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# taz.de -- Unterschriftensammeln fürs Klima: Im rauen Wind der Straße
> Wer vor dem Bahnhof in Hamburg-Altona Unterschriften für den Klimaschutz
> sammelt, lernt Demut. Ein Erfahrungsbericht.
Bild: Sinnvoll und auch noch erhellend in Sachen Volksseele: Unterschriften sam…
Hamburg taz | Ich hatte gehofft, dass es ausfallen würde, aber dann fällt
es nicht aus: Unterschriften sammeln für [1][den Hamburger
Zukunftsentscheid], zwei Stunden an einem grauen Nachmittag vor dem
Altonaer Bahnhof in Hamburg. Als ich komme, steht schon eine Frau mit
Locken und wasserfester Jacke vor dem Eingang. „Zukunftsentscheid“ steht
auf ihrer weißen Weste und neben ihr zittert ihr sehr kleiner Hund in der
Kälte.
Ich habe keine Flyer dabei, weil ich mir den Graswurzelcharakter der Sache
nicht klar gemacht hatte, aber die Frau mit den Locken gibt mir einen
Stapel von ihren. [2][„Klimaziele verbindlich machen“], rufe ich, aber das
ist ein einsamer Wunsch. Die Leute sind wie Hunde, die die Gefahr schon von
vorn riechen. Sie gucken schon in zwei Metern Entfernung so beflissen zur
Seite, dass meine Flyer und ich unsichtbar werden.
Der Zukunftsentscheid soll das [3][Hamburger Klimagesetz] verschärfen und
funktioniert in mehreren Stufen: Für eine Volksinitiative hat das Bündnis
schon über 20.000 Stimmen gesammelt, was bedeutet, dass die Bürgerschaft
sich mit dem Thema befassen musste. Sie schloss sich dem Ziel aber nicht an
und jetzt werden neue Stimmen gesammelt, damit in einem Volksentscheid über
ein verschärftes Klimaschutzgesetz abgestimmt werden kann. Dafür braucht es
nun 67.000 Unterschriften und in Hamburg haben sich Fridays for Future,
Nabu, Ver.di und der Mieterverein zu Hamburg dafür zusammengetan.
„Klimaziele verbindlich machen“, rufe ich und versuche die selbstgewisse
Fröhlichkeit hineinzulegen, die mein früherer Chef hatte, als wir gemeinsam
kostenlose tazzen verteilten. „Ihr müsst ein Gewinnspiel machen, dann
machen die Leute mit“, sagt ein zerknitterter Mann im Rollstuhl, der neben
dem Aschenbecher raucht. „Wir gewinnen doch das Klima“, sage ich lahm.
Schräg gegenüber steht ein Bettler, den ich vom Sehen kenne. „Gesundheit
und alles Gute für Sie“, sagt er, wenn ich ihm Geld gebe, und auch jetzt
hält er eine silberne Tasse vor sich. Ich frage mich, ob wir seine
Kundschaft vertreiben. Ein junger Mann mit dunklem Backenbart macht eine
Raucherpause und guckt uns lächelnd zu. Wir Bildungsbürger:innen, die nun
auch mal dem rauen Wind der Straße ausgesetzt sind.
Nach einer halben Stunde Flyer-Verteilen ist klar, dass es sinnlos ist,
Jung-Eltern anzusprechen, ältere Paare ebenso. Lohnend sind bürgerliche
Frauen ab etwa 50. Ist es eine sonderbare Variante [4][diskriminierender
Polizeikontrollen], wenn ich mich an sie halte statt allen den Flyer vor
die Nase zu halten? „Klimaziele verbindlich machen“, sage ich und halte ihn
einer rothaarigen Frau in Schwarz entgegen. „Ich habe andere Sorgen, sieht
man das nicht“, sagt sie und ich gucke sie genauer an. Vielleicht ist sie
wohnungslos, sicher prekär.
Ein Trupp Jugendlicher geht an mir vorbei. „Sicher wart ihr bei der
Fridays-for-Future-Demo“, rufe ich gehässig hinterher, „die Jugend von
heute.“ „Das sind die Alten von gestern“, sagt der Mann im Rollstuhl
kryptisch, aber vielleicht habe ich ihn auch falsch verstanden und er
meinte die Alten von morgen.
„Wollen Sie vielleicht unterschreiben?“, frage ich. Er rollt zum
Unterschriftentisch. Er war Hausbesetzer in der Hafenstraße, erzählt er,
vom Obst, das sie auf die Polizist:innen schmissen, die im Gegenzug
nicht pingelig waren. Er erzählt und dann bricht er ab und sagt: „Ich will
euch die Kundschaft nicht vertreiben“ und rollt davon.
Es kommt ein gut gelaunter junger Mann, der selbst mal Telefonmarketing
gemacht hat – „Auch nicht schön“ – und unterschreibt, es kommt eine Mu…
mit Kind, es kommt eine junge Frau, die sich bedankt, dass wir hier stehen.
Ein schöner Hippie ruft, dass man erst den Kapitalismus abschaffen müsse
und unterschreibt nicht. Einige zischen „Klima“ so böse, dass ich Angst
habe, sie wollen mich hauen und ich denke an die grünen Parteivorsitzenden,
die gerade [5][zurückgetreten sind].
Um 16.45 Uhr haben wir 20 Unterschriften. „Bis zum nächsten Mal“, sagen wir
vage zuversichtlich und ziehen eilig die Westen aus.
6 Oct 2024
## LINKS
[1] /Volksinitiative-von-Fridays-for-Future/!5989544
[2] /Fridays-for-Future-plant-Volksinitiative/!5968426
[3] /Hamburgs-neues-Klimaschutzgesetz/!5964821
[4] /Schwerpunkt-Polizeikontrollen-in-Hamburg/!t5042267
[5] /Ruecktritt-nach-Brandenburg-Debakel/!6035703
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Volksentscheid
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