| # taz.de -- Funky Blasorchester: Die Welt ist groovy | |
| > Kosmopolitisch statt krachledern: die freigeistige Münchner Express Brass | |
| > Band und ihr zwischen allen Stilen angesiedeltes Album „We Have Come“. | |
| Bild: Gegen die Wand: Die Express Brass Band. | |
| Ein Album kann man das beim Münchner Label Trikont erschienene Ding | |
| eigentlich nicht nennen: Schon das Cover gibt eine Ahnung davon, wie | |
| schwierig es gewesen sein muss, das ausufernde Wesen der Express Brass Band | |
| unter einen Hut zu bringen: Vor einer rosafarbenen Wand, die fast zu | |
| erröten scheint, stehen, lümmeln, kauern, tröten, flöten, trommeln, blasen | |
| und klappern 15 Erwachsene und drei Kinder. | |
| Der in ein Helikon Eingewickelte mit brauner Lederjacke und einem Susaphon | |
| mit Kissen in der Hand muss Wolfgang Schlick sein. Aber diesen früher unter | |
| anderem bei der Funkband Poets of Rhythm und der | |
| Krautrock/Hippie-Institution Embryo Spielenden als den „Bandleader“ zu | |
| bezeichnen, wäre ebenso irreführend, wie das Werk „We Have Come“ als | |
| klassisches Album zu bezeichnen. | |
| Ein nur scheinbar planloser Jazz-Wahnsinn ist das, was sich in den 20 Songs | |
| entlädt. Hinter dem Schaffen der seit 15 Jahren in München und auf vielen | |
| anderen Teilen der Erde aktiven losen Formation steht: der hippieske Geist | |
| und die Geschmackssicherheit von Schlick, der Musiker in wechselnder | |
| Mannschaftsstärke und Besetzung für seine Vorhaben einfängt und doch so | |
| etwas wie ein wenn auch antiautoritärer Anführer ist. | |
| Die Express Brass Band pflanzt einem zunächst mit dem Auftakt „Stomping | |
| Ground“ das Bild von einer losrollenden New Orleans Marching Band in den | |
| Kopf. Einmal in Bewegung, hält der Zug nur kurz inne, um klassisch | |
| jazzcombo-mäßig aufzuspielen, wie beim funky Standard „I’m a Sentimental | |
| Mood“. Zwischendurch wird mit dem unsachgemäßen Gebrauch von Mundstücken | |
| experimentiert und durcheinandergequatscht wie bei „Streets of Istanbul“. | |
| ## Immer neue Rhythmuster und Klangfarben | |
| Boxenstopps auf diversen Kontinenten von Indien bis Afrika fügen dem | |
| vollfetten Blechsound immer neue Rhythmusmuster und Klangfarben hinzu. | |
| Jedoch es klingt nie wahllos selbstbequem, sondern immer genau beobachtet. | |
| Ja geradezu logisch: Sich überlagernde Free-Jazz-Phrasen verschrauben sich | |
| zu einer Reminiszenz auf das stilbildende Sun Ra Arkestra. | |
| Schnell schaut man noch in Südeuropa vorbei, nimmt Leichtfüßiges mit, „La | |
| Philosphie de Fabrizia“, um dann erdenschwer im „Swapo Blues“ bei dem von | |
| der Apartheid befreiten Namibia zu landen. Weder geografisch noch | |
| stilistisch ist diese multikulturelle Münchner Gang, die gern auf Straßen, | |
| bei Hochzeiten und in Jazzkellern von Oberammergau bis Moskau spielt, zu | |
| fassen. | |
| Kaum hat man aus der Klangfülle ein Jimi-Hendrix-Cover herausgehört („Moon | |
| Dog“), meint einen Jazz-Standard oder ein türkisches Traditional zu | |
| erkennen, kommt im nächsten Moment ein Scherz mit der Blastechnik von Louis | |
| Armstrong um die Ecke oder eine Passage, in der Afro-Beats, maghrebinische | |
| Melodien und afghanische Folk-Einflüsse in Hochgeschwindigkeit verdichtet | |
| sind. | |
| ## Ohne Bierzelt-Reminiszenzen | |
| Die Express Brass Band verlässt sich nicht auf den Rums ihres Blechs, sie | |
| verzichtet auch darauf, sich neobayerisch zu inszenieren, wie die | |
| ehemaligen Label-Kollegen von LaBrassBanda. Diese Münchner ignorieren weise | |
| sämtliche Bierzelt-Reminiszenzen und knüpfen lieber an kosmopolitische | |
| bayerische Traditionen an: das Schwabing der Sechziger, Jazzkneipen, | |
| verdrogte Krautrock-Kommunen auf dem Land. | |
| Elegant setzt Schlick seine Punkte, etwa durch ein Piano-Stück („Cat Walk“) | |
| des lang in München wirkenden Mal Waldron, eingespielt am Telefon von Marja | |
| Burchard, der Tochter von Embryo-Kopf Christian Burchard – mit Sicherheit | |
| keine zufällige Wahl, sondern ein Statement. Der Groove stellt sich | |
| natürlich ein, mal voranstampfend, mal improvisierend dahinmäandernd – | |
| immer aber bleibt alles in Bewegung. | |
| ## Pralle Werkschau | |
| „We Have Come“ ist eine pralle Werkschau aus 15 Jahren, ein Mosaik aus | |
| frühen Übungsraumaufnahmen, Konzertmitschnitten und neueren | |
| Studioaufnahmen. Es dokumentiert die verschiedenen Schaffensphasen und ist | |
| auch: ein notdürftig auf Platte gepresster Fluss, der bestenfalls eine | |
| Ahnung von den überschwappenden Live-Qualitäten dieses Kollektivs gibt. | |
| Dass dies in all den Jahren erst die zweite Veröffentlichung der Express | |
| Brass Band ist, verwundert daher nicht. Dieses radikale Blasorchester, das | |
| wird beim Hören deutlich, gehört raus, unter die Leute. Dorthin, wo die | |
| Bewegung ist. | |
| 19 Aug 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Nina Apin | |
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