| # taz.de -- Schutz der biologischen Vielfalt: „Noch dramatischer als beim Kli… | |
| > Der Umweltverband BUND will Deutschland mit einer Verfassungsklage zum | |
| > Schutz der Biodiversität zwingen. Viele Arten seien bereits ausgestorben. | |
| Bild: Der Indri-Lemur lebt in den Regenwäldern Ost-Madagaskars. Er gilt als st… | |
| Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) klagt beim | |
| Bundesverfassungsgericht gegen das mangelnde Engagement Deutschlands beim | |
| Schutz der biologischen Vielfalt. Dies sei „weltweit die erste Klage bei | |
| einem obersten Gericht auf bessere Naturschutzgesetzgebung“, so der BUND. | |
| Das Bundesverfassungsgericht soll den Gesetzgeber – also Bundestag und | |
| Bundesrat – verpflichten, ein „umfassendes Schutzkonzept zum Erhalt der | |
| Biodiversität“ zu beschließen. Und natürlich will die Umweltorganisation | |
| mit der Klage auch Öffentlichkeit für den Schutz der biologischen Vielfalt | |
| schaffen, der in den Medien meist im Schatten von Klimawandel und | |
| Klimaschutz steht. | |
| In der 144-seitigen Klageschrift, die der taz vorliegt, macht der BUND | |
| deutlich, dass die Bedrohung der Biodiversität „weiter fortgeschritten ist | |
| als beim Klimawandel“, daher sei auch die „Dringlichkeit raschen | |
| gesetzgeberischen Handelns“ höher. Die biologische Vielfalt erbringe eine | |
| Vielzahl wesentlicher Leistungen für Lebewesen, etwa die Gewährleistung der | |
| Widerstandsfähigkeit und Stabilität von Ökosystemen, die Regulierung des | |
| Klimas, die Bestäubung in der Nahrungsmittelproduktion, die Reinhaltung von | |
| Luft und Wasser, die Ermöglichung der Bodenbildung und den Schutz vor | |
| [1][Naturkatastrophen wie Überschwemmungen] und Erosion. | |
| ## Neue Infektionskrankheiten durch Artensterben | |
| Der [2][Rückgang der Biodiversität] sei bereits dramatisch. So habe sich in | |
| Europa seit den 1970er Jahren die Fläche der Feuchtgebiete um 50 Prozent | |
| verringert. In den vergangenen drei Jahrzehnten sei in deutschen | |
| Schutzgebieten die Zahl der fliegenden Insekten um 75 Prozent | |
| zurückgegangen. Als Hauptursachen werden Landwirtschaft, Klimawandel und | |
| invasive Arten genannt. | |
| Die Umweltschützer argumentieren: Langfristig sei durch das Artensterben | |
| die Ernährungssicherheit gefährdet, und neue Infektionskrankheiten könnten | |
| auftauchen. Der Verlust an Lebensräumen und ihre Entwertung reduziere die | |
| Fähigkeit der Natur, den Klimawandel zu bremsen. | |
| Rechtlich argumentiert der Bund mit den Grundrechten auf Leben, Gesundheit | |
| und Eigentum in Artikel 2 und 14 des Grundgesetzes. Zudem seien alle | |
| Freiheitsrechte der Menschen gefährdet, wenn der Staat in der Zukunft | |
| abrupt umsteuern müsse, weil er wirksame Maßnahmen zu lange aufgeschoben | |
| hat. Angeführt wird außerdem das Staatsziel auf Schutz der natürlichen | |
| Lebensgrundlagen in Artikel 20a und das [3][UN-Abkommen über die | |
| biologische Vielfalt] von 1992. | |
| Daraus ergäben sich „Schutzpflichten“, die der Staat nicht ausreichend | |
| erfülle. Die Naturschutzgesetze im Bund und in den Bundesländern genügten | |
| nicht annähernd den Anforderungen. Die 2007 beschlossene „Nationale | |
| Strategie zur biologischen Vielfalt“ habe noch keine Trendwende gebracht. | |
| Der Versuch der EU, im Landwirtschaftsrecht umzusteuern, sei nach den | |
| Bauernprotesten zur Jahreswende wieder aufgegeben worden. Als Schritt in | |
| die richtige Richtung lässt der BUND nur die im Sommer 2024 beschlossene | |
| [4][EU-Renaturierungsverordnung] gelten. Doch auch diese enthalte zu viele | |
| Ausnahmen und sei „bestenfalls ein Anfang“. | |
| Was der Gesetzgeber konkret beschließen soll, lässt der BUND offen. | |
| Vermutlich wäre er schon froh, wenn das Bundesverfassungsgericht dem | |
| Gesetzgeber ein Unterlassen attestiert und ihn ganz allgemein zur | |
| Nachbesserung auffordert. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass die | |
| Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe als unzulässig abgelehnt wird, weil | |
| niemand eine gegenwärtige Verletzung seiner Grundrechte geltend machen | |
| kann. | |
| Konkret wurde die Verfassungsbeschwerde von fünf Privatpersonen und drei | |
| BUND-Gliederungen eingereicht. Die Privatpersonen erklären, sie fühlten | |
| sich vom Biodiversitätsverlust „betroffen“. Eine Asthmatikerin rechnet vage | |
| mit Folgen für ihre Gesundheit. Der Biologe Christoph Martin, der die Klage | |
| durch eine Großspende ermöglichte, bedauert, dass er seine Faszination für | |
| die Vielzahl der vorkommenden Arten nicht mehr an seine Kinder und Enkel | |
| weitergeben kann. | |
| Die klagenden BUND-Gliederungen – der Bundesverband und die Landesverbände | |
| in Bayern und Sachsen – argumentieren teilweise damit, dass der Ertrag | |
| ihrer Streuobstwiesen gefährdet sei. | |
| Das Bundesverfassungsgericht hat bisher Verbände nicht als Umweltkläger | |
| zugelassen. Dagegen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in | |
| Straßburg in seinem Urteil vom April zu den Schweizer Klimaseniorinnen | |
| ausschließlich Verbände und keine Privatpersonen als Kläger akzeptiert. Da | |
| sollten sich die Gerichte noch einigen. | |
| Vielleicht gibt es aber auch eine Überraschung, wie 2021 beim | |
| [5][Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts]. Damals rechneten auch | |
| alle mit einer Unzulässigkeit der Klagen. Doch dann ließ Karlsruhe eine | |
| Gefährdung der Grundrechte in der Zukunft für die Klageberechtigung | |
| ausreichen. | |
| 23 Oct 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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