# taz.de -- Entscheidung zum Klimaschutzgesetz: Karlsruhe for Future | |
> Das Bundesverfassungsgericht erklärt das deutsche Klimagesetz für | |
> verfassungswidrig – und fordert „Entwicklungsdruck“ für klimaneutrale | |
> Lösungen. | |
Bild: Es geht um ihre Zukunft und ihre Freiheit: Fridays-for-Future-Demo in Ber… | |
KARLSRUHE/BERLIN taz | Ausgerechnet Bundeswirtschaftsminister [1][Peter | |
Altmaier] (CDU) zeigte sich nach der Klatsche für die Bundesregierung | |
begeistert: Ein „großes & bedeutendes Urteil“ habe das | |
Bundesverfassungsgericht da beschlossen, [2][twitterte er am | |
Donnerstagvormittag] gleich nach der Veröffentlichung der Entscheidung. „Es | |
ist epochal für Klimaschutz & die Rechte der jungen Menschen. Und sorgt für | |
Planungssicherheit für die Wirtschaft.“ | |
Dabei hatte das Gericht eine Nachbesserung des Klimaschutzgesetzes | |
gefordert. Die Reduzierung der Treibhausgase ab 2030 soll jetzt schon | |
festgelegt werden, damit sich die Gesellschaft besser und schneller auf die | |
erforderliche Klimaneutralität vorbereiten kann. Nur so könnten | |
unverhältnismäßige Eingriffe in die Freiheit künftiger Generationen | |
vermieden werden. | |
Das [3][Klimaschutzgesetz] war 2019 nur unter großen Mühen in der Großen | |
Koalition durchgesetzt worden. Es legt nicht nur fest, dass die deutschen | |
Emissionen bis 2050 bei null sein müssen und nennt minus 55 Prozent als | |
Verpflichtung bis 2030. Auf dem Weg dahin definiert es für jedes Jahr ein | |
Reduktionsziel. | |
Gerade von CDU und CSU war dagegen immer wieder der Vorwurf erhoben worden, | |
diese Jahresziele seien „Planwirtschaft“ und nicht akzeptabel. Nun befindet | |
das Bundesverfassungsgericht, zumindest die Regeln für die Fortschreibung | |
des Reduktionspfades nach 2031 „reichen nicht aus“. | |
Konkret musste das Karlsruher Gericht über vier Verfassungsbeschwerden | |
entscheiden, hinter denen große Teile der Umweltbewegung standen: | |
Greenpeace, der BUND, die Deutsche Umwelthilfe und Protect the Planet. Als | |
Kläger:innen ließ das Gericht aber nur reale Personen zu, zum Beispiel | |
Luisa Neubauer, die bekannteste Aktivistin von Fridays for Future, und | |
Jugendliche von der Nordseeinsel Pellworm. Auch 15 Personen aus Bangladesch | |
und Nepal wurden als beschwerdebefugt anerkannt. | |
## Grundgesetz verpflichtet | |
Das Gericht stellte fest, dass sich aus dem Grundgesetz – vor allem aus dem | |
Staatsziel Umweltschutz in Artikel 20a – auch eine Pflicht zum Klimaschutz | |
ergibt. Der Staat dürfe der Erderwärmung nicht einfach zusehen und auf | |
Anpassungsmaßnahmen wie Deichbauten vertrauen. Ziel müsse vielmehr die | |
Klimaneutralität Deutschlands sein. | |
Die Ziele des Abkommens von Paris – die Begrenzung des globalen | |
Temperaturanstiegs deutlich unter 2 Grad, möglichst auf 1,5 Grad – werden | |
faktisch in den Verfassungsrang gehoben. Je weiter der Klimawandel | |
voranschreitet, umso mehr Gewicht habe dieses Klimaschutzgebot gegenüber | |
anderen Interessen. | |
Die Richter:innen sehen allerdings die Gefahr, dass, wenn jetzt zu wenig | |
getan wird, die junge Generation ab 2030 ganz unverhältnismäßig belastet | |
wird. Es dürfe nicht „einer Generation zugestanden werden, unter | |
vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu | |
verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine | |
radikale Reduktionslast überlassen“ würde. So entstehe ein großes Risiko | |
für die Freiheitsrechte, weil fast jede Freiheitsausübung – etwa Reisen | |
oder Einkaufen – derzeit noch mit der Produktion von Treibhausgasen | |
verbunden ist. | |
Mit dieser Argumentation haben die Richter:innen zwei wichtige Weichen | |
gestellt. Zum einen ist nun klar, wer warum gegen die deutsche Klimapolitik | |
klagen kann: alle, die durch spätere Einschränkungen in ihren | |
Freiheitsrechten beschränkt sein werden. Es geht also nicht um die | |
Einschränkungen durch den Klimawandel selbst, sondern durch die später | |
unvermeidlichen strengen staatlichen Klimaschutzmaßnahmen. | |
Die zweite Weichenstellung betrifft die „CO2-Budgets“. Die Richter:innen | |
zitieren das globale CO2-Budget, das vom Weltklimarat IPCC errechnet wurde, | |
und das nationale CO2-Budget, das der Sachverständigenrat für Umweltfragen | |
vorlegte. Das Umweltministerium hat es stets abgelehnt, diese Rechenweise | |
einzuführen, weil sie nicht den Regeln des Pariser Abkommens entspreche. | |
Insofern ist es ein großer Erfolg der Umweltbewegung, dass das Gericht die | |
Budgetkonzeption nun dem Beschluss zugrunde legt. | |
## Einstimmige Entscheidung | |
Karlsruhe geht nun aber nicht so weit, sofort eine radikale Reduktion der | |
