# taz.de -- Kolumne Afrobeat: Die Kinder der Austerität | |
> In Afrika waren die üblichen Strukturanpassungen von IWF und Weltbank ein | |
> Desaster. Das wiederholt sich nun in Europa. | |
Bild: In Teilen Afrikas sehr beliebt: Simbabwe-Dollar. | |
Seit fünf Jahren wird drastisch gespart, die Wirtschaftslage ist desaströs. | |
Die Armut nimmt zu, fast die Hälfte der Bevölkerung ist arbeitslos. Das | |
erhoffte Wachstum stellt sich nicht ein, die Schulden steigen ins | |
Unermessliche. Die Menschen sind frustriert. | |
Griechenland 2015? Nein, Simbabwe 1996, nach fünf Jahren | |
„Strukturanpassung“. | |
„Economic Structural Adjustment Programme“ hieß damals in Simbabwe, was | |
Weltbank und Internationaler Währungsfonds verlangten, als 1991 das noch | |
junge unabhängige Land im Süden Afrikas Hilfe brauchte. Robert Mugabe, | |
damals noch der strahlende Befreiungsheld des Kampfes gegen die weiße | |
Apartheid im Rhodesien der 1970er Jahre, musste seine sozialistischen | |
Träume begraben: Abwertung der Landeswährung, Ende der Importbeschränkungen | |
und Preiskontrollen, Kürzung von Staatsausgaben. | |
Solche Strukturanpassungsprogramme wurden Entwicklungsländern damals | |
standardmäßig verpasst; zwischen 1981 und 1997 kamen 37 Länder in Afrika | |
und 75 weltweit in deren zweifelhaften Genuss. Die Strukturanpassung | |
bewirkte das Gegenteil der erhofften Effekte. Sie sorgte dafür, dass in den | |
1980er Jahren Afrika endgültig den Anschluss an Asien verlor und in den | |
1990er Jahren im Chaos versank. | |
## Ins Elend gestürzt | |
In den 80er Jahren sank das Pro-Kopf-Einkommen in Afrika südlich der Sahara | |
um 25 Prozent – so wie in Griechenland seit 2009. Auch andere griechische | |
Statistiken der letzten fünf Jahre dürften Afrikanern vertraut sein: Reale | |
Gehälter minus 35 Prozent, Sozialausgaben minus 10 Prozent, | |
Arbeitslosenquote hoch auf 30 Prozent. In afrikanischen Ländern stürzt das | |
die meisten Menschen noch viel tiefer ins Elend, als es in Griechenland der | |
Fall ist. | |
Simbabwe erlebte finstere Zeiten. Das Grundnahrungsmittel Mais wurde zu | |
Beginn der Strukturanpassung 1991 um ein Drittel teurer, 1992 noch einmal | |
um 20 Prozent, 1993 um weitere 50 Prozent und 1995 wieder um 30 Prozent. | |
Zugleich entließ die Regierung Zehntausende Angestellte, führte Schulgelder | |
und Praxisgebühren ein und kürzte den Medikamenteneinkauf um zwei Drittel. | |
Schwere Dürren verschärften die Rezession. Die Realeinkommen sanken bis | |
Mitte der 90er Jahre um 26 Prozent, auf das Niveau von 25 Jahren zuvor. | |
Nicht einmal jeder zehnte Schulabgänger fand Arbeit. Mutter- und | |
Kindersterblichkeit stiegen an, Hunger breitete sich aus, ebenso das damals | |
noch neue Aidsvirus. Der Volksmund nannte das Strukturanpassungskürzel | |
Esap: „Extended Suffering for African People“. | |
Die Parallelen zwischen dem jetzigen griechischen Ministerpräsidenten | |
Tsipras und seinem simbabwischen Amtskollegen Mugabe vor zwanzig Jahren | |
sind deutlich. Beide sind Linkspopulisten, die schließlich vor den Gebern | |
einknickten. Beide wurden in ähnlichem Ton ständig von den Kreditgebern | |
ermahnt. Und ähnlich wie Tsipras sich heute nicht an die Privilegierten in | |
Griechenland herantraut, also die orthodoxe Kirche und die Oligarchie aus | |
