| # taz.de -- Der Erfinder des Afrobeat: Sie schlugen ihn und er schlug sich | |
| > Der Nigerianer Fela Kuti gilt als größter Star der afrikanischen Popmusik | |
| > und als kontroverse Figur. Nun wird sein musikalisches Werk | |
| > wiederentdeckt | |
| Bild: Sahr Ngaujah spielt Fela Anikulapo Kuti im Musical "Fela!". Der Nigeriani… | |
| Musik kann eine Waffe sein, auch heute noch, das haben Pussy Riot in | |
| Russland bewiesen, wo die Provokationen von ein paar kreischenden Mädchen | |
| von den Bütteln des Putin-Regimes mit Straflager in Sibirien geahndet | |
| wurde. Von Victor Jara in Chile bis Wolf Biermann in der DDR reicht die | |
| Internationale der Protestsänger, die einen repressiven Staat mit ein paar | |
| Songs herausfordern konnten. | |
| Musiker können Staatsfeinde sein, der Nigerianer Fela Kuti ist somit nur | |
| einer unter vielen. Doch keiner dieser Oppositionsmusiker erscheint uns | |
| schillernder als er. Noch hat Fela Kuti außerhalb Afrikas nicht den Status | |
| eines Bob Marley, aber das könnte sich ändern. Denn 15 Jahre nach seinem | |
| Tod durch Aids ist sein Bekanntheitsgrad eher steigend denn abnehmend, was | |
| zuallererst seinem musikalischen Schaffen zu verdanken ist, das erst in den | |
| letzten Jahren auch außerhalb von Fela Kutis Heimatkontinent gebührend | |
| gewürdigt wird. | |
| Der von dem Saxofonisten und Sängern Ende der Sechziger ausgedachte | |
| Afrobeat, diese energetische und rhythmisch hochexplosive Mixtur aus | |
| westafrikanischem Highlife, nigerianischem Juju, Calypso, Salsa sowie Funk | |
| und Jazz ist inzwischen reinste Hipstermusik. Indiebands wie Vampire | |
| Weekend beziehen sich auf sie sowie Damon Albarn von Blur und Thom Yorke | |
| von Radiohead, außerdem machen zig angesagte Labels nichts anderes, als | |
| immer noch mehr Afrobeat-Platten von Kuti-Epigonen für eine wachsende | |
| Hörerschaft auszugraben. | |
| Und das Gesamtwerk des Meisters selbst, immerhin mehr als 50 Alben, wird | |
| nun ebenfalls wiederveröffentlicht, bereits zum dritten Mal seit seinem | |
| Tod. Bis zum Herbst will das New Yorker Label Knitting Factory den | |
| kompletten Katalog überarbeitet neu zugänglich gemacht haben. | |
| ## Vermehrte Beschäftigung mit seiner Person | |
| Mit der Neubewertung von Fela Kutis musikalischem Schaffen einher geht die | |
| zunehmende Beschäftigung mit seiner Person. Am Broadway lief ein | |
| überraschend erfolgreiches Musical über sein Leben, demnächst soll eine | |
| große Fela-Kuti-Dokumentation in die Kinos kommen und ein Spielfilm über | |
| den afrikanischen Superstar ist ebenfalls geplant. | |
| Man könnte – daran werden wir im Wagner-Jahr auch ständig erinnert – | |
| versuchen, Künstler und Werk zu trennen. Fela Kutis grandiose Nummern, die | |
| einen gerne zehn Minuten schwindlig spielen, sprechen schließlich in ihrer | |
| musikalischen Güte für sich. Das gilt selbst für sein Spätwerk, das als | |
| schwächer gilt als das der Siebziger und frühen Achtziger. | |
| Doch es würde nichts bringen, denn die Musik, so wollte es Fela Kuti, soll | |
| letztlich unbedingt beim Hörer eine direkte Verbindung mit ihm und seinem | |
| Anliegen herstellen. Er wollte mit der Verbreitung seiner Musik, an der er | |
| trotz seiner widerspenstigen Haltung gegenüber den Verwertungsmechanismen | |
| der Plattenindustrie interessiert war, vor allem erreichen, dass er selbst | |
| bekannter wurde. | |
| Was dabei reiner Egozentrik geschuldet war und was tatsächlich seinem | |
| Sendungsbewusstsein in sozialen und politischen Fragen, ist schwer | |
| auseinanderzuhalten. In geradezu messianischer Weise sah er sich dazu | |
| auserkoren, nicht nur seine von Bürgerkriegen und Militärdiktaturen | |
| zerrüttete Heimat Nigeria zu befrieden, er wollte den ganzen gebeutelten | |
