# taz.de -- Bundeskanzler Olaf Scholz zu Lützerath: „Da verläuft für mich … | |
> Olaf Scholz verteidigt den Lützerath-Kompromiss und wünscht sich Proteste | |
> für Windräder. Ein Gespräch über Kampfpanzer und den Spaß am schnellen | |
> Fahren. | |
Bild: Olaf Scholz beim Gespräch mit der taz im Kanzleramt, kurz vor der endgü… | |
Olaf Scholz sitzt auf der Fensterbank, als er die taz im Kanzleramt zum | |
Gespräch empfängt. Das große Bücherregal in seinem Büro steht noch immer | |
fast leer. Ein Brockhaus-Lexikon steht drin, es ist noch von seiner | |
Vorgängerin. Aber das Buch von Max Weber, das hat Scholz von | |
Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann geschenkt | |
bekommen. | |
wochentaz: Am Wochenende demonstrieren wohl tausende | |
[1][Klimaaktivist:innen in Lützerath]. Auch Greta Thunberg wird | |
erwartet. Sie haben einst gegen Atomkraft protestiert. Wäre der Juso Olaf | |
Scholz heute auch bei den Anti-Kohle-Protesten dabei? | |
Olaf Scholz: Na, ich will mir nicht anmaßen, als 64-Jähriger darüber zu | |
spekulieren, was ich heute tun würde, wenn ich Anfang zwanzig wäre. Als | |
Juso habe ich mich seinerzeit an Kundgebungen gegen Atomkraftwerke | |
beteiligt. Deshalb war es für mich als frisch in den Bundestag gewählter | |
Abgeordneter etwas Besonderes, im Jahr 2000 während der ersten rot-grünen | |
Koalition den Atomausstieg zu beschließen. Heute wollen wir die | |
erneuerbaren Energien massiv ausbauen und haben den Zeitplan zum kompletten | |
Ausstieg aus der Kohlenutzung beschlossen. | |
Die Aktivist:innen sagen: Mit der Erschließung der Kohle unter | |
Lützerath verrät die Politik ihre Klimaziele. | |
Dieser Vorwurf trifft nicht zu. Es ist genau umgekehrt: Wir machen Politik, | |
damit wir unsere Klimaziele erreichen. Als viertgrößte Volkswirtschaft der | |
Welt ist es unsere Aufgabe zu zeigen, dass Wohlstand auch in einer | |
CO2-neutralen Welt möglich ist. Mit unseren Beschlüssen stellen wir sicher, | |
dass wir die Klimaziele erreichen können und gleichzeitig den Wohlstand in | |
unserem Land bewahren – anders wird es nicht funktionieren. | |
Ist der Protest gegen die Räumung produktiv – oder halten Sie ihn für | |
überflüssig? | |
Wie gesagt, auch ich habe früher häufiger demonstriert. Allerdings gibt es | |
für mich eine Grenze, die genau da verläuft, wo Protest gewalttätig wird. | |
Mit Blick auf Lützerath: Fünf andere Dörfer in der Nachbarschaft bleiben, | |
anders als ursprünglich geplant, erhalten – das ist eine gute Nachricht. | |
Vielleicht sollte sich der Protest eher dagegen richten, dass es sechs | |
Jahre braucht, bis eine Windkraftanlage genehmigt wird. Wenn wir die | |
Energiewende schaffen wollen, brauchen wir mehr Tempo. | |
Solche Demonstrationen wünschen Sie sich? | |
Ja. | |
Deutschland hat im vergangenen Jahr 761 Millionen Tonnen CO2 in die | |
Atmosphäre geblasen – so viel wie im Jahr zuvor. Wenn man die Kohle in | |
Lützerath verfeuert, kommen noch mal 280 Millionen Tonnen dazu. | |
Das ist kein ganz redliches Argument. Denn der russische Überfall auf die | |
Ukraine und seine Folgen sind die Ursache dafür. Um den Ausfall der | |
Gaslieferungen aus Russland auszugleichen, haben wir uns entschieden, 20 | |
Kohlekraftwerke zu reaktivieren, um in dieser akuten Krise die | |
Energieversorgung sicherzustellen. | |
Nachvollziehbar. Dennoch war 2022 kein gutes Jahr für den Klimaschutz. Wird | |
2023 auch ein verlorenes Jahr? | |
Wir haben 2022 auf die akute Energiekrise reagiert und gleichzeitig die | |
Weichen gestellt für mehr Klimaschutz. Wir haben gewonnen, nicht verloren. | |
Es ist das unbedingte Ziel meiner Regierung, dafür zu sorgen, dass wir bis | |
2045 klimaneutral werden. Das heißt, wir müssen bis 2030 rund 80 Prozent | |
des Stroms aus Erneuerbaren gewinnen – bei gleichzeitig stark wachsender | |
Stromerzeugung. Denn wir müssen die Industrie von Kohle, Öl und Gas auf | |
Strom und Wasserstoff umstellen. Gleichzeitig müssen Mobilität und Heizen | |
klimaneutral werden. Wir stehen vor der größten industriellen | |
