# taz.de -- Instrumentenbau im Senegal: Der Klang des Flaschenkürbis | |
> Die Kora ist ein traditionelles Musikinstrument aus Westafrika. Sie zu | |
> bauen ist aufwändig, wie der Blick in eine senegalesische Werkstatt | |
> zeigt. | |
Bild: Fertiggestellte Koras in der Werkstatt von Monsieur Mendy im Senegal | |
Jean-Paul Mendy sitzt auf einem Metallhocker vor einer Werkbank, auf der | |
Schraubenzieher in verschiedenen Größen, Pinsel, Stimmgerät und ein Tuch | |
liegen. Auf seinen Beinen balanciert er einen langen, schmalen Steg aus | |
Holz, an dem über schwarze Wirbel Saiten befestigt sind. Der große | |
Klangkörper liegt auf dem Hocker links neben ihm. | |
Stets zupft Mendy nach und nach an jeder Saite – 21 bis 25 sind es | |
üblicherweise – und lauscht dem Klang hinterher. Ansonsten ist es in der | |
Werkstatt still. Wenn er noch nicht ganz zufrieden ist, dreht er minimal am | |
Wirbel. Es dauert nicht mehr lange, bis er die nächste Kora aus dem | |
Benediktinerkloster Keur Moussa in Senegal fertiggestellt hat. | |
Jedes Jahr werden in der Werkstatt bis zu 50 dieser Stegharfen gebaut. Das | |
rund sieben Kilogramm schwere Instrument hat in Teilen Westafrikas eine | |
lange Tradition und wird außer in Senegal vor allem in Mali, Guinea und | |
Gambia gespielt. Viele Musiker:Innen gehören der Ethnie der Mandinka | |
an. | |
## Sterne als Soundsignatur | |
Verantwortlich für die Korawerkstatt ist Mönch Lazare Gomis. „Einige | |
Instrumente haben zwei Sterne“, sagt er und zeigt auf die kleinen | |
Metallsterne, die am Steg befestigt sind. „Sie stehen für einen besonders | |
guten Klang.“ Dafür müssen Käufer:Innen umgerechnet mehr als 1.000 Euro | |
bezahlen. Gegründet wurde das Kloster kurz nach der Unabhängigkeit von | |
Frankreich im Jahr 1963 von neun Benediktinermönchen. | |
Nach [1][Westafrika] kamen sie ursprünglich aus der Abtei Sankt Peter zu | |
Solesmes im Nordwesten Frankreichs, bekannt für ihre gregorianischen | |
Gesänge. Als Standort wählten sie Keur Moussa, eine Autostunde östlich der | |
[2][Hauptstadt Dakar] gelegen. Aus Wolof, der am meisten gesprochenen | |
Sprache im Land, übersetzt heißt das „Haus des Moses“. Bis heute ist | |
Senegal allerdings durch und durch muslimisch geprägt, Christ:Innen | |
machen nur etwa 5 Prozent der knapp 18 Millionen Einwohner*innen aus. | |
Alle sprechen von einem guten Zusammenleben. Mit Léopold Sédar Senghor war | |
zudem der erste Präsident ein Katholik. | |
Die Zeit der Gründung fiel ins Zweite Vatikanische Konzil, das mehr als | |
drei Jahre tagte und schließlich im Dezember 1965 endete. Gerade für die | |
vielerorts noch junge Kirche in Afrika waren die Änderungen von großer | |
Bedeutung. [3][Gottesdienste] durften in lokalen Sprachen gefeiert und | |
traditionelle Instrumente genutzt werden. | |
## Airplay im Radio | |
Gleichzeitig kamen die ersten Mönche mit der Kora in Kontakt, hörten ihre | |
Klänge im Radio und erhielten als Geschenk ein Instrument. Lazare Gomis | |
zeigt auf die jahrzehntealte Kora, die bis auf kleine Unterschiede – die | |
Wirbel waren damals noch nicht schwarz und aus Plastik – noch so aussieht | |
wie das neueste Exemplar, das Jean-Paul Mendy gerade stimmt. | |
Der Klosterleitung gefiel die Idee offenbar gut, traditionelle Lieder und | |
Instrumente – dazu gehören auch das Balafon, welches einem Xylophon ähnelt, | |
sowie die Djembé, eine Bechertrommel – zu nutzen. „Bruder Dominique Catta | |
wurde beauftragt, danach zu suchen“, sagt der Mönch. Nach und nach wurden | |
sie sowohl mit der Liturgie wie auch gregorianischen Gesängen, die ihren | |
Ursprung wiederum im Europa des 7. oder 8. Jahrhunderts haben, verknüpft. | |
Diese Verbindung gilt weltweit als einzigartig und hat das Kloster | |
weltberühmt gemacht. | |
Dabei wurde die Kora ursprünglich nicht für religiöse Zwecke als genutzt. | |
Stattdessen ist sie das Instrument der Griots. Das sind berufsmäßige | |
Sänger, Dichter und Geschichtenerzähler, die einst in Teilen Westafrikas | |
von Dorf zu Dorf zogen. In Zeiten ohne Internet und Fernsehen versammelten | |
sich die Bewohner:Innen abends unter freiem Himmel, um ihren Vorträgen | |
und Liedern zuzuhören. | |
## Verschwundene Tradition Griots | |
Es heißt, dass der französische Kapuzinermönch Alexis de Saint-Lô, der von | |