| afrikanischen Kontinent vereinen. Nur im Panafrikanismus sah er den | |
| richtigen Weg, die sich nach dem Kolonialismus in Afrika weiter | |
| ausbreitende Verslumung, die Warlordisierung und die grassierende | |
| Korruption zu beenden. | |
| ## Fela Kutis Präsidentschaftskandidatur | |
| Die Machthaber in seiner nigerianischen Heimat waren für ihn vom wahren | |
| Geist Afrikas entfremdete Speichellecker imperialistischer Mächte, die er | |
| nicht nur als Musiker, sondern Che-Guevara-mäßig mit Taten, symbolischen | |
| Gesten, dann mit der Gründung einer eigenen Partei und einer | |
| Präsidentschaftskandidatur herausforderte. | |
| Während eines längeren Aufenthalts in den USA in den Sechzigern las er | |
| gleich mehrfach die Autobiografie der US-Black-Power-Symbolfigur Malcolm X. | |
| Der Wortgeber der Nation of Islam blieb ein Säulenheiliger für ihn, im | |
| „Shrine“, seinem Club in Lagos, in dem er jahrelang fast täglich endlos | |
| lange Konzerte gab, hing immer ein Foto von ihm – neben dem seiner Mutter. | |
| Die Ideologie der Nation of Islam und der Black Panther, die im weißen Mann | |
| den zu bekämpfenden Feind der Schwarzen sah, übertrug er auf die | |
| Verhältnisse in seiner Heimat. | |
| In Nigeria waren zwar Menschen schwarzer Hautfarbe an der Macht, doch für | |
| Fela Kuti war das sogar noch unerträglicher als wären sie weiß gewesen. „In | |
| Nigeria ist es schlimmer als in Südafrika“, meinte er einmal, denn in dem | |
| Apartheidstaat könnte man wenigstens an der Hautfarbe den Feind erkennen, | |
| während in Nigeria Schwarze andere Schwarze unterdrückten. | |
| Die Black Panther versuchten, die Schwarzen mit sich selbst zu versöhnen – | |
| „Black is beautiful“ – und damit mit ihren afrikanischen Wurzeln und der | |
| Kultur Afrikas. Fela Kuti übernahm diese Vorstellungen. „Africa Centre of | |
| the World“ heißt eines seiner Stücke, „Africa 70“ nannte er seine Band, | |
| Fela Kuti war Patriot eines ganzen Kontinents. | |
| ## Gegen den Prozess der Verwestlichung | |
| Um kulturelles und geistiges Zentrum der Welt zu werden – so glaubte er –, | |
| müsste Afrika jedoch den Prozess seiner Verwestlichung beenden. Er sprach | |
| sich explizit gegen technischen Fortschritt aus und lehnte alles, was er | |
| nicht für wirklich afrikanisch hielt, ab, wozu er kommunistische Ideen | |
| genauso zählte wie den Kapitalismus, auch Christentum und den Islam, die | |
| beiden vorherrschenden Religionen in Nigeria. | |
| Er gründete in Lagos „Kalakuta“, eine Art Kommune, in der er wie ein Guru | |
| residierte und ein seiner Vorstellung nach echtes afrikanisches Leben | |
| führte. Dazu gehörte auch die Fortführung der afrikanischen Tradition der | |
| polygamen Ehe. In einer Yoruba-Zeremonie ehelichte er 27 Frauen, die | |
| gleichzeitig Sängerinnen und Tänzerinnen seiner Band waren. | |
| Er beschlief seine Frauen abwechselnd, jede Nacht durften sich nach einem | |
| bestimmten Turnus zwei in seinem Schlafzimmer einfinden. Widerspruch | |
| duldete er nicht, er war Umsorger und Tyrann gleichzeitig, durch und durch | |
| homophob, und wenn er es für nötig hielt, schlug er seine Frauen. | |
| Homosexualität und Feminismus hielt er für westliche Bedrohungen | |
| traditioneller afrikanischer Werte. Größenwahn, Fanatismus, Ignoranz und | |
| Messianismus lassen sich schwer trennen bei Fela Kuti. Wie ein | |
| afrikanischer Stammeskrieger präsentierte er sich halbnackt auf seinen | |
| Konzerten, er lehnte westliche Medizin ab und interessierte sich für | |
| Schamanismus und Geisterbeschwörung. | |
| ## Am Ende hielt er sich für unsterblich | |
| Es wirkt fast wahnhaft, wie er sich sein eigenes echtes Leben im falschen | |
| zurechtzimmerte, das ging so weit, dass er sich am Ende für unsterblich | |
