| # taz.de -- Münchner Indie-Institution Echokammer: Ein Mann, hundert Platten | |
| > Albert Pöschl ist schon immer einziger Mitarbeiter seines Labels. Heute | |
| > ist es für seine Subkultur unverzichtbar und knackt bald eine besondere | |
| > Marke. | |
| Bild: München ist eine Qual: Tom Wu | |
| „Abseitige Musik zu veröffentlichen“, sagt der Münchner Künstler und | |
| Labelbetreiber Albert Pöschl, „war schon immer das Konzept von Echokammer | |
| Records“. Abseitige Musik, das heißt zum Beispiel: „Tom Wu is Dead“ von … | |
| Wu, einem singenden Schlagzeuger. Sein Werk trägt die Katalognummer | |
| Echokammer 98. | |
| Bald werden also hundert Platten bei dem rührigen Münchner Indie-Label | |
| erschienen sein, dessen Gründer, Toningenieur und einziger Mitarbeiter ist | |
| immer schon: Albert Pöschl. Echokammer ist neben Labels wie Trikont und | |
| Disko B eine der Anlaufstellen der Münchner Subkulturszene. | |
| Auch für Tom Wu, der seit mehr als einem Jahrzehnt bei verschiedenen Bands | |
| mitmischt und mit diversen Projekten Musik bei Echokammer veröffentlicht | |
| hat. Zuletzt ist Wu, der seinen bürgerlichen Namen nicht in der Zeitung | |
| lesen will, auch als Schlagzeuger der Artschoolband What are People For? in | |
| Erscheinung getreten. | |
| Albert Pöschl, Jahrgang 1963, betreibt das Label Echokammer, und arbeitet | |
| zudem auch als DJ und macht selbst Musik. Schon als Jugendlicher in der | |
| niederbayerischen Provinz begeistert er sich für Punk und Hardrock. | |
| Irgendwann wird es ihm in seinem Dorf zu langweilig. | |
| ## Am Mischpult, an den Plattentellern | |
| Also zieht Pöschl Mitte der 1990er nach München. Zur Rave-Szene, die sich | |
| damals in München etabliert, hält er eher Abstand. Lieber legt er Dub auf | |
| und steht bei Konzerten von Bands wie Die Sterne hinter dem Mischpult. | |
| Nebenbei studiert er Tontechnik und startet 1999 dann das Label Echokammer. | |
| Das hat in den Nullern auch Tom Wu mitbekommen. Der Mensch hinter der | |
| Kunstfigur hat am Konservatorium in München Schlagzeug studiert. Wu fühlt | |
| sich eher von der Kunst- als der Musikszene inspiriert. Das Virtuosentum | |
| anderer Konservatoriumsabsolvent:Innen schreckt ihn ab. | |
| Im Echokammer-Kosmos, irgendwo zwischen Artschoolpop, Dub und Noiserock, | |
| hat er als Tom Wu sein musikalisches Zuhause gefunden. Unter anderem | |
| spielte er in der Band Kamerakino, später trommelte er auch für das | |
| Nachfolgeprojekt Das Weiße Pferd. Beide Bands sind Eckpfeiler des Münchner | |
| Musikuntergrunds, [1][der um jede Auftrittsmöglichkeit kämpfen muss. Man | |
| hört dieses stille Leiden] an Albumtiteln wie „Munich Me Mata“ und „Mün… | |
| bringt mich um“, natürlich veröffentlicht bei Echokammer. An der Produktion | |
| der Musik ist Albert Pöschl oft beteiligt. | |
| ## Gutes Miteinander | |
| Gegenseitige Befruchtung ist für den Echokammer-Kosmos mehr die Regel als | |
| die Ausnahme. Das Label bietet für Pöschl die Möglichkeit, Musik seiner | |
| Freund:innen und von sich selbst zu veröffentlichen. Hauptkriterium dafür | |
| ist neben der Originalität des musikalischen Materials, dass Pöschl mit den | |
| Künstlern „gut auskommt“. | |
| Zuletzt trat der Labelzampano, der stets einen Hut trägt, in Glitzerkleid, | |
