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# taz.de -- Afrobeat-Schlagzeuger aus Nigeria: Postkoloniale Biegungen
> Er tourte mit Fela Kuti und ist mit Damon Albarn befreundet: Der
> expatriierte nigerianische Drummer Tony Allen spielt am Samstag in
> Berlin.
Bild: Tony Allen am Werkzeug.
Kennen Sie Geheimagenten? Eine vertrauliche Frage, gerichtet an Tony Allen,
die höchste Instanz des Afrobeat. Im Zeitalter des Keyloggers muss diese
Frage allemal erlaubt sein. Besonders, weil Tony Allen eines seiner
schönsten Soloalben „Secret Agent“ betitelt hat.
Der nigerianische Drummer bejaht sofort: „Ein Geheimagent ist jemand, der
indirekt attackiert. Der dir intrigant und feige in den Rücken fällt. Ohne
Augen am Hinterkopf wird die Abwehr für dich kompliziert“,
höhnisch-meckerndes Gelächter. „Der Geheimagent ist gleichzeitig
schlimmster Feind und bester Freund.“ Schweigen. Dann schiebt Allen eine
tödliche Punchline hinterher: „Für mich hat der Geheimagent immer auch
positive Eigenschaften.“
Tony Allen ist am Leben. Er hat den Wahnsinn, den er seit den frühen
Sechzigern äußerst kreativ am Schlagzeug begleitet und dabei unerbittlich
nach vorne treibt, einigermaßen unbeschadet überstanden. Denn etwas
Geheimdienstliches steckte sicher in der Figur Fela Anikulapo Kuti,
genialer Komponist und Allens Nemesis. Kuti, 1997 an Aids gestorben, war
der Bandleader von Africa ’70, in der Tony Allen über 15 Jahre getrommelt
hat. Beflügelt von den positiven Vibrationen der Black Power war Fela Kuti
einst angetreten, um gegen Korruption in Nigeria zu kämpfen, wurde aber
selbst von Erfolg, Geld und Drogen korrumpiert, verdaddelte alles, was er
besaß.
Die Atmosphäre in der Metropole Lagos, Allens Heimat, spielt eine wichtige
Rolle: ihre brodelnde und kosmopolitische Musikszene, die von der
Aufbruchstimmung der nigerianischen Unabhängigkeit, 1960, angetriggert
wurde, aber auch vom Austausch mit anderen Metropolen wie Accra in Ghana
lebte. Lagos setzte damals zu künstlerischen Höhenflügen an. Aber durch
Staatsstreiche, Militärdiktaturen und korrupte Eliten in den späten
Sechzigern und frühen Siebzigern wurde die Stadt, so, wie das ganze Land,
zunehmend gelähmt. Auch die Musikszene zerfiel unter Eifersucht und
Konkurrenzdruck, parallel zum allmählichen Niedergang der nigerianischen
Musikindustrie. Und weiter bis hin zur Globalisierung und ihrem
verniedlichenden Begriff „World Music“.
## Zwischen Lagos und Paris
Auch die Behörden in Paris spielen eine Rolle in Allens Leben. Sie trieben
Tony Allen, nachdem er schließlich von Nigeria nach Europa emigriert war,
zwischen 1988 und 1998 mit befristeten Aufenthaltsgenehmigungen an den Rand
der Verzweiflung, bis er dank der Heirat mit seiner Frau Sylvie endlich die
französische Staatsangehörigkeit und eine unbefristete
Aufenthaltsgenehmigung erhalten hat.
Faszinierende Erklärungen und plausible Selbstaussagen finden sich in dem
Buch „Tony Allen. An Autobiography of the Master Drummer of Afrobeat“, das
mit Michael E. Veal entstanden ist, Professor für African-American Studies
im nordamerikanischen Yale. Allen habe das Drumming in Westafrika in den
Sechzigern revolutioniert, schreibt Veal im Vorwort, weil er in seinem
Spiel die polyrhythmischen Arrangements von mehreren Perkussionisten
vereint, im sogenannten „hocketing“.
