# taz.de -- Tanger: Tod eines Mythos | |
> Marokkos König Mohammed VI. will das einstige Drogen- und Partyparadies | |
> Tanger zum modernen Handels- und Finanzzentrum ausbauen. Ein Lagebericht. | |
Bild: Eine Vision von Tanger: William Burroughs Alter Ego in der Kulisse des Cr… | |
Das Beste an dem französischen Fernsehintellektuellen Bernard-Henri Lévy, | |
das erzählte mir erst neulich eine befreundete Philosophin, seien seine | |
stets tadellosen Oberhemden. Intellektuell hingegen halte sie den Mann kaum | |
für satisfaktionsfähig. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit ist. Die | |
Wirkung, die durch ein teures Hemd erzielt werden kann, lässt sich nämlich | |
durch den völligen Verzicht auf ein solches noch deutlich steigern. | |
So gesehen an diesem Nachmittag unter der berühmten Sonne von Tanger in | |
Marokko: Sommerschuhe, weiße Hose, Parfumwolke, leichtes Jackett und | |
darunter: nichts. Nur der sorgfältig gebräunte Oberkörper des beinahe | |
sechzigjährigen Philosophen. So rauscht Lévy mit Entourage, zu der auch | |
seine Frau, die Schauspielerin Arielle Dombasle, gehört, aus einem Taxi und | |
verschwindet schleunigst durch eine Haustür ohne Namensschild. | |
Nun ist dieses Arrangement - weiß getünchte Mauer, diskreter Eingang zu | |
einem feudalen Anwesen und dahinter nichts als Himmel und Ozean - nichts | |
Außergewöhnliches. Hanglage mit Meerblick, das war schon in | |
vorkapitalistischer Zeit ein bevorzugter Ort, weil er von hinten Schutz und | |
nach vorne beste Sicht auf das zur Tränke pilgernde Wild bot. Und auch | |
heute, wo das Wild aus der Truhe und der Schampus mittlerweile selbst in | |
islamischen Ländern aus dem Kühler kommt, sind solche Wohnlagen die | |
beliebtesten und daher teuersten. | |
Was also ist das Problem, wenn Lévy es in Tanger anderen wohlhabenden | |
Franzosen wie Yves Saint Laurent gleichtut, sich eine Villa mit Blick über | |
die Straße von Gibraltar leistet und hier ein Jetsetleben pflegt, zu dem | |
die orientalische Kulisse ebenso gehört wie gelegentliche Helikopterflüge | |
zu Partys an der gegenüberliegenden Costa del Sol? | |
Das Problem liegt gleich nebenan und heißt Café Hafa. Eröffnet im Jahr | |
1921, also in den goldenen Jahren der internationalen Zone, besteht es | |
lediglich aus einigen Terrassen unter freiem Himmel. Und jeder zweite | |
Taxifahrer der Stadt kann die Namen seiner prominenten Gäste herunterbeten: | |
William Burroughs, Paul Bowles, Tennessee Williams, später dann die | |
Beatles, Jimi Hendrix und die Rolling Stones. | |
All das ist aber längst passé, denn heute schlagen nur noch einheimische | |
Jugendliche oder Touristen auf diesen Terrassen ihre Zeit tot. Sie kiffen, | |
trinken Minztee aus schlecht gespülten Gläsern und lassen den trägen Blick | |
über die Meerenge von Gibraltar schweifen. Tahar Ben Jelloun beginnt noch | |
seinen jüngsten Roman "Verlassen" mit dieser Szene: Das Hafa ist ein | |
Sehnsuchtsort schlechthin, lebte es doch stets von seiner phänomenalen | |
Aussicht aufs gegenüberliegende spanische Ufer, das vielen jungen | |
Marokkanern noch immer als ein rettendes erscheint. | |
Was hat Lévy also verbrochen? Er hat eine Mauer gebaut, die den Pool und | |
seine sonnenbadende Arielle vor lüsternen oder neidischen Blicken aus der | |
