# taz.de -- Kommentar Referendum in Griechenland: Nein! | |
> Die Euroeliten setzen auf den „regime change“ in Athen. Und die Griechen | |
> sehen sich mit einer unmöglichen Fragestellung konfrontiert. | |
Bild: Hier ist ein „Nein!“ garantiert: Kundgebung griechischer KommunistInn… | |
Die Frage war halb als Witz gemeint, die ich vor zwei Wochen in Athen | |
Dimitris Tsanakopoulos stellte: „Und? Macht Regieren Spaß?“ | |
Aber so richtig lachen konnte der Kabinettschef von Alexis Tsipras nicht: | |
„Nein“, so seine Antwort, „der Druck ist enorm, und wir stehen vor | |
Dilemmata, von denen wir nicht einmal ahnten, dass wir ihnen jemals in | |
unserem Leben begegnen würden.“ | |
Die Dilemmata, vor denen die Syriza-Regierung eine Woche später stand: zu | |
Kreuze kriechen und „Ich ergebe mich“ sagen oder den Staatsbankrott | |
riskieren. | |
Die Wahl zwischen noch mehr Austerität und der Gefahr des | |
Totalzusammenbruchs. Selbstaufgabe – entweder so oder so. | |
## „Friss oder stirb“ | |
So weit haben wir es in Europa gebracht: Eurofinanzminister, die im Jargon | |
der Erpressung sprechen, die „Friss oder stirb“ sagen und „Game over“, … | |
wäre das alles ein Spiel. EU-Staatenlenker, die wochenlang den umgekehrten | |
Corleone machten, also stets Angebote, die man nicht annehmen kann. | |
Aber bei uns heißt es unisono, die Griechen seien schuld. In Kommentaren – | |
wohlgemerkt nicht bloß der Bild-Zeitung, sondern des öffentlich-rechtlichen | |
Rundfunks – werden Regierungschef Alexis Tsipras und seine Leute als | |
Schurken bezeichnet. Der ARD-Brüsselkorrespondent sagt glatt, die | |
Syriza-Jungs gehörten „zum Teufel gejagt“. Verglichen mit diesen Figuren, | |
hatte Karl-Eduard von Schnitzler, Honeckers TV-Scharfmacher, so etwas wie | |
eine Berufsehre. | |
Derart mit dem Rücken an die Wand gedrängt, rief Tsipras ein Referendum aus | |
und empfahl den Bürgern, mit Nein zu stimmen. Ein Hochseilakt ohne Netz, | |
mit dem er zwar kurzfristig das Gesetz des Handelns zurückeroberte, der | |
aber natürlich noch nichts löste – und die Griechinnen und Griechen einer | |
unmöglichen Fragestellung aussetzt. | |
Aber das ist nicht Tsipras’ Schuld. Denn was genau wäre denn die | |
Alternative gewesen? Siehe oben: die totale Selbstaufgabe. | |
Mittlerweile versuchen die Scharfmacher der Eurozone nicht einmal mehr zu | |
verhehlen, dass ihre eigentliche Absicht ein regime change in Athen ist. | |
Erst redete man fahrlässig und vorsätzlich einen Bank-Run in Griechenland | |
herbei, nur um dann via EZB die griechischen Banken schließen zu können: | |
eine Strategie des Angstmachens. Wenn die Londoner Times nicht schroff | |
gelogen hat – was sie üblicherweise nicht tut –, dann hat ihr Wolfgang | |
Schäuble offen gesagt, dass man zu keinem vernünftigen Deal bereit ist, | |
solange diese griechische Regierung amtiert. | |
## Technokraten stehen bereit | |
Martin Schulz, der EU-Parlamentspräsident, erzählte dem Handelsblatt, worum | |
es den vereinigten deutschen CDU-CSU-SPD-Eliten geht: ein Ja-Votum der | |
Griechen herbeizuerpressen, worauf die Syriza-Regierung zurückträte, um | |
dann ein ungewähltes Technokratenkabinett à la Mario Monti zu installieren. | |
„Dann wäre Syrizas Zeit vorbei.“ Mit der griechischen Opposition führt man | |
bereits Gespräche zur Installierung einer solchen Marionettenregierung. | |
Man könnte von Staatsstreich sprechen, würde das nicht alles auf offener | |
Bühne geschehen. Neben der Tragödie, an deren Schwelle Griechenland steht, | |
ist die zweite Tragödie die der deutschen Öffentlichkeit. | |
Man hat den Eindruck, dass dieses Land nur mehr aus Scharfmachern besteht | |
und in einer regelrechten Kriegspsychose gefangen ist. Sozialdemokraten wie | |
Gabriel und Schulz versuchen die Union noch rechts zu überholen, während | |
die angeblich mächtigste Frau Europas – Kanzlerin Angela Merkel – so tut, | |
als habe man alle Zeit der Welt. | |
Man weiß eigentlich nicht, was schlimmer ist: die Richtung, in die diese | |
Leute die Europäische Union führen, oder die totale Führungslosigkeit, in | |
der der Kontinent ins Debakel torkelt. Ob die Griechen es morgen wagen | |
werden, zu all dem óchi zu sagen? Schwer vorauszusehen. Aber eines ist | |
klar: Angesichts dieses Panoramas der Verantwortungslosigkeit sollte man | |
generell viel öfter Nein! sagen. | |
4 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Robert Misik | |
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