Modernisierung in Deutschland seit Ende des 19. Jahrhunderts – diese | |
Aufgabe sollte niemand unterschätzen. | |
Von 761 Millionen auf null Tonnen in 22 Jahren – klappt das? | |
Davon bin ich überzeugt. Ich weiß aus vielen Gesprächen mit der Wirtschaft, | |
dass deren Vertreterinnen und Vertreter ebenfalls davon überzeugt sind. | |
Allerdings müssen wir jetzt die Voraussetzung dafür schaffen. Das Ziel muss | |
sein, bald jeden Tag drei bis vier große Windkraftanlagen in Deutschland | |
aufzustellen. Wir haben bereits viele Gesetze geändert, um den Bau von | |
Windkraft- und Solaranlagen sowie den Ausbau der Netze zu beschleunigen. | |
Gleichzeitig weihen Sie am Samstag ein LNG-Terminal in Lubmin ein – für | |
fossile Energie. Ist das kein Verrat der Klimaziele? | |
Im Gegenteil, wir achten darauf, dass die LNG-Terminals künftig auch für | |
Wasserstoff genutzt werden können. Denn in absehbarer Zeit werden wir | |
fossiles Erdgas durch sauberen Wasserstoff ersetzen, der mit Windkraft oder | |
Solarenergie hergestellt wird. Die dafür nötige Infrastruktur für den | |
Import von Wasserstoff entsteht durch diese Investitionen nun früher. | |
Kritiker:innen sagen, diese LNG-Terminals sind überdimensioniert, die | |
Lieferverträge sind zu langfristig und können den Wasserstoffausbau | |
behindern. | |
Der Vorwurf trifft nicht zu, denn er unterschlägt, dass wir bis 2030 die | |
Strommenge, die wir für Deutschland benötigen, um ein Drittel erhöhen | |
müssen. Und zehn Jahre später muss sie sich noch einmal verdoppeln. All das | |
ist nötig, damit Deutschland in 22 Jahren zum klimaneutralen Industrieland | |
wird – die Wirtschaft muss dafür Milliardensummen investieren. Deshalb | |
brauchen die Unternehmen die Gewissheit, dass sie jetzt mit dem nötigen | |
Erdgas versorgt werden, um ihre Produktion sicherzustellen. Und sie damit | |
planen können, dass künftig Wasserstoff und Strom zu bezahlbaren Preisen | |
zur Verfügung steht. | |
Das postfossile Deutschland wird zwei Drittel der Wasserstoffenergie | |
importieren. Es gibt schon jetzt etwa in Chile Widerstand gegen | |
industrielle Wasserstoffproduktion, die enorme Mengen Wasser verbraucht. | |
Wird die schöne neue Ökowelt neokolonial? Ausbeutung dort, Reichtum hier? | |
So würde es nicht gehen, das ist doch klar. Viele Länder wollen bei sich | |
Wohlstand schaffen, indem sie Wasserstoff herstellen und exportieren. Und | |
Deutschland ist ein beliebter Handelspartner, weil wir auf | |
umweltfreundliche Standards und faire Arbeitsbedingungen achten. | |
Es braucht also kein Gesetz, das verhindert, dass dreckig produzierter | |
Wasserstoff nach Deutschland importiert wird? | |
Wir haben ein gutes Lieferkettengesetz, das seit Jahresbeginn voll wirkt. | |
Es nimmt die Produzenten in die Pflicht, sich an Umweltschutz- und | |
Menschenrechtsstandards zu halten. | |
Werden die Atomkraftwerke im Frühjahr abgeschaltet? | |
Ja, definitiv. | |
Die FDP macht die Diskussion wieder auf. Nur heiße Luft? | |
Zur demokratischen Debatte gehören unterschiedliche Meinungen. Die | |
Gesetzeslage ist eindeutig – das gilt. | |
Energiesparen ist ein großes Thema. Hier im Kanzleramt ist es ja relativ | |
warm … | |
19 Grad. | |
Okay, es wird also Energie gespart. Wie ist es bei Ihnen zu Hause in | |
Potsdam? Drehen Sie die Heizung runter? | |
Zu Hause beherzigen wir natürlich die Energiesparvorschläge der | |
Bundesregierung. Die milden Temperaturen derzeit machen das etwas leichter. | |
Wissen Sie, wie hoch aktuell Ihre Energiekosten sind? | |
Nein. Als Mieter erhalte ich die Abrechnung der Nebenkosten erst in ein | |
paar Monaten. | |
Menschen, die Bürgergeld bekommen, müssen ihre hohen Stromkosten selbst | |
bezahlen. Muss das Bürgergeld erhöht werden? | |
Zum Jahresbeginn haben wir die Regelsätze für die Bezieherinnen und | |
Bezieher von Bürgergeld gerade um 53 Euro angehoben – die höchste | |
Steigerung seit Jahren. Gleichzeitig haben wir die Preisbremsen für Wärme | |
und Strom eingeführt, damit alle mit dieser schwierigen Situation | |
