| # taz.de -- Anwalt über erfolgreiche Klimaklagen: „Klimaschutz hat Verfassun… | |
| > Was aus dem bahnbrechenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum | |
| > Klimaschutzgesetz folgt, erklärt der Anwalt Remo Klinger. | |
| Bild: Klimaprotest vor dem Verfassungsgericht: Das hat einen spektakulären Bes… | |
| taz: Herr Klinger, Sie haben den [1][Klimabeschluss des | |
| Bundesverfassungsgerichts] vom letzten Donnerstag mit erstritten. Ist das | |
| eine spektakuläre und wirkmächtige Entscheidung oder nur billige Symbolik | |
| mit geringen praktischen Folgen? | |
| Remo Klinger: Das Gericht hat die deutsche Politik zu einem wirksamen | |
| Klimaschutz verpflichtet. Klimaschutz hat jetzt Verfassungsrang und ist | |
| justiziabel. Damit müssen nun weitreichende Klimaschutzmaßnahmen | |
| durchgesetzt werden. Symbolik ist das keineswegs. | |
| Manche sind aber enttäuscht, weil Karlsruhe keine konkreten Maßnahmen | |
| dekretiert hat – anders als das höchste Gericht der Niederlande, das nach | |
| einer Klage der Stiftung Urgenda 2019 eine [2][25-prozentige Senkung der | |
| CO2-Emissionen bis Ende 2020 vorschrieb]. | |
| Für die Niederlande war dieses Urgenda-Urteil wichtig, weil die dortige | |
| Regierung nur eine Reduzierung um 17 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 | |
| anstrebte. Auch global war das Urgenda-Urteil bedeutsam, als Beispiel | |
| dafür, dass Gerichte Verantwortung für den Klimaschutz übernehmen können. | |
| Aber für deutsche Maßstäbe war eine 25-Prozent-Reduzierung kein Vorbild. Da | |
| war selbst die Bundesregierung ambitionierter. | |
| Das Bundesverfassungsgericht geht jetzt erheblich weiter, indem es die | |
| Ziele des Pariser Klima-Abkommens in Verfassungsrang erhoben hat. Die | |
| Einhaltung dieser Ziele erfordert deutlich stärkere Reduzierungen als die | |
| Urgenda-Entscheidung. | |
| Ist nun die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad ein Staatsziel? | |
| Nicht ganz. Das Pariser Abkommen schreibt eine Begrenzung der Erderwärmung | |
| „deutlich unter 2 Grad und möglichst auf 1,5 Grad“ vor. In diesem Sinn ist | |
| nun laut Verfassungsgericht das Staatsziel Umweltschutz aus Artikel 20a des | |
| Grundgesetzes „konkretisiert“. | |
| Was ist damit gewonnen? Auch die Bundesregierung bekannte sich ja zu den | |
| Zielen von Paris? | |
| Der Unterschied ist, dass das Bundesverfassungsgericht konsequente Folgen | |
| daraus ableitet. Die Richter rechnen vor, dass es inakzeptable Konsequenzen | |
| hätte, wenn die in Deutschland bis 2030 zugelassenen Emissionen nicht | |
| reduziert werden. Dann wäre das deutsche CO2-Budget nämlich schon 2030 | |
| weitgehend aufgebraucht und es müsste zu weitgehenden Beschränkungen von | |
| Freiheitsrechten kommen. | |
| Der Umweltrechtler Christian Callies sagt, dann drohe die „Ökodiktatur“ �… | |
| Der diktatorische Zungenschlag liegt mir fern. Aber wir müssten uns | |
| entscheiden, ob das 2-Grad-Ziel aufgegeben wird oder ob wir als | |
| Gesellschaft am Ende der Dekade eine Vollbremsung hinlegen, was zu | |
| unglaublichen Verteilungskämpfen führen würde. Ich finde beide Alternativen | |
| schrecklich. Das können wir nur vermeiden, wenn wir bereits jetzt, also bis | |
| 2030, den Ausstoß von Treibhausgasemissionen viel stärker reduzieren. | |
| Das schreiben die Verfassungsrichter:innen aber nicht ausdrücklich | |
| vor … | |
| Doch, aus der Gesamtschau des Urteils ergibt sich das. Es gibt auch keine | |
| andere logische Schlussfolgerung aus ihren Feststellungen. Jedenfalls wird | |
| die Politik nicht umhinkommen, sofort Rahmenbedingungen für eine viel | |
| stärkere Reduzierung der CO2-Emissionen zu setzen. | |
| Und wenn die Politik untätig bleibt, wird es neue Verfassungsbeschwerden | |
| geben? | |
| Sicherlich. Aber nicht alle Wege führen nach Karlsruhe. Für die Deutsche | |
| Umwelthilfe klage ich bereits seit September beim Oberverwaltungsgericht | |
| (OVG) Berlin-Brandenburg gegen die Bundesregierung, weil die bisher | |
| vorgesehenen Maßnahmen nicht einmal ausreichen, um die aktuell geltenden | |
| deutschen Klimaziele einzuhalten. | |
| An diesem Montag werde ich dem Gericht einen neuen 50-seitigen Schriftsatz | |
| schicken. Das OVG will im Herbst verhandeln. Schon da wird sich zeigen, wie | |
| wirkungsvoll der Karlsruher Klimabeschluss ist. | |
| Gegner:innen einer strengen Klimapolitik weisen darauf hin, dass es kein | |
| deutsches Klima gibt und es dem Weltklima wenig bringt, wenn sich nur | |
| Deutschland einschränkt. | |
| Auch darauf hat das Bundesverfassungsgericht eine klare Antwort: „Der Staat | |
| kann sich seiner Verantwortung nicht durch den Hinweis auf die | |
| Treibhausgasemissionen in anderen Staaten entziehen“, ist einer der | |
| Karlsruher Leitsätze. Jeder Staat muss das tun, was in seiner Macht und | |
| Verantwortung steht. Der Zeigefinger auf andere darf rechtlich nicht von | |
| eigenem Fehlverhalten ablenken. | |
| Früher haben Sie gespottet, das Staatsziel Umweltschutz sei nur | |
| „Verfassungslyrik“, anders als die einklagbaren Grundrechte. Müssen Sie | |
| nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts Abbitte tun? | |
| Ja. Sogar gern. Dass das Gericht diesen verfassungsrechtlichen Weg | |
| einschlägt, war für alle Experten überraschend. Aber nun ist die Zeit des | |
| Spottens vorbei. Wir müssen jetzt umdenken. | |
| 2 May 2021 | |
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| Christian Rath | |
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