Nachbarschaft schützen soll. Er hat sie so gebaut, dass sie den berühmten | |
Blick von den Terrassen des Hafa zu einem guten Teil verstellt. Und die | |
Bewohner der Stadt wollen ihm das nicht verzeihen. So spricht Tangers | |
Stadthistoriker, der Schriftsteller Rachid Tafersiti, von einer Plünderung, | |
während sich jugendliche Blogger weitaus unflätiger über den französischen | |
Snob und vermeintlichen Neokolonialisten ereifern. | |
Lévys Mauer und die privatisierte Bellevue ist indessen nicht bloß eine | |
baupolitische Provinzposse. Sie ist symptomatisch für den Konflikt dieser | |
Stadt, die sich wie keine andere des Landes auf der Überholspur in Richtung | |
Zukunft wähnt. Einst als Hure Babylon verschrien und deshalb vom alten | |
König Hassan II. während seiner 38-jährigen Regentschaft kein einziges Mal | |
betreten, ist Tanger zum beliebtesten Ziehkind des Nachfolgers und Sohnes | |
Mohammed VI. geworden. Und das nicht nur, weil der junge König so | |
wassersportversessen ist. M6, wie seine Untertanen den weltgewandten | |
Monarchen salopp und respektvoll zugleich nennen, will das Tor zu Afrika zu | |
einem wirtschaftlich bedeutenden Drehkreuz und Warenumschlagplatz zwischen | |
den Kontinenten ausbauen. | |
Geld und Güter sollen flüssiger zwischen den Kontinenten flottieren, was | |
todesmutige Schlauchboottouren in der Straße von Gibraltar aber auch | |
künftig nicht verhindern wird. Dabei läuten millionenschwere Zweitwohnsitze | |
wie die von Lévy, Saint Laurent und anderen eine sachte Gentrifizierung der | |
noch immer schmuddeligen und armen Altstadt Tangers ein und passen dem | |
König gut ins Programm. Schließlich spülen die Ausländer nicht nur Geld in | |
die Kasse, sie tragen auch zu einer kulturellen Klimaveränderung bei, die | |
mögliche Großinvestoren vom anderen Ufer des Mittelmeers interessieren | |
helfen soll. | |
Die Anfänge sind längst gemacht: Seit Anfang Juli verkehren Fähren und | |
Frachtschiffe im ersten Terminal des neuen Großhafens "Tangier Med". Und | |
während griechische Reedereien von hier aus marokkanische Waren in alle | |
Welt exportieren und zugleich die einheimischen Raffinerien mit Rohöl | |
beliefern, hofft man auf den positiven Befund einer Machbarkeitsstudie, die | |
Marokko gemeinsam mit Spanien in Auftrag gegeben hat. Der schweizerische | |
Ingenieur Giovanni Lombardi, vor Urzeiten bereits am Bau des | |
Gotthardtunnels beteiligt, soll bis zum Beginn des nächsten Jahres | |
herausfinden, ob sich Europa und Afrika durch einen Eisenbahntunnel | |
verbinden lassen. Aufgrund viel größerer Wassertiefen und stärkerer | |
Strömungen als im Ärmelkanal erscheint das Projekt aber als sehr ehrgeizig. | |
Vor 2025 wäre es jedenfalls kaum realisierbar, und mit fünf Milliarden Euro | |
wohl auch zu teuer, schließlich rechnet man mit höchstens halb so vielen | |
Reisenden wie zwischen Dover und Calais. Trotzdem werben britische | |
Bauunternehmer, die derzeit überall an der marokkanischen Mittelmeerküste | |
wachgeschützte Ferienanlagen und Altersresidenzen aus dem Boden stampfen, | |
schon heute mit dem Tunnel, als sei er längst beschlossene Sache. | |
Falls es aber auch in ferner Zukunft keine Bahnreisen zwischen Afrika und | |
Europa geben sollte, darf Tanger sich noch immer Hoffnungen auf die | |
