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# taz.de -- Neue Begegnungen von Musikstilen: Fremde oder Freunde
> Wie klingt es, wenn geografisch entfernte Musiktraditionen
> aufeinandertreffen? Das zeigen Alben von Bachir Attar und Elliott Sharp
> sowie Mickey Hart.
Bild: Die Stones, hier Mick Jagger, reisten regelmäßig nach Marokko, um Bachi…
Wie begegnen sich Fremde? Wahren sie distanzierte Neugierde oder sehnen sie
sich danach, in einer Umarmung aufzugehen?
Der sogenannten World Music wurde vorgeworfen, diese Umarmung auf
unredliche Weise zu inszenieren, Fremdheit nivellierend oder alles
Artifizielle in ihrem Gestus der Natürlichkeit verleugnend. Auch tief
empfundenes Mit-Menschsein hilft nicht, die unterschiedlichen Tonleitern
und in verschiedenen Traditionen verwurzelten Klangwelten so ohne Weiteres
zusammenzubekommen. Den somit experimentellen Charakter
kulturübergreifender musikalischer Begegnungen betonten während der 1980er,
in denen der kontroverse Begriff World Music enorm an Popularität gewann,
die eher dem Post-Punk nahen Versuche am neuen Genre.
Eine um aktuelle synthetische Beats und Gesten der Avantgarde schwirrende
Ästhetik entstand, so auch in der Zusammenarbeit des marokkanischen
Musikers Bachir Attar mit dem US-Avantgardisten Elliott Sharp. Das emsige
israelische Label Fortuna Records veröffentlicht nun ihre seit 1990 längst
vergriffene Duo-Aufnahme. Sie unterstreicht Attars Bedeutung als Leader der
The Master Musicians of Jajouka.
## Literarische Berichte
Die Musiker des marokkanischen Gebirgsdorfes wurden einst von [1][Paul
Bowles und William S. Burroughs] auf ihren Reisen für den Westen entdeckt.
Deren lterarische Berichte lockten andere, etwa Brian Jones von den Rolling
Stones, an. Auf dem bandeigenen Label erscheinen 1971 erste, von Jones
gemachte Aufnahmen.
Das Interesse an Kommunikation war geweckt, die Master Musicans spielten
später mit Ornette Coleman wie auch mit den Rolling Stones. Als
Sonic-Youth-Gitarrist Lee Ranaldo 1990 nach Jajouka reiste, bemerkte er die
Spaltung der Master Musicians, der Kopf einer Hälfte war nun [2][Bachir
Attar,] der Mittzwanziger zog alsbald auch durch die New Yorker
Downtown-Szene – doch lediglich das Album in Begleitung von Elliott Sharp
(von Haus aus Gitarrist), mit dessen Noise-Rock-Band Carbon er auch tourte,
entstand.
## Flirts mit arabischen Klängen
Hier prägen Sharps elektronische Beats Strukturen, über welche Attar auf
verschiedenen Instrumenten zu improvisieren scheint. Zum elektronischen
HipHop-Beat gemahnen die Klänge Attars oboenartiger Ghaita an den Ursprung
der Jajouka-Musik in einem alten Pan-Kult, das zerrende, enervierende
Element verhehlt nicht den Schrecken als Teilaspekt der Trance.
Friedlicher folgt man Attars Saitenspiel in die andere Dimension, derweil
sie die Beats immer wieder erden – ein interessantes Wechselspiel, dort am
überzeugendsten, wo ein drittes Element, etwa Attars Gesang, hinzugefügt
wird, so etwa in „Long Night“ mit seiner verblüffenden Verwandtschaft zu
aktueller, experimenteller R&B-Musik. Nicht selten erinnert es an die
Flirts von europäischen Post-Punk-Künstler:Innen mit arabischen Klängen,
nur spröder, reduzierter.
So mag das schneidende Kreisen von Sharps Gitarre in „Arracks Tehta’l
Kamar“ an die geheimnisvolle britische Band C Cat Trance erinnern. Das
letzte Stück heißt „NY Return“ und doch blieb diese Musik eine distanzier…
Begegnung auf Zeit, eine Affäre.
## Faszination für Rhythmen
Im Jahr 2013 erschien unter Attars Beteiligung ein Benefiz-Album für die
Master Musicans, zu dem auch Mickey Hart, einer der beiden Drummer der
kalifornischen [3][Hippiegranden Grateful Dead,] ein Stück beisteuerte.
Harts Faszination für Rhythmen führte ihn zu einer Vielzahl von Projekten.
Als Rhythm Devils spielte er die perkussiven Sounds für den Soundtrack vom
Filmklassiker „Apocalypse Now“ ein, und mit der Diga Rhythm Band trommelte
Hart eine abstrakte Version von Chuck Berrys „Sweet Little Sixteen“ auf der
Tanzfläche von New Yorks legendärer Disco „Paradise Garage“.
Doch bekannt wurde Hart durch sein Sachbuch „Planet Drum. A Celebration of
Percussion and Rhythm“. Das beigelegte Album erhielt 1991 den ersten Grammy
für die nun in jenen Sphären angekommene World Music. Aus Planet Drum wurde
später ein lockeres Bandprojekt, welches mit „In the Groove“ nun erst sein
zweites Album veröffentlicht. An Harts Seite wirken der Inder Zakir Hussain
sowie Sikiru Adepoju aus Nigeria und der Puerto-Ricaner Giovanni Hidalgo –
ihr Miteinander ist das der Umarmung.
Nun gut, zum einen wirklich als alte Freunde, aber die einzelnen Musiker
betonen auch, im Rhythmus etwas Universelles zu erkennen, kulturelle
Barrieren transzendierend. Es bedarf keiner allzu esoterisch ausgestalteten
Sensitivität, um im Beat tatsächlich mehr als nur eine Analogie des
Herzschlags zu erspüren.
## Klingt ziemlich hip
Hart selber ist an der Forschung über die medizinische Wirkung von Rhythmen
beteiligt, und so will diese Weltmusik auch auf keinen Ort verweisen,
nichts vor der Vergessenheit retten, sondern sie experimentiert lediglich
mit diesen oder jenen kulturell fixierbaren Tracks, etwa den sparsam
addierten Gesangsspuren und einem oft polyrhythmischen Beat, der wie wenig
anderes und dabei ziemlich hip zu klingen vermag. Erklingt in des Lesers
assoziativer Erinnerung Mory Kantés World-Hit „Yeke Yeke“? Geben Sie dem
Stück bewusstseinserweiternde Drogen oder lassen Sie abstrakt arbeitende
Techno-Leute einen Remix anfertigen, und wir kommen der Sache durchaus nah.
„Storm Drum“ schleicht sich an, um dann gleich Wassertropfen in alle
Richtungen zu springen. Wie man heute Clubmusik macht, wissen diese nicht
mehr ganz jungen Herren offenbar recht gut: ein perkussiver Trip. Und ist
es nicht seltsam, dass die Suchmaschinen-Eingabe nach diesem Begriff allein
einen taz-Artikel aus dem Jahr 2017 zutage fördert?
Die Ankündigung für ein Konzert des Berliner-Elektronikproduzenten Mark
Ernestus mit der senegalesischen Ndagga Rhythm Force. Und wer spielte im
Vorprogramm: die Master Musicians of Jajouka – der Kreis um die Welt
schließt sich.
2 Sep 2022
## LINKS
[1] /Tanger/!5196911
[2] /Kolumne-Ausgehen-und-Rumstehen/!5324418
[3] /50-Jahre-Grateful-Dead/!5240637
## AUTOREN
Oliver Tepel
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