spielen. Obwohl ich weiß: Sie | |
passen. Die Playlist folgt jeweils ökonomischen Gründen. [1][Dabei ist der | |
Plattenladen die Verlängerung des DJ-Daseins.] Ich möchte den Leuten Musik | |
vorspielen. Es geht immer um den Moment, wenn ein Song das erste Mal gehört | |
wird. | |
taz: Wie viele, die Sie damit erwischen, werden Stammkunden? | |
KP: Einige schon – und bringen uns dann mit Ihren Bestellungen zur | |
Verzweiflung. Die Recherchemöglichkeiten sind besser als früher, aber es | |
kostet viel Zeit und Mühe. [2][Da ziehe ich alle Register, manchmal im | |
Graubereich.] Nur damit ich eine Platte besorgen kann, die in Deutschland | |
über die Vertriebskanäle nicht zu kriegen ist. Etwa ein völlig | |
abgefahrenes, seltenes Metalalbum für jemand, der extra aus Luxemburg | |
anreist. Viele Stammkunden sind aber auch bereit, deswegen mehr zu | |
bezahlen. | |
taz: Wer kommt eigentlich zu euch und will Vinyl? | |
KP: Die meisten sind schon eher im links-grünen Kosmos unterwegs. Was mich | |
vor allem freut: Es kommen viele junge Mittzwanziger:innen. Die Mixtur, | |
die gekauft wird, ist aber eine komplett andere als die, die wir in dem | |
Alter gelebt haben. | |
taz: Weshalb? | |
KP: Punkrock bedeutete früher etwa, dass man auf gar keinen Fall Progrock | |
hören durfte. Heute unvorstellbar. Es geht oft, ganz wertfrei gesagt, um | |
Spaß. | |
taz: Das Politische ist weniger wichtig? | |
KP: Neulich war eine junge Frau zum ersten Mal da, hat HipHop-Alben | |
rausgesucht und gekauft. Wir haben uns lange unterhalten. Dann fragt sie | |
plötzlich nach Kanye West. Den habe ich schon lange nicht mehr im | |
Sortiment, sage ich. Sie darauf: Ich habe aufgehört, auf politische | |
Statements zu achten. | |
Rebecca: Wir haben später darüber diskutiert, wo wir eigentlich aktuell die | |
Grenze ziehen, jenseits der offensichtlichen No-Gos wie etwa Rassismus, | |
Gewalt, Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit. | |
KP: Musik von den Onkelz habe ich noch nie verkauft! | |
taz: Wie haben Sie sich eigentlich kennengelernt? | |
Rebecca: Am Telefon. Ich habe 1999 in Hamburg beim Vertrieb Connected! | |
gearbeitet und sollte mich um Klaus kümmern. Unabhängige Plattenläden waren | |
damals wichtig – für die Umsätze der Plattenfirmen. Ich mochte seine Art, | |
seine Stimme. Er hat mir dann eine Konzertempfehlung geschickt. Dann ging | |
es per Mail hin und her. Wenig später war er karnevalsflüchtig, kam spontan | |
nach Hamburg. Ein Blinddate – und Liebe auf den ersten Blick. Dann bin ich | |
ins Ruhrgebiet gezogen und habe später bei Discover die Buchhaltung | |
übernommen. | |
taz: Wie hat sich das Musikgeschäft in den 40 Jahren verändert? | |
KP: Bis Ende der Neunziger ging’s nur nach oben, Musik-Fernsehen | |
explodierte, hatte traumhafte Reichweiten. Als Händler wurde ich oft zu | |
Releasepartys eingeladen: Gästeliste, Backstage. Goldgräberstimmung | |
überall. Zur Fußball-EM nach England 1996? Kein Problem! Ich bekam Tickets, | |
alles wurde geregelt. Vom dritten Prodigy-Album „The Fat of the Land“ hab | |
ich 1997 direkt 100 Stück bestellt, das war damals schon eine wahnsinnige | |
Stückzahl für einen einzelnen Laden. Aber die gingen weg. Rasend schnell. | |
taz: Wann war der Zenit überschritten? | |
KP: Ich war Ende der 1990er auf der Popkomm in Köln und hab trotz der | |
Euphorie gedacht, das alles hier geht bald vorbei. [3][Wir haben das | |
Gegenteil gemacht, sind mit dem Laden umgezogen, auf die Straßenseite | |
gegenüber. Bewusst verkleinern.] Die Leute haben mich erst für verrückt | |
erklärt. Den Achtzigern gehörte Vinyl, die Neunziger waren das Jahrzehnt | |
der CD, Anfang der Nuller brachen dann die Umsätze ein. Dann kam bald das | |
Digitale, die Plattformen, die dominieren nun alles – und Vinyl hat wieder | |
eine robuste Nische gefunden. Letzteres hält uns am Leben. Und kleine | |
Labels wie Kompakt aus Köln, die haben uns Plattenläden schon früher | |
geliebt. Ein Glücksfall, bis heute. | |
taz: Welche Ära war musikalisch die kreativste aus Ihrer Perspektive? | |
Rebecca: Als elektronischer Dancefloor Anfang der 90er mächtig aus dem | |
Untergrund drängte … | |
KP: … stimmt, das Jahrzehnt war am intensivsten. Viele neue Genres | |
entstanden: TripHop, Big Beat und Techno wurden salonfähig. Die | |
Experimentierfreude schien endlos. Man konnte sich überhaupt nicht | |
satthören. Wir waren ununterbrochen auf Konzerten. | |
taz: Was wurde eigentlich aus den Kassetten? Den Mixtapes? | |
KP: Es gibt ein legendäres Mixtape von uns, von 1998 – eine Seite | |
Elektronik, eine eher Rock. Es kursiert offenbar immer noch. Gibt’s jetzt | |
auch als Retro-Playlist bei Spotify. | |
taz: Warum nicht bei Tidal? | |
KP: Den Streamingdienst Tidal hab ich auch ausprobiert, aber bei Spotify | |
hab ich mich mittlerweile eingegroovt. Der Algorithmus ist leider verdammt | |
gut. Die Tipps, mit denen ich im Kopf spiele, wenn ein Kunde reinkommt, | |
werden mir beim Suchen bereits öfter vorgeschlagen. Die Trefferquote mag | |
solide sein, aber meine ist immer noch besser. Und solange das so bleibt, | |
brenne ich für den Job. | |
9 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Jan Scheper | |
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