Ausrichtung der Expo 2012 machen, um die es sich in Konkurrenz mit Breslau | |
und dem südkoreanischen Yeosu beworben hat. Auch das auf persönliche | |
Initiative des Königs hin. Unter dem etwas blumigen Motto "Routes of the | |
World, Cultures Connecting. For a more United World" präsentiert sich | |
Tanger mit einer modernistischen Themenparkarchitektur, die am Rand der | |
Stadt entstehen soll, falls man im Dezember den Zuschlag erhält. | |
Just an dem Tag, als Bernard-Henri Lévy in seine Residenz am Café Hafa | |
wehte, war übrigens auch eine Evaluierungskommission der Expo in Tanger | |
unterwegs. Überall in der Stadt hingen aus diesem Anlass bunte Flaggen und | |
Plakate, die auf das mögliche Event im Jahr 2012 verwiesen. Und, durch was | |
und wen auch immer bestochen, hielten sich sogar die Drogendealer in der | |
Innenstadt auffällig zurück. So konnten die Inspektoren der Expo, die mit | |
schwarzem Anzug und geschulterten Laptops über den wuseligen Petit Socco | |
stolperten, beinahe den Eindruck gewinnen, es handele sich hier nicht um | |
einen Slum mit drogenromantisch verklärter Vergangenheit, sondern bloß um | |
den pittoresken und ein wenig renovierungsbedürftigen Kern einer | |
aufstrebenden Hafenstadt. | |
Weil sich aber offenbar die zuständige PR-Abteilung nicht völlig in die | |
Zukunft verabschieden will, führt die Expo-Website auch die Rubrik | |
"Historisches". Darauf ein Gruppenfoto von 1961: Paul Bowles, Allen | |
Ginsberg, William Burroughs, und wenn die Beine, die von links ins Bild | |
hineinragen, tatsächlich Brion Gysin gehören, dann hat man hier die | |
schönste Galerie verlotterter Drogenpäpste zusammen. Und ahnt den langen | |
Schatten des Cafés Hafa, von dem der König den Expoinspektoren wohl lieber | |
nichts erzählen würde. | |
Tanger hat also ganz offenbar ein Darstellungsproblem, es hapert am | |
Corporate Design. Wirtschaftliche Modernisierung, touristisch lukrative | |
Nostalgie, das ewige Kramen in den so goldenen wie verruchten Jahrzehnten | |
der Interzone - wer soll da noch den Durchblick behalten? Am ehesten wohl | |
die Stadtbewohner selbst. Verlässt man nämlich endlich die vergleichsweise | |
winzige Medina in Richtung Neustadt, stellen sich die Dinge anders da: | |
kleinere und größere Shoppingmalls, Tankstellen, ruhige Wohnviertel, eine | |
Universität und Jugendliche, die nach der Schule bei McDonalds zu Mittag | |
essen. Von hier aus hat man übrigens den besten Blick über Medina und | |
Hafen. Was fehlt, sind die Kiffer, Touristen und Exilfranzosen. Also wirken | |
auch wir ausgerechnet im Burgerladen wie Fremdkörper. Neben uns schauen | |
zwei junge Mädchen mit Kopftüchern durch die Scheibe mit aufgepinseltem M. | |
Und es scheint, dass sie sich für den Trubel da unten genauso wenig | |
interessieren wie für die spanische Küste, die man von hier auch gar nicht | |
sehen kann. Stattdessen nutzen sie die Gelegenheit, an uns ihr gutes | |
Schuldeutsch zu erproben. Das war nun wirklich nicht der Moment, um nach | |
William Burroughs zu fragen. Und trotzdem jede Wette: Von dem haben die | |
noch nie etwas gehört. Aber sie wollen ja auch nicht Taxifahrer werden. | |
9 Aug 2007 | |
## AUTOREN | |
Ronald Düker | |
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