| mit Perücke und Schminke als Jason Arigato in Erscheinung. Dazu spielt er | |
| einen reduzierten Sound, der von verzerrter Gitarre und seinem spärlichen | |
| Gesang getragen ist. „Jason B.Sad/Jason B.Glad“ heißt sein Album, in | |
| Pandemiezeiten produziert, die Texte handeln von Isolation und ihrer | |
| Überwindung. | |
| Auch bei Tom Wu, mit Pöschl zusammen aktiv bei Kamerakino und später bei | |
| Das weiße Pferd, entsteht Anfang der Zehner Jahre die Idee zu einem | |
| Soloprojekt: „Ich wollte selbst Songs komponieren und mit einem eigenen | |
| Projekt am Start sein. Das mag verwundern, als Gitarrist kann man sich | |
| einfach hinstellen und loslegen, als Schlagzeuger ist das aber schwierig.“ | |
| ## Acht Flächen | |
| Aus der bildenden Kunst bezieht Wu eine konzeptuelle Herangehensweise und | |
| die Lust an der Limitierung. Als Schlagzeuger nutzt Wu ein elektronisches | |
| Drumpad mit acht programmierbaren Flächen. Sein Klang ist lo-fi, die | |
| Stimmung der Songs düster, es wird auch psychedelisch, mit Anklängen an New | |
| Wave. Hin und wieder finden sich verstreute literarische Referenzen, etwa | |
| an H. P. Lovecraft und Franz Kafka. | |
| Wu covert pro Album einen Song. Darunter sind Klassiker, wie Velvet | |
| Undergrounds „Venus in Furs“ und David Bowies „Blackstar“. In Tom Wus g… | |
| nicht ehrfürchtigen Fassungen werden sie zu kongenialen Coverversionen. In | |
| der Konfrontation mit den musikalischen Vorbildern eignet er sie sich durch | |
| seine limitierten Möglichkeiten an. Liveauftritte sind sorgfältig | |
| inszeniert. Tom Wu verzichtet grundsätzlich auf Ansagen. | |
| Anfangs wird er von zwei Backgroundtänzerinnen begleitet und schickt dazu | |
| Visuals auf eine Leinwand. Sein Debütalbum, erschienen 2013, ist live in | |
| einer Industriehalle aufgenommen, mit allen Fehlern und klanglichen | |
| Eigenheiten, die sich aus der ungewöhnlichen Aufnahmesituation ergeben | |
| haben. Das zweite Album, „All you want“ (2018) fokussiert auf die Themen | |
| Absturz, Exzess und Sex. Tom Wu tritt jetzt ohne Tänzerinnen auf, dafür in | |
| Netzhemd und mit Maske. | |
| ## Besser als nix | |
| [2][Variation ist wichtig, gerade in einer kleinen Szene]. Das Münchner | |
| Publikum, vor dem Wu hauptsächlich auftritt, soll sich nicht langweilen. | |
| Wus Alben erhalten einige Rezensionen in kleineren Magazinen und einem | |
| obskuren französischen Musikblog. Zu wenig für einen Hype. Albert Pöschl, | |
| den Labelbetreiber, schreckt das nicht ab: „Besser, Echokammer | |
| veröffentlicht Wus Musik, als dass es überhaupt niemand macht.“ Für Tom Wu | |
| bietet Echokammer gegenüber einem Album auf eigene Faust den Vorteil, dass | |
| die Musik bei den Streamingplattformen verfügbar ist. Immerhin. | |
| Vor Kurzem ist „Tom Wu is Dead“ erschienen. Es ist das bisher beste Album | |
| des Soloprojekts. Songs wie „He’s Lost“ und „Fuck it I’m Into it“ z… | |
| wie reibungslos das Konzept von Tom Wu funktioniert: Treibendes, grooviges | |
| Schlagzeug simple Synthiemelodien und die in verschiedenste Richtungen | |
| immer leicht überdrehte Gesangsstimme vereinen sich zu eigenwilligen | |
| Popsongs, die auch jenseits des Weißwurstäquators Gehör verdienen. | |
