# taz.de -- Sonny Rollins über sein Musikerleben: „Loben Sie nicht mich!“ | |
> Jazzikone Sonny Rollins über seine Liebe zu Yoga, seine Überwindung von | |
> Lastern, über das Nichthören von Musik und seine Haltung zu Geld. | |
Bild: Trotz der 83 Jahre – die Bebop-Legende denkt nicht ans Aufhören. | |
taz: Mr Rollins, warum praktizieren Sie seit Jahren Yoga? | |
Sonny Rollins: Ich praktiziere hauptsächlich die mentalen Formen Bhakti- | |
und Karma-Yoga. Durch Yoga habe ich gelernt, mich mehr auf die Musik zu | |
konzentrieren. Ich lernte, zielgerichtet zu agieren und meine Gedanken zu | |
ordnen. Außerdem hilft es mir beim Versuch, im täglichen Leben ein gütiger | |
und spiritueller Mensch zu sein. Die Atemübungen haben zudem meine Atmung | |
beim Spielen deutlich verbessert. | |
Hat sich das Spielen von Jazz direkt auf Ihren Körper ausgewirkt? | |
Ja und Nein. Durch das Saxofonspielen fing ich an, das Leben eines | |
Musikers, eines Künstlers zu leben. Ich trank viel, ich rauchte viel, all | |
diese Dinge. Es war sehr schwierig, sich davon zu lösen. Als ich anfing, | |
Yoga zu studieren, habe ich erkannt, wie wichtig es ist, meinen Körper | |
zusammenzuhalten und einfach lebendig zu sein. Musiker zu sein, war also | |
gut und schlecht für meinen Körper. Ich habe aber mein Leben lang Glück | |
gehabt. | |
Stimmt es, dass Sie fast gar keine Musik mehr hören? | |
Nicht ganz. Es gab eine Zeit, in der ich gar keine Musik gehört habe. Wenn | |
man so wie ich seit über 60 Jahren Musik macht, fühlt man sich zu Hause | |
ohne Musik wie in den Ferien. Ganz aufhören mit dem Musikhören kann ich | |
aber gar nicht, denn ich habe so viel Musik im Kopf. Ansonsten läuft bei | |
mir Zuhause das Radio. | |
Hören Sie sich Ihre eigenen Aufnahmen an? | |
Nein, nie. Dafür bin ich zu sehr Perfektionist. Es fällt mir schwer, meine | |
eigene Musik zu hören, weil ich ständig kritisiere, was ich spiele oder | |
hätte besser spielen sollen. Seitdem ich mein eigener Produzent bin, muss | |
ich mir selbst zuhören, das ist qualvoll. Früher hat meine Frau Lucille die | |
Aufnahmen für mich durchgehört (Lucille Rollins starb 2004; Anm. d. Red.). | |
Jetzt höre ich nur soviel wie nötig, um ein Album zu machen. | |
Wie erklären Sie sich, dass Jazzfans in aller Welt Freude an Ihren | |
Aufnahmen haben? | |
Wenn jemand zu mir kommt und sagt, wie sehr er meine Arbeit verehrt, | |
entgegne ich: „Danke, aber das bin ich nicht, die musikalische Begabung | |
wurde mir nur in die Wiege gelegt“. Natürlich habe ich versucht zu üben, so | |
gut ich konnte. Aber die Begabung kam nicht von mir. Loben Sie nicht mich. | |
Loben Sie vielleicht die Lüfte. | |
Können Sie am Spiel eines Künstlers heraushören, wie alt er ist? | |
Nein, obwohl: Das ist für mich eine stilistische Frage. Im Jazz etwa | |
durchläuft Musik bestimmte stilistische Veränderungen. Man spielt Musik, | |
die einen geprägt hat. In den dreißiger und vierziger Jahren war es der | |
Swing, in den Fünfzigern Bebop. Es gibt aber auch Musiker, die aus jeder | |
Ära etwas spielen, nicht nur aus ihrer eigenen Zeit. Das Alter einer Person | |
erkennt man also eher am Stil ihres Spiels. | |
Im Laufe Ihrer Karriere hat sich Ihre Umgebung fundamental gewandelt – die | |
Ausbildung der Musiker, mit denen Sie spielen, deren Werdegänge. | |
Wenn man so lange dabei bleibt wie ich, ist jeder jünger als ich es jetzt | |
bin. Ich habe hier wiederum großes Glück, ein Musiker sein zu können, | |
dessen Spiel nicht von meinem Alter diktiert wird oder von der Musik aus | |
der Zeit, in der ich aufwuchs. Die Leute sagen mir oft: „Sonny, du bist der | |
Letzte, alle deine ehemaligen Kollegen sind tot“. Für mich stimmt das | |
nicht. Auch wenn meine Freunde nicht mehr leben, ist ihre Musik Teil meiner | |
Seele. Sie fühlt sich sehr lebendig an. Außerdem bin ich, anders als die | |
meisten Musiker, ein sehr eklektischer Spieler. So habe ich zum Beispiel | |
ein Album mit den Rolling Stones aufgenommen und auch Country&Western | |
gespielt. | |
Was hat das Harlem Ihrer Kindheit mit dem von heute zu tun? | |
Das Harlem meiner Kindheit war ein äußerst musikalischer Ort. Aus dem | |
ganzen Land kamen Bands, um im Apollo-Theater, Cotton Club oder im Savoy | |
Ballroom zu spielen. In Harlem musste man am Besten sein. Ich bin mit Musik | |
