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# taz.de -- Der Sound Afrikas: Wie ein Geschenk von Gott
> Der Frankfurter Samy Ben Redjeb stöbert Musiker des Afro-Soul und
> Vodoo-Funk auf. Er macht damit längst vergessene Musik Afrikas wieder
> zugänglich.
Bild: Samy Ben Redjebs Leidenschaft gilt Aufnahmen aus dem Afrika der sechziger…
Samy Ben Redjeb hat wahrlich gelitten für seine Leidenschaft. Eine
schmerzhafte Begegnung mit Skorpionen in Cotonou, Benin, eine gebrochene
Mittelachse auf der Autofahrt nach Harare, Simbabwe.
Seit einigen Jahren plagt ihn zudem eine asthmatische Stauballergie,
zugezogen in seiner Wohnung im Frankfurter Nordend. Jahrelang lebte er dort
zusammen mit etwa 30.000 verstaubten Platten aus gut 20 Ländern Afrikas.
Unlängst hat Ben Redjeb die Wohnung renoviert, sein Schlafzimmer ist jetzt
Vinyl-frei. Im Musikzimmer zu Hause und in dem kleinen Hinterhofbüro seines
Labels stapeln sich nun die Scheiben in zwei Wandregalen bis zur Decke.
Auf der einen Seite Singles mit Musik aus Angola oder von dem äthiopischen
Sänger Mahmoud Ahmed, auf der anderen Seite LPs aus Ghana, Nigeria und
Südafrika. Obskures neben Bekanntem, kenianische Suaheli-Songs neben Miriam
Makeba.
Samy Ben Redjebs Leidenschaft gilt Aufnahmen aus dem Afrika der sechziger
und siebziger Jahre –Musik, die in Europa und den USA seit längerem hoch im
Kurs steht –, auch dank seines Labels Analog Africa, das Redjeb 2004
gegründet hat. Elf Alben hat er seitdem veröffentlicht mit Songs aus den
goldenen, vom Postkolonialismus geprägten Zeiten afrikanischer Musik. In
den vergangenen 15 Jahren ist der Plattensammler und Labelmacher in Länder
wie Simbabwe und Angola gereist sowie in die westafrikanischen Staaten wie
Ghana, Togo, Burkina Faso und vor allem immer wieder nach Benin.
Dort war der 41-Jährige einer der Ersten, die in Lager- und Kellerräumen
und Hinterhöfen nach Alben mit Afropsychedelik, polyrhythmisch-schrägem
Funk und tribalistischem Rhythm & Blues suchten.
„Benin ist im Gegensatz zu Ghana und Äthiopien musikalisch noch
unerforscht“, sagt Samy Ben Redjeb, der sechs Sprachen spricht und eine
Zeit lang sogar als Flugbegleiter gearbeitet hat, um günstiger nach Accra,
Lagos oder eben Cotonou in Benin fliegen zu können. Der für dieses kleine
Land überwältigende musikalische Reichtum war für ihn wie „ein persönlich…
Geschenk Gottes – wenn es ihn denn gibt“. Nachdem in den späten sechziger
und frühen siebziger Jahren, den Jahren der Befreiung, der Afro-Beat von
Fela Kuti, aber auch der Soul von James Brown in die Region einsickerte,
explodierte die Musikszene des Landes.
## Der Bariba Sound
Überall entstanden Orchester, die zur Parade die Musik der Revolution
spielten und nachts Funk und Afro-Beat in der Bierhalle. „Benin wurde in
den siebziger Jahren zum musikalischen Schmelztiegel wie sonst nirgends in
Afrika“, erklärt Ben Redjeb den eigenwilligen Stilmix aus Latin und Soul
sowie die Vermischung traditioneller, von der dortigen Voodoo-Religion
geprägter Stile wie Sakpata und Sato mit Funk und Afro-Beat. „Was mich
besonders fasziniert, ist, dass in Afrika die Einflüsse aus westlichen
Stilen wie Jazz, Soul, Funk und Sixties-Psychedelik mit jahrhundertealten
eigenen Traditionen vermischt wurden“, erklärt der Frankfurter.
Fünf Alben mit Musik aus dem westafrikanischen Land sind inzwischen auf
Analog Africa erschienen. In diesem Jahr hat Samy Ben Redjeb die
Compilation „Orchestre Super Borgou de Parakou – The Bariba Sound
(1970–1976)“ veröffentlicht, mit Musik aus dem ländlich und islamisch
geprägten Norden Benins rund um Parakou. Allein schon der Titel klingt
mysteriös, ungewöhnlich aus westlicher Perspektive. Wohl auch ein Grund,
warum die vergessenen Klänge des Kontinents in der nördlichen Hemisphäre
auch von britischen Labels wie Strut oder Soundway wieder zugänglich
gemacht werden.