| Bei „Tom Wu is Dead“ hat Produzent Benedikt Wießmeier einen konsistenten | |
| und dichten Sound geschaffen. Als Mitglied des Bassmusikduos | |
| Schlachthofbronx ist Wießmeier der Münchner Experte für tiefe Töne. Zwar | |
| klingt „Tom Wu is Dead“ immer noch nach Wohnzimmer, aber jetzt ist es mit | |
| ordentlich Wumms tiefergelegt. | |
| ## Backstage Situationen | |
| Bei einem kleinen Künstlerlabel zu veröffentlichen heißt auch, dass die PR | |
| in Eigenregie entsteht. Im Umfeld des Labels realisiert Susanne Beck meist | |
| die Musikvideos. Auch zur Veröffentlichung von „Tom Wu is Dead“ hat sie ein | |
| Video für den Song [3][„He’s Lost“] inszeniert. Es mischt Aufnahmen einer | |
| Liveperformance mit Aufnahmen von Tom Wu in Backstage-Situationen. | |
| Er raucht, trinkt und lacht. Beck arrangiert die Bilder auf eine Weise, | |
| dass der Eindruck entsteht, es handle sich um einen Nachruf in Videoform. | |
| Am Anfang ist ein Sample zu hören, das sich so nicht in der Albumversion | |
| des Songs findet: „He’s a superstar at war with his own darkness/ And soon | |
| this darkness will consume him.“ Etwa in der Mitte des Videos wird ein | |
| Interview eingeblendet. | |
| Dirk Wagner, Faktotum des Münchner Lokaljournalismus, ist im Gespräch mit | |
| einem vom Rockstarleben gezeichneten und leicht genervten Tom Wu. Wie lange | |
| er das Künstlerdasein noch durchhalten werde, fragt Wagner. „So lange es | |
| eben geht“, antwortet Wu trotzig. | |
| Parallel hat das Label eine Todesanzeige an die Presse verschickt und in | |
| den sozialen Medien gepostet. Tom Wu hätte den Kampf gegen Depression und | |
| Drogen im Alter von 27 Jahren verloren, heißt es darin. Das Cover von „Tom | |
| Wu is Dead“ zeigt ihn als Drogentoten. Die kontroverse Werbeaktion hat | |
| Künster und Label reichlich negative Presse beschert. In den sozialen | |
| Medien gab es nicht wenige, die die Aktion geschmacklos fanden. „Man muss | |
| es im Kontext der Inszenierung von Rockstar-Klischees sehen“, erklärt Tom | |
| Wu. Erst Sex und Party, jetzt der verfrühte Tod. Eine klassische | |
| Rock-’n’-Roll-Geschichte. | |
| Das Video zu „He’s Lost“ ist ziemlich erfolgreich. Okay, seine Clickzahlen | |
| liegen weit entfernt von Klickzahlen wirkmächtiger Influencer*innen. | |
| Pöschl sagt zur Marketingaktion: „Sie ist provokant. Schade eigentlich, | |
| wenn niemand trauert, dass Tom Wu nicht mehr existiert. Es steckt ja doch | |
| ein kleiner Tod dahinter.“ Der kleine Tod, den Pöschl anspricht, betrifft | |
| die Kunstfigur Tom Wu. „Tom Wu is Dead“ ist sein bestes, aber auch sein | |
| letztes Album. | |
| Oder ist es der natürliche Zyklus einer kleinen Szene? Zwischen Konzerten | |
| in den Münchener Kammerspielen und im Club „Import/Export“ und einigen | |
| Zwischennutzungsprojekten wie dem nur kurzzeitig existierenden „Puerto | |
| Giesing“ enden immer wieder lokale Projekte. Mal mit mehr, mal mit weniger | |
| Aufsehen. Für den Musiker hinter Tom Wu kein Problem: „Wir sind zusammen | |
| alt geworden.“ Zurück bleiben einige Videos und, dank Echokammer, drei gute | |
| Alben. | |
| 19 May 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Elias Kreuzmair | |
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