| # taz.de -- Hamburger Anwältin über Klimaklagen: „Klimaschutz ist einklagba… | |
| > Die Anwältin Roda Verheyen zieht für Klimaschutz vor das | |
| > Bundesverfassungsgericht. Ihrer neusten Klage haben sich fast 50.000 | |
| > Menschen angeschlossen. | |
| Bild: Sie wurde Anwältin, um damit das Klima zu schützen: Roda Verheyen | |
| taz: Frau Verheyen, sind Sie Klimaschutz-Aktivistin? | |
| Roda Verheyen: Nein. Ich bin definitiv Klimaschützerin und das auch | |
| hauptamtlich. Aber ich bin Anwältin, keine Aktivistin. Die Abgrenzung liegt | |
| vor allem im Verhältnis zu den Institutionen: Ich glaube an unsere | |
| rechtsstaatlichen Institutionen und ich nutze sie im Rahmen meiner Arbeit | |
| auch für den Klimaschutz. Während Aktivist*innen rechtliche Grenzen | |
| teilweise überschreiten oder politisch neu definieren wollen, bewege ich | |
| mich qua Berufsordnung innerhalb des rechtlichen Rahmens und nutze das | |
| bestehende Recht, um die Interessen meiner Mandant*innen zu vertreten. | |
| taz: Sie haben die Grenzen dieses rechtlichen Rahmens revolutioniert, als | |
| sie 2021 den Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts erwirkten. Was | |
| ist da passiert? | |
| Verheyen: Der Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts enthält zwei | |
| Aussagen, die von den allermeisten vorher nicht anerkannt wurden: Erstens | |
| wurde bestätigt, dass es ein CO2-Budget gibt, an das sich die Regierung in | |
| Deutschland halten muss. Das ist physikalisch vorgegeben und in diesem | |
| Rahmen gibt es ein objektives und absolutes Klimaschutzgebot des Staates, | |
| welches sich in der Verfassung selbst wiederfindet. Zweitens hat das | |
| Gericht die sogenannten intertemporalen Freiheitsrechte konstruiert, die | |
| besagen: Wir dürfen das CO2-Budget heute nicht einfach aufbrauchen, weil | |
| für jüngere Generationen dann nichts mehr übrig bleibt und sie das | |
| übermäßig in ihrer Freiheit einschränken wird. Diese Rechtsfigur ist enorm | |
| wichtig, weil sie Klimaschutz individuell einklagbar macht. | |
| taz: Wie hat das Ihre Arbeit verändert? | |
| Verheyen: Die Anerkennung, dass Klimaschutz ein Menschenrecht ist und dass | |
| es in der deutschen Verfassung ein Klimaschutzgebot gibt, welches nicht | |
| beliebig dem Willen der Politik unterworfen, sondern rechtlich einklagbar | |
| ist, das war schon ein enorm wichtiger Paradigmenwechsel. Es hat dazu | |
| geführt, dass sich der Gesetzgeber teilweise deutlich mehr angestrengt hat, | |
| Maßnahmen zu ergreifen, um dieses rechtliche Gebot einzuhalten. | |
| Gleichzeitig erleben wir aktuell die Grenzen der Aushandlungsfähigkeit von | |
| Parlamenten in Bezug auf Klimaschutz. | |
| taz: Der Prozess wird oft als Beispiel für strategische Prozessführung | |
| genannt, um ein politisches Anliegen rechtlich durchzusetzen. | |
| Verheyen: Ich kann mit diesem Begriff überhaupt nichts anfangen. Oft geht | |
| er mit der unausgesprochenen Unterstellung einher, man würde das Recht für | |
| politische Zwecke gebrauchen. Das suggeriert, dass meine Mandanten kein | |
| echtes Problem hätten – und das ist Unsinn. Natürlich haben einige Prozesse | |
| eine sehr viel weitergehende Wirkung auf die Politik als andere. Aber das | |
| ist rechtsstaatlich genau so vorgesehen und bei vielen | |
| Verfassungsbeschwerden der Fall. Es hebelt in keiner Weise die politischen | |
| Aushandlungsprozesse aus. Außerdem ist doch klar: Jeder gute Anwalt hat in | |
| einem Prozess eine Strategie. Dazu kann auch gehören, die Öffentlichkeit | |
| und gesellschaftliche Bewegungen einzubinden. | |
| taz: Dieses Jahr ziehen Sie mit der „Zukunftsklage“ wieder vor das | |
| Bundesverfassungsgericht und vertreten dabei Greenpeace und Germanwatch. | |
