# taz.de -- Erstes Solo-Album von Damon Albarn: Weltläufige Einsamkeit | |
> Großartige Momente mit einer Spur Kulturpessismismus: Blur-Sänger Damon | |
> Albarn und sein Soloprojekt „Everyday Robots“. | |
Bild: Kommt erstaunlich kulturpessimistisch daher: Damon Albarn. | |
Da sitzt er auf einem Barhocker. Zusammengesunken in einem armeegrünen | |
Parka. Strubbelhaare, hochgekrempelte Stoffhose, Karosocken. Obwohl sein | |
Kopf gen Boden sinkt, wirken die Gesichtszüge entspannt. Damon Albarn | |
scheint gar ein wenig zu lächeln. Ein kurzer, wohliger Moment im Angesicht | |
der Erschöpfung, die Erleichterung nach der Kapitulation? | |
Die Coverabbildung von „Everyday Robots“, dem nun erscheinenden ersten | |
Soloalbum des Blur- und Gorillaz-Kopfes Damon Albarn, zeigt den Meister | |
himself auf einem Hocker im weißen Raum. Wobei, erstes Soloalbum? Albarn | |
war bei so vielen Projekten die entscheidende Figur, es ist halt nun das | |
erste, das der 46-Jährige unter seinem Namen veröffentlicht. „Ich mag das | |
Wort Soloalbum nicht, ich bin nicht gern solo“, sagte er dem New Musical | |
Express, „auch wenn ich an einem arbeite.“ | |
Das hört sich eher beiläufig an. Man sollte also nicht erwarten, hier komme | |
nun das Masterpiece des Musikers, der mit Blur (Britpop), Gorillaz | |
(animierter Indie-Hip-Hop) und vielen weiteren Projekten Popgeschichte | |
schrieb. Auf „Everyday Robots“ lässt sich Albarn denn auch von Brian Eno | |
als Produzenten und beim Song „Heavy Seas of Love“ begleiten. Die | |
Singer-Songwriterin Natasha Khan (alias Bat for Lashes) ist in dem Lied | |
„The Selfish Giant“ zu hören. | |
Albarn war immer brillant darin, musikalische Welten zusammenzuführen. Als | |
Musiker wie als Labelbetreiber: 2002 gründete er gemeinsam mit dem Honest | |
Jon’s Record Shop in London das gleichnamige Label, auf dem seither | |
Afrobeat, Calypso, Dancehall, Folk, Jazz und Minimal Music gleichberechtigt | |
erscheinen. | |
## Keine Global-Pop-Sause | |
Doch die ganz große, ausschweifende Global-Pop-Sause, die man ihm zutrauen | |
würde, feiert Albarn auf „Everyday Robots“ nicht. Eher dezent lässt er | |
Stile aus aller Welt in seine Mellow-Popsongs einfließen – unspektakulär, | |
aber sorgfältig. Mit dem dritten Stück „Lonely Press Play“, einem der | |
stärksten des Albums, zeigt er dies nahezu in Perfektion. Der Song ist | |
raffiniert, rhythmisch, funky und gleichzeitig ein trauriges Klavierstück. | |
Und er singt: „Die lady die / The aspects that you pass on while travelling | |
/ When you’re lonely, press play.“ Man könnte das lässige, weltläufige | |
Einsamkeit nennen – oder auch existenzielle Heimatlosigkeit. | |
Großartige Momente hat auch „The Selfish Giant“. In knapp fünf Minuten | |
wähnt man sich an den verschiedensten Orten. Im Kammermusiksaal lauscht man | |
dem Klavier, dann glaubt man Tom Waits in der kalifornischen Vorhölle einen | |
Besuch abzustatten, um sich dann in einem abgerissenen Londoner Dub-Café | |
wiederzufinden. Albarn singt unterkühlt: „It’s hard to be a lover when the | |
TV’s on / And nothing’s in your eyes.“ Auch das eröffnende Titelstück | |
„Everyday Robots“ zählt zu jenen tollen vielschichtigen Tracks. Es gibt | |
aber auch schwächere Momente. | |
Die Stücke „Hostiles“, „You & Me“ und „The History Of A Cheating Hea… | |
basieren auf gezupften Gitarrenläufen, wobei vor allem von letztgenanntem | |
Song kaum etwas hängenbleibt. Und mit dem abschließenden „Heavy seas of | |
love“ agieren Albarn und Eno nahe am Kitsch. Der Pre-Chorus hat den | |
gleichen Melodiebogen wie in Michael Jacksons „Heal the World“ – das Stü… | |
verharrt in einem ähnlichen Gestus. Das ist äußerst schade angesichts der | |
tollen Momente in den ersten 40 Minuten des Albums! | |
## Natur-Technik-Dichotomie | |
Auch textlich kommt Albarn erstaunlich kulturpessimistisch daher. Das Album | |
handle von einer Natur-Technik-Dichotomie, sagt er. Und da die erste Zeile | |
eines Albums oft so wichtig ist wie der erste Satz eines Buches, muten | |
diese doch einigermaßen banal an: „We are everyday robots on our phones / | |
in the process of getting home.“ Bei der vorgetragenen Skepsis gegenüber | |
der digitalen Ära denkt man doch, der Diskurs um jüngere | |
Kommunikationstechnologien sei bereits einen Schritt weiter. | |
Man kann es aber auch konsequent nennen, denn Albarn geht bewusst einen | |
Schritt zurück. Er scheint auf der Suche nach etwas Essenziellem zu sein. | |
Oder auch auf der Suche nach Glaubwürdigkeit, mit den Mitteln der | |
autobiografischen Rückschau. | |
Die zwölf Songs gleichen ein wenig jenem zusammengekauerten Menschen auf | |
dem Cover: „Everyday Robots“ ist ein melancholisches Feelgood-Album – und | |
dies ist hier alles andere als ein Widerspruch. Denn Albarn setzt den | |
Zumutungen der Welt ein erleichtertes Lächeln entgegen. | |
25 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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