einigen wenigen mächtigen Familien, wagte Mugabe es in den 1990er Jahren | |
noch nicht, die weißen Farmer anzutasten, damals noch die Herren der | |
simbabwischen Wirtschaft. Das tat er erst später und rettete damit seine | |
Macht. | |
## Geber ohne Gedächtnis | |
Das Desaster der Strukturanpassung in Afrika führte zum Umdenken. | |
Schuldenerlass wurde salonfähig. Die HIPC-Initiative (Highly Indebted Poor | |
Countries) erließ ab 1996 den ärmsten Ländern der Welt bis zu 80 Prozent | |
ihrer Auslandsschulden, wenn sie das eingesparte Geld plus zusätzlicher | |
Hilfen in die Bekämpfung der Armut steckten. Seit etwa zehn Jahren ist das | |
in fast allen armen Ländern die Regel. | |
Heute verlangen Geber in Afrika den Aufbau von Sozialsystemen und | |
Infrastruktur, die Förderung von Kleinbauern und die Ertüchtigung eines | |
strategisch denkenden Staates – lauter Dinge, von denen sie eine Generation | |
zuvor ebenso überzeugt die Abschaffung gefordert hatten. Dass Afrika dieser | |
neuen Orthodoxie mit Zynismus begegnet, verstehen sie nicht. Internationale | |
Organisationen haben kein institutionelles Gedächtnis. An ihre Fehler | |
erinnern sich nur ihre Opfer. | |
## Von Mugabe zu Tsipras | |
Was sind Afrikas Lehren für Griechenland? Es ist interessant, wie sich | |
Simbabwe entwickelte, als es 1998 zum Bruch mit dem IWF kam. Mugabe | |
brauchte ständig neue Geldquellen. Er schickte seine Generäle und Soldaten | |
in die Demokratische Republik Kongo, um durch lukrative Bergbauverträge | |
Geld zu verdienen. Er schickte Milizen zum Sturm auf die weißen Farmer. Die | |
Opposition, die gegen die Strukturanpassung formiert hatte, wurde mit | |
Terror zum Schweigen gebracht. Hyperinflation machte Simbabwe zur am | |
stärksten abstürzenden Wirtschaft der Welt – aber dafür machte Mugabe den | |
Rest der Welt verantwortlich. Inzwischen ist der Verfall gestoppt, und | |
Mugabe regiert als steinalter Chef eines Familienclans. | |
Es bedarf nicht allzu vieler Fantasie, sich einen Mugabe-Kurs für | |
Griechenland vorzustellen, sollte das dritte Hilfspaket scheitern: | |
Annäherung an Putins Russland im Namen der Selbstbehauptung der orthodoxen | |
Völker, gekoppelt mit einem Feldzug gegen Teile der einheimischen | |
Oligarchie. So etwas würde vermutlich mehr Sympathie in Europa finden, als | |
heute denkbar ist. Mugabe wird heute vielerorts in Afrika, gerade von der | |
jungen Generation, als mutiger Held gewürdigt, der den Weißen die Stirn | |
geboten hat und unter großen Opfern Afrikas Würde verteidigt hat. | |
Mugabes Verehrer sind die Kinder der Strukturanpassung, aufgewachsen in | |
einer Zeit, als die angeblich alternativlosen Rezepte der internationalen | |
Finanzwelt ihre Gesellschaften ins Elend stürzten. Sie nehmen keine | |
Lektionen vom Rest der Welt mehr an. Wie werden dereinst in Griechenland | |
die Kinder der Austerität auf die Welt blicken? Mit Ehrfurcht oder mit | |
Geringschätzung? Mit Engagement für das europäische Projekt oder mit Stolz | |
auf einen eigenen Weg? Die Antwort darauf lässt sich jenseits des | |
Mittelmeers erahnen. Afrika ist nicht nur Europas Nachbarkontinent. Es ist | |
in mancher Hinsicht auch Europas Zukunft. | |
23 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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