1633 bis 1639 in das heutige Guinea und Mali entsandt wurde, zum ersten Mal | |
über den Begriff [4][Griot] schrieb. Inzwischen ist die Tradition | |
weitgehend verschwunden. In einigen Ländern gibt es im staatlichen | |
Fernsehen noch Märchenstunden für Kinder. In Benin beispielsweise haben | |
sich moderne Griots zum Nationalen Netzwerk der Griots von Benin (RENAGRiB) | |
zusammengeschlossen und organisieren Workshops und besuchen Schulen. | |
Zum Erhalt der Kora tragen aber auch immer mehr Künstler*innen aus | |
Westafrika bei, die längst nicht mehr nur auf Weltmusik-Festivals | |
auftreten, sondern ein viel breiteres Publikum gefunden haben. Zu ihnen | |
gehört der 2020 verstorbene Mory Kanté aus Guinea. Sein Song „Yéké Yéké… | |
wurde 1988 in Europa zum Hit, mit dem er in Deutschland und der Schweiz | |
jeweils Platz zwei der Charts erreichte. Ein Remix stammt vom deutschen | |
Techno-Duo Hardfloor. | |
Ebenfalls aus Guinea und einer Griots-Familie kommt Sekou Kora Kouyaté, der | |
die Kora mit Elementen aus Jazz, Blues, Soul, Funk und Afro-Pop mischt. | |
Mitunter wird er als „Jimi Hendrix der Kora“ bezeichnet. Im Video zu seinem | |
Song „Dérangé“ ist der Künstler samt Kora in einer französischen Großs… | |
zu sehen. | |
## Bindeglied | |
In einem Interview mit Sitanews, einem Internetmagazin für Kultur- und | |
Kunstthemen aus Afrika und der Diaspora, sagte er 2020: „Die Kora hat mir | |
die Tür zu einer Zusammenarbeit mit vielen berühmten Künstlern geöffnet.“ | |
Es sei eine Freude zu sehen, wie eine junge Generation nun Kora spiele. Die | |
Verbindung zwischen Tradition und Moderne gelingt. | |
Frauen spielen das Instrument bis heute allerdings äußerst selten, da | |
Wissen und Fertigkeiten traditionell an männliche Nachfahren weitergegeben | |
wurden. Bekannte Stegharfen-Spielerinnen sind allerdings Madina N’Diaye, | |
die aus Timbuktu im Norden Malis stammt, sowie die gambisch-britische | |
Künstlerin Sona Jobarteh. Sie hat am Royal College of Music in London | |
Cello, Klavier und Cembalo studiert. 2015 gründete sie The Gambia Academy | |
in ihrem Heimatland, eine Musikschule, an der die Schüler:Innen auch | |
Unterricht an traditionellen Instrumenten erhalten. | |
Meist einen Kora-Kurs pro Jahr bietet das Kloster Keur Moussa an. Als das | |
Instrument in den Gottesdiensten der kleinen, schmalen Klosterkirche immer | |
häufiger zum Einsatz kam, interessierten sich auch andere Klöster in der | |
Region für die Stegharfe. 1972 entstand schließlich die Werkstatt, in der | |
bis heute 2.203 Exemplare des Instruments gebaut wurden. Einige werden bis | |
nach Europa verkauft. Eines ist garantiert: Jedes Instrument ist ein | |
Unikat. | |
## Getrocknete Hülle der Kallebasse | |
Das liegt schon an dem ungewöhnlichen Klangkörper, einer Kalebasse. Das ist | |
ein halber, ausgehöhlter und getrockneter Flaschenkürbis, der üblicherweise | |
zum Transport von Wasser und Getränken genutzt wird. Um zur Kora | |
weiterverarbeitet zu werden, muss die Hülle ein Jahr lang getrocknet | |
werden. „Es passiert, dass die Kalebasse dadurch Risse bekommt und | |
unbrauchbar wird“, sagt Mönch Lazare Gomis. Bespannt wird sie anschließend | |
mit Kuhleder, das mit Metallnieten befestigt wird. | |
Danach folgen der Steg aus Holz sowie die Wirbel und die Saiten. Letztere | |
wurden ursprünglich aus Tierdarm hergestellt und die Wirbel einst aus Holz | |
geschnitzt, was die Kora zu einem absolut lokalen Produkt machte. Einfach | |
sei das Stimmen aber nicht gewesen, so Gomis, weshalb letztere heute in | |
Japan bestellt werden. Aufgabe der Werkstatt sei es in den vergangenen 50 | |
Jahren auch gewesen, das Instrument zu verbessern und weiterzuentwickeln. | |
Damit ist Keur Moussa zu einer Attraktion für Tourist:Innen geworden, | |
die dafür aus Dakar anreisen. Zur Hauptmesse am Sonntag um 10 Uhr finden | |
längst nicht alle in der Kirche einen Platz. Vor dem Eingang ist deshalb | |
ein Zelt aufgebaut. Extra aus Thiès angereist ist Céline Diop. Sie könnte | |
auch in jede andere Kirche gehen. Die Kora, findet sie, eigne sich jedoch | |
hervorragend als Instrument für Gottesdienste. „Mit ihr entsteht einfache | |
Musik. Damit komme ich wirklich zur Ruhe.“ | |
3 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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