„Alle dachten doch, dass es seit James Brown keine bessere Soulmusik gibt,
und dann kommt so eine unbekannte afrikanische Band ohne formale
musikalische Ausbildung und haut selbst diejenigen, die glaubten, schon
alles zu kennen, von den Socken“, lautet Ben Redjebs Erklärungsansatz für
diese Erfolgsgeschichte. „Trotzdem sind wir immer noch Underground“, sagt
er fast trotzig.
## „African Scream Contest“
Sein bisher erfolgreichstes Album ist „African Scream Contest“ aus dem Jahr
2008, ein Sampler mit hypnotisch treibenden Songs aus Benin und Togo, der
Samy Ben Redjebs Label zum internationalen Durchbruch verhalf. Darauf
vertreten und mit zwei weiteren Samplern gewürdigt ist eine der
innovativsten Bands Afrikas überhaupt: das Orchestre Poly-Rythmo de
Cotonou. Deren Song „Gbeti Madjro“ aus dem Jahr 1970 traf mit seiner
frenetischen Energie und der politischen Botschaft den Nerv der Zeit.
Seit der Unabhängigkeit Benins im Jahr 1960 gab es immer wieder politische
Umwälzungen, Menschenrechtsverletzungen und massive Arbeitslosigkeit.
„Viele Menschen dachten, unser Land sei mit einem Fluch belegt“, heißt es
im Booklet zur Compilation. Da eine Textzeile in der Yoruba-Sprache so viel
wie „Der Krieg ist vorbei“ bedeutet, wurde der Song auch in Benins
Nachbarland Nigeria zum Ende des Biafra-Krieges populär.
„In Lagos wurde sogar ein Laden eröffnet, in dem man nur diese Single
kaufen konnte“, erzählt Samy Ben Redjeb, durch dessen Arbeit das Orchestre
Poly-Rythmo wieder zusammenfand. Eine Tour, die auch möglich wurde, da
Analog Africa den Musikern und Produzenten Tantiemen für die
Wiederveröffentlichung zahlt. „Eine Geschäftspraxis, die in Afrika nicht
unbedingt üblich ist“, weiß Ben Redjeb.
Beim Gespräch in seiner Küche laufen über den Computer die scheppernden
Beats und verhallten, dunklen Tuba-Töne peruanischer Musik aus den
siebziger Jahren. „Psychedelische Cumbia“, erklärt Ben Redjeb, den auch die
Vermischungen zwischen den Klängen ehemaliger Sklavenstätten mit
afrikanischer Musik interessieren. Mit „Mambo Loco“ aus Kolumbien und dem
„Angola Soundtrack“ sind bereits zwei Alben aus dieser Richtung erschienen.
## Der Eisberg unter Bob Marley
Auch die persönliche Geschichte Samy Ben Redjebs ist die eines
Weltenbummlers. Mit 17 kam der in Tunesien Geborene zu seiner Mutter nach
Frankfurt, wurde später Tauchlehrer bei der Marine. 1990 verschlug es ihn
in den Senegal, wo er als Hotel-DJ arbeitete und sich dafür intensiver mit
afrikanischer Musik beschäftigte.
Auf den Märkten von Dakar erwarb er Platten und Kassetten, später entdeckte
er den vokalen Township Jive der südafrikanischen Mahotella Queens oder die
raue rhythmische Musik der Boyoyo Boys. Auch Klassiker wie Youssou N’Dour
prägen ihn. „Der Zufall bringt dich erst mal zum Mainstream, nicht gleich
zu Poly-Rythmo. Beim Reggae ist es ja auch erst Bob Marley und dann
entdeckt man erst den Eisberg darunter“, sagt Ben Redjeb über seine
musikalische Sozialisation.
In Simbabwe legte er 2004 den Grundstein für sein Label mit der Band The
Green Arrows. Wie bei all seinen Projekten reiste Ben Redjeb in das Land,
trifft den Bandleader Zexie Manatsa persönlich und schreibt dessen
Geschichte auf. Anekdoten seiner Reisen fließen in die Booklets seiner
Alben. Dazu gehören herbe Dramen wie die von den angolanischen Musikern,
die wegen des Befreiungskriegs mit der Musik aufhören mussten.
Aber auch ein Happy End, wie das von Zexie Manatsa und seiner Heirat vor
60.000 Zuschauern in einem Stadion. Samy Ben Redjebs Geschichte mit den
Skorpionen und der gebrochenen Mittelachse ging übrigens glimpflich aus.
25 May 2012
## AUTOREN
York Schäfer
## TAGS
Benin
Bangkok
Jazz
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