| # taz.de -- Invasive Arten: Wie der Feuerfisch das Mittelmeer verändert | |
| > Er frisst so ziemlich alles, was ihm vor die Kiemen kommt. Das macht den | |
| > stacheligen Eindringling zum Problem für das Mittelmeer. | |
| Bild: Wie ein Wesen aus einer anderen Welt: Der Feuerfisch kommt aber nur aus e… | |
| MITTELMEER, KATAMARAN „WAKA“ taz | Er ist ein auffälliger Räuber. An den | |
| orange-weißen Streifen und den giftigen Stacheln erkennt man ihn direkt, | |
| wenn er sich in der Nacht langsam über den Meeresboden bewegt, seiner Beute | |
| hinterher. Dann schlägt er zu und saugt sie blitzschnell ein. Videos und | |
| Studien zeigen, dass der [1][Feuerfisch] bei seiner Jagd nicht wählerisch | |
| ist und so ziemlich alles frisst, was ihm vor die Kiemen kommt. Und genau | |
| das könnte ihn zum Problem im Mittelmeer machen. | |
| Ursprünglich ist der Feuerfisch im Indopazifik und dem Roten Meer heimisch, | |
| doch auch im östlichen Mittelmeer taucht er mittlerweile auf. Erstmals | |
| gesichtet wurde er vor etwa zehn Jahren, nachdem er durch den Suezkanal | |
| eingewandert war. Weil die heimischen Arten ihn nicht kennen und er selbst | |
| keine Fressfeinde hat, hat er leichtes Spiel. Das könnte große Auswirkungen | |
| auf die Ökosysteme im Mittelmeer haben. Das legt seine Ausbreitung an der | |
| amerikanischen Ostküste nahe, wo der Feuerfisch durch sein Jagdverhalten | |
| heimische Arten bereits drastisch verringerte. Wegen dieser negativen | |
| Auswirkungen wird er nicht nur als eingeschleppte, sondern [2][als invasive | |
| Art bezeichnet]. | |
| Die „Erfolgsstory“ des Feuerfischs ist kein Einzelfall. Die Wissenschaft | |
| kennt etwa 500 Pflanzen- und Tierarten, die es durch den Suezkanal ins | |
| Mittelmeer geschafft haben. Sie hat sogar einen eigenen Begriff dafür: | |
| Lessepssche Migration. Der Begriff geht auf den Diplomaten Ferdinand von | |
| Lesseps zurück, den Kopf hinter dem Kanal. | |
| Die Erbauer schufen 1869 mit [3][ihrem kolonialistischen Projekt nicht nur | |
| eine kürzere Handelsverbindung] nach Asien, sondern öffneten auch Tür und | |
| Tor für neue Arten. Manchmal schwimmen diese selbst durch den 165 Kilometer | |
| langen Kanal, oft fahren sie als blinde Passagiere im Ballastwasser von | |
| Containerschiffen mit. | |
| ## Rekordtemperaturen im Mittelmeer | |
| Neben dem Suezkanal profitieren die tropischen Arten vom Klimawandel. | |
| Springt man Ende September im französischen [4][Nationalpark Port-Cros] ins | |
| Mittelmeer, bekommt man zwar keine Hitzewallungen. Auch die selbst | |
| gemessene Wassertemperatur von etwa 22 Grad ist für die Jahreszeit nicht | |
| ungewöhnlich. | |
| Trotzdem wurden im August vergangenen Jahres [5][Rekordtemperaturen im | |
| Mittelmeer] gemessen, auch im Port-Cros Nationalpark waren sie | |
| vergleichsweise hoch. „In den letzten 20 Jahren hat sich die | |
| Oberflächentemperatur hier um einen Grad erhöht“, sagt Alain Barcelo. | |
| Er ist wissenschaftlicher Leiter im Nationalpark und schaut besorgt auf die | |
| steigenden Temperaturen und die Ausbreitung invasiver Arten. Im | |
| Nationalpark könne zum Beispiel die aus dem Atlantik stammende Blaukrabbe | |
| zum Problem werden. Sie sei bereits an der nahegelegenen Halbinsel Giens | |
| gesichtet worden. „Wir gehen davon aus, dass sie hohe Schäden verursachen | |
| wird“, sagt Alain Barcelo. Denn die Krabbe findet durch die steigenden | |
| Temperaturen neue Lebensräume, ist sehr aggressiv und hat keine | |
| Fressfeinde. Zudem plündert und zerstört sie Netze und Reusen von Fischern | |
| und Muschelfarmern. | |
| Konkurrieren eingeschleppte Arten also mit den heimischen, verdrängen sie | |
| und gefährden die einzigartige Biodiversität im Mittelmeer? Ganz so | |
