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# taz.de -- Juristin über die Klimakrise: „Gerichte für Klimaschutz anrufen…
> Illegale Aktionen der Klimabewegung können juristisch gerechtfertigt
> sein, meint Anwältin Roda Verheyen. Sie bekämpft die Klimakrise im
> Gerichtssaal.
Bild: Protestgesang im Kohledorf Lützerath: Verheyen vertritt den letzten dort…
taz: Frau Verheyen, neulich verlieh ein Ökostrom-Unternehmen Ihnen einen
Preis als „Stromrebellin“, eine außergewöhnliche Bezeichnung für eine
Anwältin. Sehen Sie sich selbst auch als Rebellin?
Roda Verheyen: Nein, so würde ich mich nicht beschreiben. Ich bin Juristin
und arbeite mit dem Recht, nicht gegen das Recht.
Eine typische Juristin sind Sie aber nicht …
Das stimmt. Bereits im Studium habe ich fast nie die sogenannte
„herrschende Meinung“ vertreten, sondern in der Regel die „Mindermeinung�…
Teile der Klimaschutzbewegung setzen auf zivilen Ungehorsam, brechen also
bewusst Gesetze, um auf ein höher stehendes Unrecht hinzuweisen. Was halten
Sie davon?
Ich selbst breche nicht das Recht, auch nicht demonstrativ. Als Anwältin
und ehrenamtliche Richterin bin ich schließlich Organ der Rechtspflege.
Aber ich kann gut nachvollziehen, wenn Menschen aus der Klimaschutzbewegung
so verzweifelt sind, dass sie auch symbolische Rechtsbrüche begehen.
Um die Verteidigung solcher Aktivistinnen und Aktivisten besser zu
finanzieren, gibt es jetzt den Umwelt-Treuhandfonds, an dessen Gründung ich
beteiligt war.
Der [1][Klima-Aktivist Tadzio Müller] hat neulich im Spiegel prophezeit, es
werde [2][bald eine „grüne RAF“ geben], wenn sich Politik und Gesellschaft
weiterhin so ignorant verhalten …
Gewalt gegen Personen ist in den Kriterien des Umwelt-Treuhandfonds
ausgeschlossen. Allerdings wird oft übersehen, dass Blockaden oder
Schornsteinbesetzungen auch juristisch gerechtfertigt sein können, weil der
Einsatz für Klimaschutz notwendig ist.
Gibt es bereits entsprechende Gerichtsurteile?
Nicht in Deutschland, aber zum Beispiel in Großbritannien und der Schweiz.
So wurden schon 2008 in England Greenpeace-Aktivisten freigesprochen, die
den Schornstein des Kohlekraftwerks Kingsnorth besetzt hatten.
Waren Sie zuerst Juristin oder Umweltschützerin?
Letzteres. Ich habe mich schon als 13-Jährige in der Schule für
Umweltschutz eingesetzt, damals für den Verkauf von Getränken in
Pfandflaschen. Jura habe ich dann nur aus Interesse am Umweltrecht
studiert.
Haben Sie schon als Studentin erste Klimaklagen vorbereitet?
Nein, daran dachte in den 1990er Jahren noch niemand. Auch als wir 2002 das
Climate Justice Program [Programm für Klimagerechtigkeit, d. Red.]
gründeten, ging es noch nicht um Verfassungsbeschwerden in Deutschland.
Aber es war der Beginn, das bestehende Recht argumentativ zu nutzen, um
Klimaschutz voranzubringen.
Ist es richtig, wenn Gerichte Klimapolitik betreiben und dem demokratisch
gewählten Gesetzgeber Vorgaben machen?
Natürlich soll die Politik die konkreten Maßnahmen bestimmen. Aber die
Staaten haben sich im Pariser Klima-Abkommen verpflichtet, die Erderwärmung
wirkungsvoll zu begrenzen, und das ist auch zum Schutz von Menschenrechten
erforderlich. Deshalb ist es legitim, wenn Gerichte angerufen werden, um
dafür zu sorgen, dass die Staaten dieses Ziel umsetzen und einhalten.
Das Bundesverfassungsgericht hat den Gedanken, dass jedem Staat nur ein
bestimmtes CO2-Budget zum Ausstoßen zur Verfügung steht, in den
Verfassungsrang erhoben – ein großer Erfolg der Klimabewegung?
Ja, aber das Bundesverfassungsgericht hat nicht als erstes Gericht so
argumentiert. Das Verwaltungsgericht Berlin, wo ich 2019 mehrere Familien
und Greenpeace vertreten habe, ist bereits von nationalen Klimabudgets
ausgegangen.
Auch die niederländischen Urgenda-Urteile, die ich für das
Bundesverfassungsgericht übersetzen ließ, argumentierten, dass jeder Staat
seinen Anteil an der großen Aufgabe Klimaschutz erfüllen muss. Es sei nicht
zulässig, zu behaupten, der eigene Anteil sei nur „ein Tropfen im Ozean“
und daher rechtlich irrelevant.
Als Klima-Anwältin wurden Sie zunächst vor allem mit Klagen gegen
Unternehmen bekannt …
Die Klage des peruanischen Bergbauern Saúl Luciano Lliuya gegen den
Stromkonzern RWE wird derzeit am Oberlandesgericht Hamm verhandelt. Mein
Mandant will sein Haus in Peru gegen das klimabedingt drohende Überlaufen
einer Gletscherlagune schützen und macht RWE [3][als einen der größten
CO2-Emittenten der Welt dafür mitverantwortlich].
Im Mai wird es einen gerichtlichen Ortstermin in Peru geben. Vor
Zivilgerichten sind jetzt auch die Klagen gegen die Automobilindustrie
anhängig, etwa die von mir vertretene Klage gegen VW, gerichtet auf die
Einhaltung des Treibhausgasbudgets.
Was wird das nächste große Klima-Urteil?
Am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg sind vier
wichtige Klimaklagen anhängig. Die Verfahren der portugiesischen Kinder und
der Schweizer Klima-Seniorinnen sind schon recht weit gediehen und sehr
aussichtsreich. Hier rechne ich im kommenden Jahr mit dem nächsten großen
Erfolg.
6 Dec 2021
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## AUTOREN
Christian Rath
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