Bei Allens Drumsound fällt als Erstes seine gegenläufig zum Groove liegende
improvisatorische Betonung der HiHat-Becken auf. Er bedient sich dabei der
Dramaturgie von Funk-Songs und der harmonischen Prinzipien des modalen Jazz
und überführt diese ins 21. Jahrhundert. Veal nennt Allens Rhythmus-Figuren
„Biegungen“.
Ein Stomper ist Allen keinesfalls, er schüttelt die Beats locker aus den
Handgelenken, tippt die Bassdrum stets nur mit dem Fußpedal an, setzt nur
ab und an Haken, wie ein Boxer. Es geht immer um Polyrhythmik, um den
vielgestaltigen Anschub des Groove. Allen ordnet sich in den Bandsound ein,
er ist kein Solist. Oftmals zieht er den Groove über 15, 20 Minuten durch,
ohne eine Sekunde nachzulassen oder auszufransen. Im Interview mit der taz
erklärte er 2009, seine großen Helden seien die Drummer des Bebop: Art
Blakey und Max Roach. Roach, der unter anderem an der Seite von Charlie
Parker und Miles Davis drummte, wurde selbst Bandleader, genau wie Tony
Allen.
Als Allen in den Sechzigern in der Jazzsendung, die Fela Kuti im
nigerianischen Rundfunk moderierte, zum ersten Mal Max Roach hörte, dachte
er, da seien mehrere Drummer am Werk. „Es war, als trampelte er mir direkt
übers Gesicht, so sehr hat mich diese Spielweise in den Bann gezogen.“
Roach sei imstande, mit seinen Drums Geschichten zu erzählen, sagt Allen.
Was er damals im Radio von dessen Erzählungen aufgeschnappt hat, setzte er
aber zunächst „falsch“ um. Und mischte Klangsignaturen des Jazz mit seinen
Kenntnissen von westafrikanischem Highlife, Apala und Mambo-Sounds. So viel
zur Kulturalität des Afrobeat.
## Schwanz am Hinterteil?
Wendepunkt in Tony Allens Karriere ist die US-Tour mit Fela Kuti, 1969. Die
Musiker spielten vor allem in kleinen Clubs für die nigerianische Diaspora
in den USA, sie strandeten in Los Angeles, lebten monatelang mittellos in
einem Haus im Ghetto von Watts. „Eines Morgens kam ein kleiner Junge aus
der Nachbarschaft und fragte mich: ’Hast du am Hinterteil einen Schwanz?‘
Alle Afrikaner trügen Schwänze. Ich sagte ihm: ’Geh nach Hause, frag deinen
Vater, ob er einen hat. Wenn er einen Schwanz trägt, tragen wir auch
einen.‘“
Allen, dessen Eltern der nigerianischen Mittelklasse angehörten und der in
liberalen Verhältnissen aufgewachsen war, zeigte sich schockiert über die
gesellschaftliche Apathie in den USA. Zuhause in Nigeria hatte er schon im
Jugendalter gegen seine Eltern rebelliert. Seine Mutter war streng-religiös
katholisch, er lehnte die Kirche als Institution ab. Das heutige Nigeria,
Boko Haram, die brutalen ethnischen und religiösen Auseinandersetzungen
sind ihm fremd.
Näher verbunden fühlt sich der 74-Jährige da dem internationalen Musikleben
in London. Die Pop- und Dancefloor-Szene der britischen Hauptstadt hat auch
durch die ortsansässige nigerianische Diaspora Allens Musik entdeckt. „Tony
Allen got me dancing“ heißt es am Ende des Blur-Songs „Music is my radar�…
Blur-Sänger Damon Albarn ist zum Freund geworden, hat mit Allen mehrere
Alben aufgenommen. Und das Londoner Label Honest Jon’s veröffentlichte
Remixe einiger von Allens besten Songs. Inzwischen gilt Tony Allens
Afrobeat vor allem als Agent des postkolonialen Wandels in der Welt. Geheim
ist das nicht, es macht Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
21 Mar 2015
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Afrobeat
Postkolonialismus
Nigeria
Schlagzeuger
Afrobeat
Michael E.Veal
Schwerpunkt Brexit
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