| eindeutig, wie es die Geschichten von Feuerfisch und Blaukrabbe nahelegen, | |
| ist die Sache nicht. Klar ist, dass der [6][erste Sachstandsbericht zu | |
| Klima- und Umweltveränderungen im Mittelmeer] auf ernste Entwicklungen | |
| hinweist. | |
| ## Heimische Arten mit Problemen | |
| Laut dem Bericht der Mittelmeer-Expert:innen ([7][MedECC]) von 2020 wird | |
| das Meer wärmer und wärmeliebende Arten breiten sich insgesamt aus. Dies | |
| sind nicht nur eingeschleppte, sondern auch im Mittelmeer heimische | |
| tropische Arten. Gleichzeitig haben viele heimische Arten Probleme. Eine | |
| Verschiebung von Lebensräumen und Auswirkungen auf die Biodiversität sind | |
| tatsächlich zu beobachten. | |
| Diese Entwicklung liegt jedoch nicht nur an den eingeschleppten Arten, | |
| sondern auch daran, dass heimische Arten häufig schlecht auf die höheren | |
| Temperaturen reagieren. Darauf weist Gil Rilov hin, leitender | |
| Wissenschaftler am Israel Oceanographic and Limnological Research Institute | |
| und Professor an der Universität Haifa: „Wir haben viele heimische Arten | |
| verloren, aber wir wissen nicht genau, warum. Es könnte die Konkurrenz mit | |
| eingeschleppten Arten sein, aber auch, dass es für sie im Sommer zu warm | |
| wird.“ Auf die Temperatur als maßgebliche Ursache deuten zum Beispiel | |
| Erkenntnisse zu Seeigeln, Muscheln und Schnecken im östlichen Mittelmeer | |
| hin, wo der Artenschwund besonders groß ist. | |
| Die direkte Konkurrenz mit eingeschleppten Arten ist also womöglich weniger | |
| entscheidend als die unterschiedliche Reaktion auf die neuen Temperaturen. | |
| Denn eingeschleppte Arten besetzen häufig ökologische Nischen. Nicht alle | |
| Arten sind so invasiv wie Feuerfisch und Blaukrabbe. Hinzu kommt, dass | |
| Langzeitbeobachtungen meist fehlen und die Auswirkungen vieler Arten kaum | |
| erforscht sind. | |
| ## Auswirkungen nicht zu unterschätzen | |
| Weil sich bereits eingeschleppte Arten zudem nicht mehr ganz herausfischen | |
| lassen, plädieren einige ForscherInnen für einen pragmatischen Umgang. Sie | |
| argumentieren, dass die Ausbreitung invasiver Arten verhindert werden | |
| müsse. Seien sie jedoch einmal etabliert, solle der Fokus auf die gesamte | |
| Biodiversität und funktionierende Ökosysteme gelegt werden anstatt auf | |
| heimische gegen eingeschleppte Arten. Auch Gil Rilov teilt diese | |
| Perspektive: „In Gebieten, die sich schnell erwärmen und in denen wir viele | |
| einheimische Arten verlieren, kompensieren die neuen Arten vielleicht | |
| teilweise den Verlust der Vielfalt und ihrer Funktionen. Ohne sie hätten | |
| wir nichts.“ | |
| Trotzdem sind die Auswirkungen einzelner Arten nicht zu unterschätzen. Das | |
| zeigen die Beispiele Feuerfisch und Blaukrabbe. Deshalb raten Wissenschaft | |
| und Behörden, so viele Tiere wie möglich zu fangen. | |
| In der Karibik wird der Feuerfisch bereits verzehrt, in den USA gilt die | |
| Blaukrabbe als teure Delikatesse. Indem versucht wird, die Tiere als | |
| Lebensmittel zu etablieren, könnten die betroffenen Fischer neue | |
| Einnahmequellen finden und die Ausbreitung der invasiven Arten gleichzeitig | |
| verringern. | |
| Die Recherche für diesen Text wurde von der Okeanos Stiftung für das Meer | |
| unterstützt. | |
| 19 Apr 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Weltweit-groesste-Zoohandlung-schliesst/!6071861 | |
| [2] /Umgang-mit-invasiven-Arten/!5955079 | |
| [3] /Grundwerte-der-Europaeischen-Union/!6009927 | |
| [4] /Klimawandel-und-Meeresschutz/!5989904 | |
| [5] /Fischsterben-in-Italien/!6029159 | |
| [6] https://www.medecc.org/wp-content/uploads/2020/11/MedECC_MAR1_SPM_GER.pdf | |
| [7] https://www.medecc.org/ | |
| ## AUTOREN | |
| Elias Tetzlaff | |
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