| Worum geht es?Verheyen: In der Sache geht es um die Novelle des | |
| Klimaschutzgesetzes, die wir für verfassungswidrig halten. Außerdem wollen | |
| wir, dass das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung anweist, | |
| emmissionsreduzierende Maßnahmen im Verkehrssektor zu ergreifen. Rechtlich | |
| geht es aber um eine Fortentwicklung des Klimabeschlusses von 2021. Nachdem | |
| dort erstmals die intertemporalen Freiheitsrechte anerkannt wurden, wollen | |
| wir das Recht auf Klimaschutz jetzt um die soziale Ungleichheit zwischen | |
| den Menschen erweitern, die vom Klimawandel betroffen sind. Das ist mir | |
| sehr wichtig, denn wir müssen aufhören so zu tun, als sei Klimaschutz nur | |
| eine Umweltschutzfrage. Er ist auch eine Gerechtigkeitsfrage. | |
| taz: Grundsätzlich sind ja alle Menschen vom Klimawandel betroffen. Welche | |
| soziale Ungleichheit meinen Sie? | |
| Verheyen: Es geht ja nach dem Klimabeschluss um die Folgen der | |
| Klimaschutzmaßnahmen. Im Verkehrssektor sind da viele stärker betroffen, | |
| zum Beispiel Personen, die auf dem Land wohnen und dazu noch ein geringes | |
| Einkommen haben. Die sind von hohen Spritpreisen viel mehr betroffen als | |
| jemand wie ich, denn ich bin in der Stadt gar nicht aufs Auto angewiesen | |
| und habe außerdem ein höheres Einkommen. Diese Menschen leiden darunter, | |
| wenn andere das verbleibende Treibhausgasbudget verbrauchen, nur weil sie | |
| beispielsweise Lust haben, mit schnellen Autos auch schnell zu fahren. Die | |
| Klimaschutzmaßnahmen dürfen solche unterschiedlichen Gruppen nicht gleich | |
| belasten, darin sehen wir einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz aus | |
| Artikel 3 unseres Grundgesetzes. | |
| taz: Wer sind Ihre Kläger? | |
| Verheyen: Insgesamt haben sich fast 50.000 Menschen angeschlossen. Die | |
| Zukunftsklage ist wahrscheinlich die erste Umweltklage in Deutschland, wo | |
| die beteiligten Verbände jedem die Möglichkeit eröffnen, mitzumachen. Denn | |
| die intertemporalen Freiheitsrechte stehen schließlich jedem zu, und auch | |
| das Thema Klimagerechtigkeit betrifft viele. Unter den Klägern haben wir | |
| aber dann verschiedene Gruppen an Menschen gebildet, die besonders unter | |
| mangelndem Klimaschutz leiden und davon benachteiligt werden. | |
| taz: Wenn Sie nicht vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, sind Sie auch | |
| ehrenamtliche Richterin am Hamburgischen Verfassungsgericht. Was machen Sie | |
| da? | |
| Verheyen: Beim Hamburger Verfassungsgericht kann man keine | |
| Verfassungsbeschwerden einreichen, die sich auf Grundrechte beziehen. | |
| Stattdessen geht es vorwiegend um sogenannte Organstreitigkeiten, zum | |
| Beispiel zwischen Abgeordneten und der Hamburgischen Bürgerschaft. In den | |
| letzten Jahren waren wir am häufigsten mit der [1][Zulässigkeit von | |
| Volksinitiativen] befasst. | |
| taz: Warum machen Sie diese unbezahlte Arbeit neben Ihrer Tätigkeit als | |
| Anwältin? | |
| Verheyen: Ich bin sehr dankbar für diese Tätigkeit, denn das Hamburgische | |
| Verfassungsgericht ist ein total gutes Beispiel für eine funktionierende | |
| Institution: Da sitzen Leute mit ganz verschiedenen Hintergründen gemeinsam | |
| an einem Tisch und diskutieren sich die Köpfe heiß – sehr ehrlich, sehr | |
| lang und sehr ernsthaft. Es hat eine große Bedeutung, dass es Gremien gibt, | |
| in denen verschiedene Meinungen oder politische Hintergründe sich treffen, | |
| aber am Ende das beste Argument und das Recht zählen. | |
| taz: Ab September [2][sammelt in Hamburg das Volksbegehren | |
| „Zukunftsentscheid“ Unterschriften] für ein neues Klimaschutzgesetz in | |