| hielt, seine Infizierung mit dem Aidsvirus leugnete und die Zeichen der | |
| Krankheit als Transformierung seines Körpers in einen neuen, spirituellen | |
| Zustand deutete. | |
| Was passiert wäre, wäre der Kulturalist und Aids-Leugner Fela Kuti | |
| tatsächlich Präsident von Nigeria geworden, lässt sich nur schwer ausmalen. | |
| Aber bei der „Arabellion“ muss man auch nicht jede Position der | |
| Revolutionäre gutheißen, den dahinterstehenden Wunsch nach Beendigung der | |
| Unterdrückung jedoch akzeptieren. | |
| Und als besessener Freiheitskämpfer verdient Fela Kuti seinen | |
| Ikonen-Status. Zweimal wurde seine Kommune Kalakuta vom nigerianischen | |
| Militär gestürmt, seine Frauen wurden vergewaltigt, seine Mutter aus dem | |
| Fenster geworfen, er selbst wurde verprügelt. Sie steckten ihn immer wieder | |
| ins Gefängnis und schlugen ihn, am Ende war sein Körper völlig vernarbt von | |
| den Attacken. | |
| Fela Kuti aber sagte: „Die Schläge machen mich nur stärker“, und auf dem | |
| Cover seines Albums „Sorrow Tears and Blood“ sieht man ihn, wie er stolz | |
| sein nach einer Prügelei mit der Polizei eingegipstes linkes Bein zeigt und | |
| dabei unbeirrt in sein Tenorsaxofon bläst. | |
| 7 Aug 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Hartmann | |
| ## TAGS | |
| Fela Kuti | |
| Afrobeat | |
| Afrobeat | |
| Musik | |
| Jazz | |
| Pussy Riot | |
| Jazz | |
| Musik | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Nachruf Jazzmusiker Hugh Masekela: Pionier des südafrikanischen Jazz | |
| Hugh Masekela war Trompeter, Pianist, Sänger und konnte noch viel mehr. Er | |
| hat mit Jimi Hendrix, Janis Joplin und Fela Kulti musiziert. | |
| Highlife im Yaam: Das Publikum aufkratzen | |
| Pat Thomas gehört zu den besten Highlife-Musikern der Welt. Seine epischen | |
| Songs klingen so verschlungen wie die Wanderbewegungen seines Lebens | |
| Afrobeat-Schlagzeuger aus Nigeria: Postkoloniale Biegungen | |
| Er tourte mit Fela Kuti und ist mit Damon Albarn befreundet: Der | |
| expatriierte nigerianische Drummer Tony Allen spielt am Samstag in Berlin. | |
| Erstes Solo-Album von Damon Albarn: Weltläufige Einsamkeit | |
| Großartige Momente mit einer Spur Kulturpessismismus: Blur-Sänger Damon | |
| Albarn und sein Soloprojekt „Everyday Robots“. | |
| Die Heimat des „Ethio-Jazz“: Als in Äthiopien der Sound explodierte | |
| Erbebende Tanzflächen, spektakulärer Gesang: Musik aus der goldenen Zeit | |
| Addis Abebas wird wiederentdeckt. Soundtracks haben zum Erfolg geholfen. | |
| Inhaftierte Kreml-Kritikerin: Pussy-Riot-Sängerin isst wieder | |
| Nadeschda Tolokonnikowa beendet ihren Hungerstreik. Aus Protest gegen die | |
| Bedingungen in der Haft hatte sie acht Tage keine Nahrung zu sich genommen. | |
| Funky Blasorchester: Die Welt ist groovy | |
| Kosmopolitisch statt krachledern: die freigeistige Münchner Express Brass | |
| Band und ihr zwischen allen Stilen angesiedeltes Album „We Have Come“. | |
| Afrobeat von Sinkane: Anführer auf dem Sklavenschiff | |
| Von Funk, R&B und Afrobeat über Jazz bis hin zu Glam Rock: Der New Yorker | |
| Sinkane ist mit seinem zweiten Album „Mars“ auf Deutschlandtour. | |
| Ghanas Präsident Mahama: Fela-Fan und Shootingstar | |
| Nachdem John Dramani Mahama im Juli überraschend Ghanas Präsident wurde, | |
| ist er nun gewählt. Und spricht sich für die Idee des Panafrikanismus aus. | |
| Der Sound Afrikas: Wie ein Geschenk von Gott | |
| Der Frankfurter Samy Ben Redjeb stöbert Musiker des Afro-Soul und | |
| Vodoo-Funk auf. Er macht damit längst vergessene Musik Afrikas wieder | |
| zugänglich. | |
| Funk-Sound aus Nigeria mit Seun Kuti: Den Geist des Vaters beschworen | |
| Der Saxofonist Seun Kuti zeigt in Berlin, wie lebendig der Sound seines | |
| Vaters Fela Kuti, des Funk-Großmeisters aus Nigeria, bis heute ist. |