Treibhausgasemissionen zu fordern, um die jüngere Generation zu entlasten. | |
In der einstimmig ergangenen Entscheidung des Ersten Senats wird als | |
Mindestanforderung für den Gesetzgeber vielmehr ein anderer Weg skizziert. | |
Der Gesetzgeber soll bereits jetzt die Anforderungen an Verkehr, Industrie, | |
Land- und Energiewirtschaft ab 2030 definieren, damit der Weg zur | |
Klimaneutralität schneller und besser gelingt. | |
Die Richter:innen fordern „Entwicklungsdruck“ für klimaneutrale Lösungen | |
und vor allem „Planungssicherheit“. Der Übergang zur Klimaneutralität soll | |
„rechtzeitig“ eingeleitet werden. Nur so seien die nach 2030 drohenden | |
Reduktionslasten „schonend“ zu bewältigen. Das Klimaschutzgesetz sieht vor, | |
dass die Bundesregierung erst 2025 sagt, wie es nach 2030 weitergeht. Das | |
genügt den Verfassungsrichtern nicht. | |
Sie fordern eine Anpassung des Klimaschutzgesetzes schon bis Ende 2022. | |
Grundsätzlich darf die Festlegung der Details sogar weiterhin der | |
Bundesregierung überlassen bleiben, alle wesentlichen Fragen müsse aber der | |
Bundestag im Gesetz regeln und die Vorgaben für die Zukunft dann auch | |
regelmäßig fortschreiben. | |
Die Kläger:innen zeigten sich nach Veröffentlichung der Entscheidung | |
begeistert. Damit habe des Verfassungsgericht ein „Recht auf Zukunft“ | |
anerkannt, sagte Anwalt Remo Klinger. Luisa Neubauer sprach von einem | |
„Grundrecht auf Klimaschutz“. | |
Klinger räumte ein, dass die konkreten Forderungen des | |
Bundesverfassungsgerichts nicht sehr radikal seien. Aber er geht davon aus, | |
dass die Feststellungen des Gerichts dennoch helfen, politischen Druck zu | |
entfalten. „Wenn das CO2-Budget nach derzeitiger Planung schon 2030 | |
aufgebraucht ist, liegt es nahe, bereits bis dahin die Emissionen deutlich | |
zu senken.“ | |
## Vorsichtige Zustimmung aus der Wirtschaft | |
Anwältin Roda Verheyen geht davon aus, dass der Karlsruher Beschluss der | |
Umweltbewegung nun auf allen Feldern der Klimapolitik Rückenwind geben | |
wird, etwa beim Kohleausstieg oder bei der Förderung erneuerbarer Energien. | |
Rechtsprofessor Felix Ekardt erkannte einen Auftrag an Deutschland, in der | |
EU eine andere Rolle zu spielen: „Deutschland muss vom Bremser zum | |
Antreiber werden.“ | |
Die umweltpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Marie-Luise | |
Dött, war weniger euphorisch als ihr Parteifreund Peter Altmaier. Die | |
Entscheidung der Karlsruher Richter:innen sei „zu akzeptieren“, sagte | |
sie, der nächste Bundestag hätte das Gesetz ohnehin anpassen müssen, um die | |
höheren EU-Klimaziele zu erreichen. Sie teilt auch nicht die Planungsfreude | |
der Richter:innen, es sei „für den heutigen Gesetzgeber beinahe unmöglich, | |
bereits zehn Jahre im Voraus sektorscharfe Emissionsreduktionen und | |
Klimaschutzmaßnahmen zu beschließen“. | |
Eine „Stärkung für den Klimaschutz“ sieht Bundesumweltministerin Svenja | |
Schulze (SPD) in dem Beschluss. Sie hätte bei der Schaffung des | |
Klimaschutzgesetzes gern ein Zwischenziel für die 2030er Jahre im Gesetz | |
gehabt, „aber dafür gab es keine Mehrheit“. Nun werde ihr Ministerium noch | |
im Sommer Eckpunkte für eine Verschärfung des Gesetzes vorlegen. Ohnehin | |
müsse durch das höhere EU-Ziel zum Klimaschutz der Emissionshandel | |
verschärft werden, was zu „deutlich mehr Klimaschutz auch in Deutschland | |
schon in den 2020er Jahren“ führen werde. | |
„Diese Bundesregierung ist zu echtem Klimaschutz nicht in der Lage“, meinte | |
die klimapolitische Sprecherin der bündnisgrünen Bundestagsfraktion, Lisa | |
Badum. Das Gesetz müsse geändert werden, um konkrete Reduktionsziele über | |
den gesamten Zeitraum bis zur Klimaneutralität festzulegen und das | |
Klimaziel 2030 auf minus 70 Prozent anzuheben. | |
Aus der Wirtschaft kam vorsichtige Zustimmung: „Die Politik muss | |
transparent gangbare Klimapfade bis 2050 aufzeigen“, hieß es vom | |
Bundesverband der deutschen Industrie. Das schaffe Planungssicherheit für | |
die Industrie. Vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) | |
hieß es, das Urteil „könnte eine Chance für eine langfristiger | |
ausgerichtete Energiepolitik im Sinne des Pariser Abkommens sein“ – mit | |
mehr Erneuerbaren, Wasserstoff und klimaneutralen Gebäuden und Verkehr. | |
29 Apr 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Peter-Altmaier/!t5031298 | |
[2] https://twitter.com/peteraltmaier/status/1387681285385203712 | |
[3] /Bundesregierung-in-der-Kritik/!5631517 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
Christian Rath | |
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