# taz.de -- Motown meets Westafrika: Ihrer Zeit weit voraus | |
> 1980 kamen westafrikanische Musiker nach L.A.. Mit Motown-Künstlern | |
> spielten sie „Eboni Band“ ein: Fantastische Musik, nun | |
> wiederveröffentlicht. | |
Bild: Abdoulaye Soumare und Gerald Theus im Studio, Los Angeles 1980 | |
Der nervöse Puls exakt getrommelter Bongos, ein sturer | |
4-to-the-floor-Drumbeat zieht seine Bahn, flankiert von messerscharfen | |
Gitarren und einem Bass, der alle Melodien polstert und zugleich schmatzend | |
untergräbt. Dazu schmettern Bläser, und ein spaciger Synthesizer wabert. | |
Das Arrangement ist fett, jeder Ton richtig gesetzt. Ein Sound, der | |
knietief im [1][spätrömischen Disco-Idiom] seines Entstehungsjahrs 1980 | |
fußt. | |
Hier ist die Crème de la Crème der Motown-Musiker der späten 1970er am | |
Start. Nur, die Musik ist einen Tick psychedelischer als Mainstream-Disco. | |
Wenn man genau hinhört, variieren die Bläser Techniken des Afrobeat. Auch | |
der Beat ist mehr uptempo geraten, als die 118 bpm Richtgeschwindigkeit von | |
der Tanzfläche suggeriert. | |
Schließlich deklamiert ein Sänger, dass seine Inspiration von anderswo her | |
rührt: „On a recent trip to West Africa / Peace and Love to my brothers and | |
sisters there / Inspired by this I decided to say these few words to all | |
Africans everywhere: / Let’s get back together!“, die beschwörend | |
vorgetragene Formel der transkulturellen Solidarität wird in Wolof, einer | |
senegalesischen Sprache, wiederholt, bis ein berauschendes, bilinguales | |
Party-Tool entsteht. | |
## Streetfunk zum Auftakt | |
Der Song heißt „Mogofindeou-Sopeunte (Get Together)“ und ist auf dem | |
Debütalbum der Eboni Band zu finden. Erstmals veröffentlicht 1981 bei einem | |
Label in [2][Abidjan, Elfenbeinküste], wie auch vier weitere Alben in der | |
gleichen Besetzung, aber mit verschiedenen Sänger:innen; nun erscheint | |
„Eboni Band“ erneut. Wie gut diese fünf Songs heute klingen: „Shake it on | |
Down“, der streetfunkige zehnminütige Auftaktsong, „Fasso the Motherhood�… | |
die mit einem spacigen Dialog von Kora und Synthesizer ausgestattete | |
Ballade, oder das Finale „I love all“, bei dem eine Hawaiigitarre die | |
Gratwanderung zwischen Kitsch und Abschiedsschmerz kongenial vollführt. | |
Die Eboni Band bekam erfolgreich verschiedene Genres und Musikkulturen | |
unter einen Hut und blieb trotzdem im Ruling Sound der Black Music upfront. | |
Unverständlich, warum [3][Motown] dieses Album nie auf den US-Markt | |
gebracht hat. Aber auch in der Elfenbeinküste und bei der westafrikanischen | |
Diaspora in Europa geriet die Musik bald in Vergessenheit. Durch | |
beharrliche Wühlarbeit des kanadischen Reissue-Labels We Are Busy Bodies | |
bekommt die Welt endlich die fantastische Fusion aus afroamerikanischer und | |
westafrikanischer Popmusik zu hören. | |
Afrika war für afroamerikanische Musiker:innen bereits in den 1950er | |
und 1960er Jahren ein Bezugspunkt, wenn auch eher spirituell wurde das | |
„Motherland“ in Songs und Alben angerufen. Einige US-Jazzmusiker gastierten | |
in Afrika, vor allem im Zuge der Unabhängigkeit ab 1960 gab es Initiativen | |
und Engagement. Kollaborationen zwischen Westafrika und den USA wie die der | |
Eboni Band blieben gleichwohl rar. | |
## Brothers and Sisters | |
„Ob Abidjan oder Los Angeles, wir sind Brüder und Schwestern und haben die | |
gleiche Hautfarbe.“ Für den malischen Textdichter Abdoulaye Soumare, der | |
1980 die Reime von „Get Together“ schrieb, ist die Losung nach wie vor | |
gültig. Soumare, geboren 1954 in Bamako, ist in Dakar (Senegal) | |
aufgewachsen und hat in Paris studiert, seit 1973 lebt er in den USA und | |
arbeitete als Toningenieur für Motown in Los Angeles (wohin das Detroiter | |
Kultlabel Anfang der 1970er gezogen war). | |
Soumare spricht druckreif, hat Charisma, aber er ist kein Star, eher ein | |
Macher hinter den Kulissen: beteiligt etwa an den Aufnahmen von „Upside | |
Down“ (Diana Ross), involviert beim Smashhit „Master Blaster“ von Stevie | |
Wonder, für den Soumare lange als personal assistant arbeitete. Schaut man | |
in die Credits von Motown-Produktionen der 1980er, findet sich sein Name | |
oft. | |
Afrika habe er in den USA immer im Herzen getragen, sagt Soumare der taz. | |
Nachdem Motown Mitte der 1970er einen Vertrieb in Nigeria aufgezogen hatte, | |
