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# taz.de -- Comicfiguren-Band Gorillaz: Sechster Kontinent aus Dreck
> Das neue Album der Comicfiguren-Band Gorillaz ist bemerkenswert: Es ist
> die erste ernsthafte Auseinandersetzung mit einer Öko-Katastrophe - ohne
> zu langweilen.
Bild: Die Geschichte der Gorillaz? Die "Band" hat sich nach der Finanzkrise auf…
Wer sich ein wenig für diesen Planeten interessiert, der kennt die
unheimliche Entdeckung von Käptn Moore. Auf der Heimreise von einer
transpazifischen Regatta kreuzte der Skipper 1997 abseits üblicher Routen
von Honolulu nach Los Angeles in den berüchtigt windstillen Rossbreiten,
als ihm mit Grauen dämmerte, dass er nun schon seit Tagen durch ein Meer
aus Abfall schipperte. Plastik, Plastik überall, von Horizont zu Horizont.
Myriaden von Müll in einem endlosen Mahlstrom aus Schraubverschlüssen von
Wasserflaschen, Wasserflaschen, Bechern, Zahnbürsten, Tüten, Turnschuhen,
Eimern, Einmalrasierern, Einwegfeuerzeugen, gelben Entchen und CD-Hüllen.
An der Oberfläche und in bis zu 200 Metern Tiefe nichts als eine chemische
Suppe aus hartnäckigen Polymerverbindungen, die sich mählich in ihre
krebserregenden Einzelteile auflöst. Es ist wie ein sechster Kontinent aus
Plastik, echter Dreck von Menschenhand: Es ist überall. Und es geht nicht
weg.
Wer sich ein wenig für Musik interessiert, der kommt dieser Tage nicht an
den Gorillaz vorbei. Es ist eine virtuelle Band aus seltsamen Comicfiguren,
hinter der sich der ehemalige Blur-Frontmann Damon Albarn und der Zeichner
Jamie Hewlett verbergen, wobei "verbergen" wörtlich gemeint ist. Es gibt
keine Interviews, keine Konzerte und keine Fotos, die dem alten
popkulturellen Experiment einer fast blickdichten Oberfläche zuwiderlaufen
könnten. Es geht im Pop darum, was auf dieser virtuellen Oberfläche
stattfindet. Bei einer Lady Gaga ist es das Phantasma kugelsicherer
Hypersexualität oder so, bei den Gorillaz die Geschichte einer "Band" aus
Psychophathen und Androiden, die sich nach der Finanzkrise auf eine fiktive
Insel aus Zivilisationsmüll zurückgezogen hat, die so fiktiv nicht ist:
"Plastic Beach" ist ein Konzeptalbum über den sechsten Kontinent, den Käptn
Moore entdeckt und den der Ozeanograf Charles Ebbesmeyer, den "Great
Pacific Garbage Vortex" genannt hat: den Großen Pazifischen Müllstrudel.
Kritiker bezeichneten dieses Konzept mal wohlwollend als "harsche
Konsumkritik" (Spiegel), mal tadelnd als "zarte Zivilisationskritik"
(Zeit). Tatsächlich handelt kein einziger Song auf diesem Popalbum nicht
vom Umgang mit der bestürzenden Erkenntnis, auf eine unsichtbare und
zugleich sehr bunte Katastrophe zuzusteuern: "I know it seems like the
world is so hopeless, its like wonderland." Kein schöner Anblick, wie Moore
berichtete: "Immer wenn ich an Deck kam, um den Horizont abzusuchen, sah
ich Müll auf den Wellen tanzen. Ich war hier mitten auf dem Ozean, und doch
konnte ich dem Plastik nicht entgehen." Eine synthetische Suppe aus unserem
Plastik, zerbröckelt und zermahlen, "gone out with the tide/ lost at sea
somewhere, waiting".
Die Seattle Times wusste von einem verendeten Albatros, in dessen Magen ein
Stück Bakelit entdeckt wurde, das vor mehr als 60 Jahren von Bord eines
US-Schlachtschiffs gefallen sein muss. Ein einziges Fischernetz weht, wenn
losgerissen, oft jahrzehntelang durch die Tiefen, sinnlos weitertötend wie
ein fliegender Holländer aus Nylon. Inzwischen sind die Vereinten Nationen,
Greenpeace, verschiedene Universitäten und Moore selbst mit seiner Algalita
Maritime Foundation in ein Problem involviert, das seit dem Zweiten
Weltkrieg stetig gewachsen ist und ungebremst weiterwuchert.
Das Problem ist nicht neu, seine Ankunft auf der Oberfläche ist es.