| Hamburg. Wie bewerten sie es? | |
| Verheyen: Der Hamburger Senat hat die [3][Volksinitiative] dem | |
| Verfassungsgericht ausnahmsweise nicht zur Prüfung vorgelegt, deshalb kann | |
| ich darüber frei sprechen. Ich hätte mich aber für befangen erklären | |
| müssen, weil ich die Initiative selbst beraten und in der Ausschusssitzung | |
| Fragen dazu beantwortet habe. Ich bewerte die Ziele als herausfordernd, | |
| aber machbar. Primär geht es um die stärkere [4][Verbindlichkeit der | |
| Hamburger Klimaziele]. Die Stadt soll dazu verpflichtet werden, diese | |
| besser einzuhalten. Aber der Gesetzentwurf sieht auch Spielräume für | |
| politische Aushandlungsprozesse vor. Auch wenn Hamburg als Stadtstaat | |
| natürlich nur begrenzten Einfluss auf Deutschlands CO2-Emissionen hat, | |
| finde ich das eine sehr wichtige Initiative. Es klingt zwar abgedroschen, | |
| aber es ist trotzdem wahr: Jeder Beitrag zählt, und deshalb ist wichtig, | |
| dass Hamburg alles tut, um die Klimaziele einzuhalten. | |
| 3 Sep 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Volksinitiative-Hamburg-werbefrei/!6021709 | |
| [2] /Volksinitiative-von-Fridays-for-Future/!5989544 | |
| [3] https://zukunftsentscheid-hamburg.de/ | |
| [4] /Hamburgs-neues-Klimaschutzgesetz/!5964821 | |
| ## AUTOREN | |
| Marta Ahmedov | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Klimaklage | |
| Schwerpunkt Klimaproteste | |
| Volksbegehren | |
| Volksentscheid | |
| Bundesverfassungsgericht | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Klimaklage | |
| Schwerpunkt Artenschutz | |
| Hamburg | |
| Volksentscheid | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Verfassungsklage gegen Klimaschutzgesetz: Umwelt-Sachverständigenrat gibt Klim… | |
| Regierungsberater*innen stützen mehrere Verfassungsbeschwerden gegen | |
| das reformierte Klimaschutzgesetz. Es gefährde verbindliche Klimaziele. | |
| Jurist über die Deutsche Umwelthilfe: „Die DUH hat Rechtslücken offengelegt… | |
| Ohne den Umweltverband, der nun seinen 50. Geburtstag feiert, sähe das | |
| deutsche Rechtssystem heute anders aus, sagt Experte Michael Zschiesche. | |
| Schutz der biologischen Vielfalt: „Noch dramatischer als beim Klimawandel“ | |
| Der Umweltverband BUND will Deutschland mit einer Verfassungsklage zum | |
| Schutz der Biodiversität zwingen. Viele Arten seien bereits ausgestorben. | |
| Strengeres Klimaschutzgesetz für Hamburg: Klimainitiative springt weit über d… | |
| 106.000 Unterschriften hat die Hamburger Volksinitiative für den | |
| geforderten „Zukunftsentscheid“ gesammelt. Damit ist der Weg für eine | |
| Abstimmung frei. | |
| Unterschriftensammeln fürs Klima: Im rauen Wind der Straße | |
| Wer vor dem Bahnhof in Hamburg-Altona Unterschriften für den Klimaschutz | |
| sammelt, lernt Demut. Ein Erfahrungsbericht. | |
| Klage vor dem Bundesverfassungsgericht: Klimaklagen-Trio macht Druck | |
| Gemeinsam mit rund 50.000 Bürger:innen reicht nun auch Greenpeace eine | |
| Klimaklage beim Bundesverfassungsgericht ein. | |
| Klimaklage gegen Bundesregierung: Umwelthilfe lässt nicht locker | |
| Die Ampelkoalition verstoße mit ihrer Klimapolitik gegen geltendes | |
| EU-Recht, sagt die Deutsche Umwelthilfe. Sie reicht Klage ein – erneut. | |
| Novelle des Klimaschutzgesetzes: Drei Klagen in Karlsruhe | |
| Umweltverbände, Aktivist:innen und Privatpersonen wollen gegen das | |
| Klimaschutzgesetz vorgehen. Die Regierung hatte es per Novelle aufgeweicht. | |
| Entscheidung zum Klimaschutzgesetz: Karlsruhe for Future | |
| Das Bundesverfassungsgericht erklärt das deutsche Klimagesetz für | |
| verfassungswidrig – und fordert „Entwicklungsdruck“ für klimaneutrale | |
| Lösungen. |