in den Ohren aufgewachsen. Heute haben viele Menschen keine Idee davon, was | |
für ein bedeutendes kulturelles Zentrum Harlem war für schwarze Politiker, | |
Intellektuelle und Musiker. Davon ist nicht mehr viel übrig. Früher gab es | |
ganze Straßenblocks, in denen ausschließlich Schwarze lebten. Harlem wurde | |
gentrifiziert, nun leben sehr viele verschiedene Menschen dort. Ich bin | |
glücklich, dass ich dort war und in die Musik geraten bin. Alles was dann | |
passierte, ist in Ordnung. So ist das Leben. | |
Welche Rolle spielten Jamsessions am Anfang Ihrer Karriere in den späten | |
vierziger Jahren? | |
Jamsessions waren sehr beliebt, als ich anfing zu spielen. Sie haben den | |
Musikern ermöglicht, zu zeigen, was sie draufhatten. Man musste gegen | |
andere Kollegen antreten. Wenn also zwei Saxofonisten aufeinandertreffen, | |
ist es unvermeidlich, dass die Leute sie vergleichen. Wenn sie den anderen | |
besser finden als dich, gehst du nach Hause und übst, um besser zu werden | |
als er. | |
Was waren Ihre Mittel, um besser zu sein? | |
Ich bin da nicht reingegangen um der Größte zu sein, so war es nicht. Viele | |
dieser Typen spielten besser als ich. Du lernst etwas von jedem und bringst | |
es zusammen. Jamsessions waren eine Erfahrung. Meine gottgegebene Begabung | |
hat mir dabei geholfen. | |
Wie präsent waren Musikerinnen damals? | |
Das werde ich in letzter Zeit oft gefragt. Anscheinend sind Musikerinnen | |
heute sehr wütend darauf, dass Frauen damals keine Chancen bekamen, zu | |
spielen. Wir kennen die großen Sängerinnen Billie Holiday, Ella Fitzgerald, | |
Sarah Vaughan oder Bessie Smith. Aber es gab eben nicht so viele große | |
Instrumentalistinnen wie Louis Armstrongs erste Frau Lil Hardin, oder die | |
Tenorsaxofonistin Vi Burnside. Die Frau sollte bei den Kindern sein und | |
kochen, so war die Gesellschaft damals. | |
An welchem Punkt in Ihrem Leben wussten Sie, dass Sie sich keine Geldsorgen | |
mehr machen müssen? | |
Als Jazzmusiker macht man kein Geld. Als wir anfingen, ging es nicht darum, | |
wie viel Geld jemand machte, sondern um die Musik. Als ich aufhörte, mir | |
Sorgen um Geld zu machen, hatte das nicht damit zu tun, dass ich genug zum | |
Leben hatte. Ich habe immer noch nicht viel Geld. Aber ich bete Geld nicht | |
an. Ich hatte herausgefunden, je großzügiger ich war, desto mehr Geld kam | |
zu mir. Und ich bin ein sehr großzügiger Mensch. | |
Was halten Sie von europäischem Jazz? | |
Ich höre mehr über europäischen Jazz als die Musik selbst. Danach scheint | |
es sehr viele verschiedene Entwicklungen in Europa zu geben. Jazz aus | |
Europa wird hier kaum gespielt. Ich bekomme nach wie vor viele Einladungen | |
aus Europa. Nach rund einem Jahr, in dem ich nicht aufgetreten bin, möchte | |
ich Ende dieses Jahres wieder auf die Bühne. Dann werden sicher auch viele | |
meiner Freunde in Europa zu den Konzerten kommen. | |
Welche Saxofonisten haben von Ihnen gelernt? | |
Ich fürchte, ich bin zu bescheiden, um darauf zu antworten. Leute | |
herauszustellen, die von mir gelernt haben, ist mir fremd. Es ist mir | |
gleich, wer etwas von mir hat, von John Coltrane oder Ben Webster. Ich habe | |
auch von anderen Leuten gelernt. Musik ist ein Kontinuum. Deshalb kann ich | |
meinen Beitrag nicht isoliert betrachten. | |
Was braucht ein Jazzmusiker, um heute zu bestehen? | |
Er muss Jazz lieben und darf nicht erwarten, viel Geld zu machen. Wenn | |
jemand so anfängt, hängt es von seinem gottgegebenen Talent ab, wie gut er | |
wird. Ich fühle mich unwohl, wenn ich das Wort „Gott“ so oft benutze. Aber | |
du musst von Geburt an mit musikalischem Talent beschenkt worden sein. | |
Bleiben Sie optimistisch, was die Zukunft des Jazz angeht? | |
Ja. Ich hoffe, dass Jazz immer mit uns sein wird und dass das Publikum ihn | |
immer live erleben möchte, schließlich leben wir in einem technologischen | |
Zeitalter. Wir Menschen werden es immer mögen, Künstler im Konzert | |
auftreten zu sehen. Es gibt nichts Vergleichbares. Ich bin sehr dankbar für | |
mein Leben und froh, dass ich etwas beisteuern konnte zum Vergnügen von | |
Musikliebhabern. | |
2 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Franziska Buhre | |
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