Ökologische Botschaften sickern sonst immer nur zusammen mit pazifistischen
Inhalten in die Popmusik. Nicht zufällig hatten die Sechzigerjahre ihr "In
The Year 2525", die Achtzigerjahre ihren "Karl der Käfer", und allen
haftete stets das Stigma der streberhaften Peinlichkeit an. Über so was
singt man nicht, man tut es - oder lässt es. Neil Young beispielsweise kam
inhaltlich nie über esoterischen Indiokitsch hinaus, betankt aber unter
anderem seine Tournee-Lkws mit Biodiesel. Auch Radiohead schwören auf ihre
extrem effiziente LED-Lightshow, anstatt über den Liebreiz von
Energiesparlampen oder die Erotik eines schmalen "ökologischen Fußabdrucks"
zu singen. Dabei gehören diese Leute schon zur Avantgarde.
Der Mainstream, das ist derzeit ein naives Märchen wie "Avatar", in dem
handfeste Spiritualität obsiegen darf über zerstörerische Ausbeutung. Auch
"Avatar" ist Pop, wie überhaupt Plastik als chemische und Pop als
kulturelle Signatur der Oberfläche parallel Karriere gemacht haben.
Die Suche nach dem Wunderstoff, nach "some kind of metal made up from
glue", begann schon im 16. Jahrhundert. So richtig in Fahrt kam dieser
Industriezweig aber erst mit der Einführung des industriell produzierten
Kunststoffs Bakelit durch Leo Hendrik Baekeland 1905. Inzwischen werden
weltweit rund 200 Millionen Tonnen Plastik jährlich produziert, Deutschland
soll einen jährlichen Bedarf von fast 12 Millionen Tonnen haben. Nach
Angaben des europäischen Verbands der Kunststofferzeuger (Plastic Europe)
erwirtschaftet die Industrie jährlich einen krisenfesten Gewinn von 13
Milliarden Euro und beschäftigt zwei Millionen Arbeitnehmer. "A plastic cup
of drink / drink with a couple of people / The plastic creating people."
Dabei schien die beispiellose, fast schon musikalische Omnipräsenz des
Kunststoffs lange nur ein rein ästhetisches Problem nostalgischer
Schöngeister zu sein, altmodische Verächter von Nylon, Zellophan und
Styropor. Noch 1983 notierte Norman Mailer im Harvard Magazin: "Ich glaube
manchmal, es gibt im Universum eine böse Kraft, sie ist das soziale
Äquivalent von Krebs, und das ist: das Plastik. Es durchdringt alles. Es
bildet Metastasen. Es dringt in alle Poren des Lebens ein." Ein Äquivalent
von Krebs? Es ist nicht nur so, dass Seevögel verenden, weil sie sich die
Bäuche mit Einwegfeuerzeugen vollschlagen, die sie für Fische halten, und
mit Plastiktüten, die wie Quallen durchs Wasser trieben: Auf ein Pfund
Plankton kommen in den Weltmeeren sechs Pfund Plastikmüll, oft zermahlen zu
sandkornkleinen Partikeln. Fische und andere Tiere halten dieses nutzlose
Plastik für Plankton, und manche Plankton-Organismen nehmen Kunststoff
sogar in sich auf. "They connect with the fall of man, they breath you in
and dive as deep as they can."
Problematisch sind nicht die Polymere selbst, sondern diverse Additive
sowie ihre Eigenschaft, nicht wasserlösliche Schadstoffe schwammgleich in
sich aufzunehmen, von DDT über PCB bis zu öligen Nonylphenolen. "And throw
in a plastic donut, it tastes just like chicken", denn Plastik geht, wie
gute Musik, ins Blut. Seine Rückstände sind dort messbar, vor allem
Weichmacher, Flammschutzmittel - und Bisphenol A (BPA), ein Ausgangsstoff
für die Herstellung polymerer Kunststoffe, der nebenbei Östrogen simuliert.
"Its got a way of passing through man and woman." BPA schädigt Leber und
Hirn, macht unfruchtbar und wird verdächtigt, Diabetes zu verursachen,
Fettleibigkeit und, klar, Krebs.
Ein aktueller und sehr instruktiver Film zum Thema, Werner Bootes in
Michael-Moore-Manier gedrehte Dokumentation "Plastic Planet", wirbt denn
auch mit dem Slogan: "Wenn Sie diesen Film gesehen haben, werden sie nie
wieder aus einer Plastikflasche trinken." Es ist offenbar nicht nur das
Thema der Stunde, sondern auch das dieses Jahrhunderts.
Es gibt ihm eine eigentümlich sarkastisch-hysterische Note, dass das erste
Konzeptalbum zu diesem Thema musikalisch alles andere als larmoyant und
richtig schön poppig ist. Es fühlt sich an wie eine schillernde Welt, in
der wir uns schon lämmergleich in eine dystopische Zukunft gefügt haben,
tanzend. Wahrscheinlich ist das auch so. "Welcome To The World Of Plastic
Beach".
9 Mar 2010
## AUTOREN
Arno Frank
Arno Frank
## TAGS
Damon Albarn
Musik
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