reiste er im Auftrag des Labels regelmäßig nach Lagos, um diese Connection | |
zu etablieren – vergeblich. Die musikwirtschaftliche Infrastruktur in | |
Afrika sei damals noch zu schlecht gewesen, sagt er rückblickend. | |
## Drehkreuz Abidjan | |
In der Elfenbeinküste war er 1980 nur auf Durchreise, sein Vorhaben, aus | |
dem nigerianischen Künstler Remi Kabaka einen auch für den US-Markt | |
geeigneten Popstar zu formen, floppte. Er saß auf dem Flughafen in Abidjan, | |
als er vom US-Manager Gerald Theus ausfindig gemacht wurde. „[4][Abidjan] | |
war damals schon Drehkreuz für Westafrika. Dort lebten viele Musiktalente | |
aus der ganzen Region. Ich spreche von Künstler:innen wie Salif Keïta, | |
Mori Kante, Mamadou Doumbia, Aisha Koné. Für Motown war die lokale | |
Infrastruktur ungeeignet, also begannen wir, unser Projekt in den USA zu | |
finalisieren und dafür in Abidjan afrikanische Künstler zu rekrutieren.“ | |
Soumare engagierte die senegalesischen Koraspieler Lamine Konte und Fode | |
Drame, den Gitarristen und Sänger Mamadou Doumbia und den Griotsänger Gun | |
Morgan. Mit der Motown-Backingband wurde eine Art Soulrevue aufgezogen, mit | |
wechselnden Sänger:innen und westafrikanischen Gästen. Speziell Morgan | |
habe die US-Musiker im Studio in Los Angeles in den Wahnsinn getrieben. Er | |
beorderte ein lebendes Huhn ins Studio und verlangte, dass sich alle für | |
die positiven Vibes mit weißem „Geisterpulver“ bestreuen. „Wir haben | |
Babypuder genommen“, erklärt Soumare der taz. | |
Die Motown-Backingband agierte um 1980 auf höchstem Level, erzählt Gregg | |
Middleton, der als Bassist und Arrangeur an den Aufnahmen der Eboni Band | |
mitwirkte, der taz. „Wir haben bis zu fünf Sessions pro Tag im Studio | |
absolviert. Musik war wie Sauerstoff für uns, und trotzdem, als die | |
Afrikaner:innen nach Los Angeles kamen, waren wir aufgeregt. Mit dieser | |
Zusammenarbeit waren wir ahead of the game.“ | |
## Im segregierten US-Süden aufgewachsen | |
Damit spricht er auf die aktuell große Verbreitung von Afrobeats in den USA | |
an und den Kollaborationen zwischen den USA und Afrika. Middleton ist weit | |
weg von Afrika in Memphis, Tennessee, geboren und mit Southern Soul | |
aufgewachsen. „In meiner Jugend in den 1950ern waren die Südstaaten streng | |
segregiert, das war wie in Südafrika. Mit 24 bin ich nach Los Angeles, | |
zuvor habe ich beim Staxlabel als Sessionmusiker gearbeitet, aber es gab zu | |
wenig Jobs, ich musste weg.“ | |
Motown war in Detroit 1960 als Familienunternehmen des Managers Barry Gordy | |
gestartet, der wertkonservative Black Music veröffentlichte, meist brave | |
Songs, die regelmäßig in die Popcharts gelangten. Ab Ende der 1970er war | |
Motown zunehmend auf Stars wie Marvin Gaye, Diana Ross und Stevie Wonder | |
fixiert. Ihr posher Sound war sinnbildlich für den Aufstieg der schwarzen | |
Mittelklasse in den USA. Für Studiomusiker wie Gregg Middleton, die die | |
Basic-Tracks der Hitfabrik Motown einspielten, war es harte Arbeit. | |
„Wir haben die Musik dieser fünf Alben, an denen ich mit der Eboni Band | |
beteiligt war, in drei Wochen eingespielt. Meistens first take. Die meisten | |
Songs habe ich erst im Studio zu Ende komponiert, und fast alle Musiker | |
haben mitarrangiert. Manchmal hat Posaunist Fred Wesley die | |
Bläserarrangements erst finalisiert, als ich noch mit der Komposition | |
beschäftigt war. Wir haben den westafrikanischen Sound in unseren L. | |
A.-Funk-Stil inkorporiert, das macht die Sache besonders.“ | |
Die Musik der Eboni Band ist ein anderes Kaliber als der slicke | |
Good-Time-Sound des ausgehenden Disco-Zeitalters, ihre Einbeziehung von | |
Afrika mag unter chaotischen Umständen zustande gekommen sein, und dennoch, | |
diese Songs klingen nach Herzblut und transportieren entwaffnende Power. | |
„Heute gibt es professionelle Plattenfirmen in vielen afrikanischen | |
Ländern, und der Konzertveranstalter Live Nation operiert nun auch von | |
Südafrika aus. Digitale Produktion ermöglicht größere Reichweiten, dennoch | |
gibt es kein Majorlabel, das in allen 54 afrikanischen Ländern gleichzeitig | |
ein Album veröffentlichen kann. Ich hoffe, das ändert sich bald“, sagt | |
Abdoulhaye Soumare und blickt hoffnungsvoll in die Zukunft. | |
13 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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