# taz.de -- Studie zu Klimafolgen in Peru: Beweis für Klage erbracht | |
> Die Erderhitzung hat das Flutrisiko in einem peruanischen Ort erhöht, | |
> zeigt eine Studie. Das könnte dem gegen RWE klagenden Bergführer Lliuya | |
> helfen. | |
Bild: Saúl Luciano Lliuya 2015 vor dem Palcaraju in Peru: Seitdem ist der Glet… | |
Saúl Luciano Lliuya kämpft um die bedrohlich gewordene Heimat. Der Landwirt | |
lebt in Huaraz, einer Stadt im Westen Perus, die sozusagen das Tor zur | |
Cordillera Blanca ist. Viele organisierte Wanderungen in diese höchste | |
Gebirgskette Amerikas beginnen hier, Lliuya arbeitet unter anderem als | |
Bergführer. Die Berge, die zu seiner Existenz beitragen, gefährden sie | |
auch: Der Palcaraju-Gletscher schmilzt direkt in den See Palcacocha hinein. | |
Der droht überzulaufen und damit Lliuyas Haus wie auch viele andere zu | |
zerstören. | |
[1][Das will Lliuya verhindern] beziehungsweise verhindern lassen, nämlich | |
von den Verursachern. Und zu denen gehört, so argumentiert der Peruaner, | |
der deutsche Energiekonzern RWE. Gletscherschmelze sei schließlich eine | |
Folge des Klimawandels, zu dem das Unternehmen maßgeblich beitrage. | |
Unterstützt von der deutschen Umweltorganisation Germanwatch zog Lliuya vor | |
Gericht und verlangte, dass RWE sich an den Kosten für Schutzmaßnahmen | |
beteiligt. [2][Das war 2015.] Nachdem das Landgericht Essen die Klage im | |
Jahr darauf in erster Instanz abgelehnt hatte, beschloss das | |
Oberlandesgericht Hamm 2017 den Einstieg in die Beweisaufnahme. Ein | |
juristischer Durchbruch. | |
Das entscheidende Beweisstück könnten britische und US-amerikanische | |
Klimaforscher:innen mit einer Studie geliefert haben, die am | |
Donnerstag im Fachmagazin Nature Geoscience erschienen ist. Sie haben den | |
menschlichen Fingerabdruck in der drohenden Naturkatastrophe nachgewiesen. | |
„Die Studie zeigt, dass die globale Erwärmung den Rückgang des | |
Palcaraju-Gletschers verursacht und dass das wiederum zu einem erhöhten | |
Flutrisiko geführt hat“, sagt Leitautor Rupert Stuart-Smith, der an der | |
Oxford-Universität promoviert. | |
## Fehlende Glieder der Beweiskette | |
Eine solche Kausalkette fehlt dem Gericht in Hamm bislang. Grundsätzlich | |
hat es schon bestätigt, dass eine deutsches Firma auch für verursachte | |
Beeinträchtigungen von Fremdeigentum haften muss, wenn es wie RWE nicht | |
gegen geltendes Recht verstoße. Wenn der Konzern belangt werden soll, muss | |
aber eine Spur direkt von den deutschen Kohlekraftwerken zum Gletscher in | |
Peru führen. | |
Das Problem dabei: Es gibt eben auch natürliche Wetter- und | |
Temperaturschwankungen jenseits des Klimawandels. Die verschiedenen Effekte | |
überlagern sich. Wie ein bestimmter Gletscher reagiert und ob daraufhin die | |
lokale Bevölkerung gefährdet ist, hängt zudem auch von geografischen | |
Faktoren ab. | |
Genau diese Gemengelage versucht die Attributionswissenschaft aufzuklären, | |
ein relativ junger Zweig der Klimaforschung. Dazu ist das kleinteilige | |
Sammeln lokaler Daten nötig, die in komplexe Computermodelle eingebaut | |
werden. | |
Stuart-Smith und seine Kolleg:innen haben sich deshalb auf Spurensuche | |
begeben. Erst einmal haben sie anhand erprobter Klimamodelle des | |
Weltklimarats IPCC überprüft, wie sich die als globaler Durchschnitt | |
bekannte Erderhitzung lokal auswirkt. Von 1989 bis 2018 lagen die | |
Temperaturen in der peruanischen Region durchschnittlich um ein Grad höher | |
als noch 1880. Zu 95 Prozent ist das laut der Studie auf | |
Treibhausgasemissionen der Menschen zurückzuführen. | |
## 99-prozentige Wahrscheinlichkeit | |
Dann haben die Wissenschaftler:innen sich genau angeguckt, wie der | |
Palcaraju-Gletscher entstand und sich über die Zeit veränderte. Mit einer | |
99-prozentigen Wahrscheinlichkeit lässt sich die seit 1880 erkennbare | |
Schmelze der Studie nach nicht allein durch natürliche Effekte erklären. | |
Oder andersherum formuliert: Der Vorgang sei ohne den Klimawandel | |
„praktisch unmöglich“, erklärt Stuart-Smith. | |
Danach prüften die Forscher:innen noch mit zwei verschiedenen Methoden, | |
inwiefern die Gletscherschmelze das Flutrisiko für Huaraz tatsächlich | |
erhöht hat. Das hängt nicht nur von der Wassermenge im See ab, sondern zum | |
Beispiel auch von der Form der Gletscherzunge. Das Risiko sei aktuell „sehr | |
hoch“, nach gleicher Berechnung mit den Bedingungen des 19. Jahrhunderts | |
nur „mittelhoch“. Damit ist die Kette komplett: Die Emissionen haben in | |
Peru die Temperaturen hochgetrieben, zum Schmelzen des Palcaraju-Gletschers | |
sowie zur Füllung des Palcacocha-Sees geführt – und damit ein erhöhtes | |
Flutrisiko verursacht. | |
Fossile Konzerne weltweit dürften mit Sorge auf die Ergebnisse blicken – | |
vor allem, wenn das Gericht in Hamm sie im Fall von Lliuya vs. RWE als | |
Beweis akzeptiert. Die zu zahlende Summe wäre erst mal recht klein: 17.000 | |
Euro. Das entspricht laut Lliuya und seiner Anwältin Roda Verheyen dem | |
[3][RWE-Anteil an den globalen Treibhausgasemissionen seit der | |
Industrialisierung von 0,47 Prozent]. Kommen sie mit der Argumentation | |
durch, wäre aber ein Präzendenzfall geschaffen. Die Haftung für alle von | |
ihnen verursachten Klimaschäden käme viele Firmen teuer zu stehen. | |
4 Feb 2021 | |
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[1] /Gletscherschmelze-in-Peru/!5511457 | |
[2] /Peruanischer-Bergfuehrer-verklagt-RWE/!5016481 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Schwarz | |
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