zurechtkommen können. | |
Sozialverbände fordern, Stromsperren generell zu verbieten. Einverstanden? | |
Es muss in dieser Lage einen angemessenen Umgang mit Stromsperren geben, | |
etwa indem Rechnungen gestundet werden. Das hat die Bundesregierung den | |
Netzbetreibern vorgeschrieben. | |
Wieso kein Verbot von Stromsperren wie in der Coronazeit? In Frankreich | |
gibt es das auch. | |
Die Bundesregierung hat massive Anstrengungen unternommen, um gerade jenen | |
zu helfen, die sehr wenig Geld haben: indem wir etwa das Wohngeld für | |
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit geringen Einkommen massiv angehoben | |
und das Kindergeld auf 250 Euro erhöht haben und auch den Kinderzuschlag. | |
Wir haben Sozialversicherungsbeiträge für Niedrigverdiener gesenkt. Für | |
jemanden, der um die 1.200 Euro verdient, ist das eine Ersparnis von 50 | |
Euro pro Monat. Und von der Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro | |
profitieren sechs Millionen Beschäftigte. Die taz könnte auch titeln: | |
Größte Einkommensverbesserung für Niedrigverdiener seit Jahrzehnten! | |
Ach, das sollen wir schreiben? | |
Das könnten Sie schreiben. | |
Wird es weitere staatliche Entlastungen geben? | |
Wir haben in den vergangenen Monaten insgesamt 300 Milliarden Euro zur | |
Verfügung gestellt, um Entlastung zu schaffen. Jetzt gucken wir, wie es | |
wirkt. | |
Als Sie noch in Hamburg lebten, kursierte unter Ihren Genoss:innen der | |
Satz: „Fahr nie mit Olaf!“ Weil Sie so gerne schnell Auto fahren. Gibt es | |
deshalb kein Tempolimit auf deutschen Autobahnen? | |
(lacht) Als ich noch selbst Auto gefahren bin, bin ich gerne schnell | |
gefahren. Das will ich nicht leugnen. Allerdings: Schon in der Zeit als | |
Bürgermeister war ich sehr viel im Dienstwagen unterwegs und wurde | |
gefahren. Und als Bundeskanzler fahr ich gar nicht mehr selbst. | |
Vermissen Sie das? | |
Ich bin gerne Auto gefahren. | |
Was halten Sie als jemand, der gern schnell fährt, vom Tempolimit? | |
Im SPD-Programm zur Bundestageswahl, das mit meiner Stimme beschlossen | |
wurde, stand die Forderung nach Tempo 130 auf Autobahnen. Bei Bildung der | |
Regierung haben wir darüber in der Koalition aber keine Verständigung | |
erzielen können. | |
Im Verkehrssektor wird bislang kaum CO2 eingespart. FDP-Verkehrsminister | |
Volker Wissing betreibt quasi Arbeitsverweigerung. Können Sie da als | |
Regierungschef einfach zusehen? | |
Der Vorwurf wird ihm nicht gerecht. Ich glaube, dass er eine sehr | |
sorgfältige und intensive Arbeit leistet als Verkehrsminister und sich an | |
die Probleme macht, die jahrelang liegen geblieben sind. Manches dauert | |
eben. | |
Ach ja? | |
Ja, das weiß ich aus eigener leidvoller Erfahrung. Kaum war ich in Hamburg | |
Bürgermeister, haben wir 2011 beschlossen, die U-Bahn-Linie durch die | |
Hafencity um eine Haltestelle bis zu den Elbbrücken zu verlängern. Die | |
Strecke wurde 2019 eingeweiht, da war ich schon nicht mehr Bürgermeister. | |
Und ich habe dafür gekämpft, eine neue U-Bahn-Linie quer durch Hamburg zu | |
bauen. Sie wird wohl Mitte der dreißiger Jahre fertig. | |
Das sind ja beunruhigende Aussichten für Deutschland. | |
Absolut. Deshalb sagen wir ja: Wir müssen alle Infrastrukturprojekte | |
beschleunigen, gerade wenn es um den Schienenverkehr geht. Und wir müssen | |
die Elektrifizierung des Verkehrs vorantreiben. Der Ausbau der | |
Ladeinfrastruktur muss viel schneller vorangehen. All das ist nötig, damit | |
wir eine klimaneutrale Mobilität erreichen. | |
Wir haben 48,5 Millionen zugelassene Pkws in Deutschland. Müssen es weniger | |
werden? | |
Ich halte nichts davon, das staatlich zu verordnen. Die Bürgerinnen und | |
Bürger müssen selbst entscheiden, wie sie sich fortbewegen wollen. Es geht | |
darum, gute Angebote zu machen, damit mehr Leute das eigene Auto stehen | |
lassen oder ganz darauf verzichten. | |
Fahren Sie Fahrrad? | |
Mitunter. | |
Auch in Berlin? | |
Als ich Finanzminister war, habe ich mich ein paarmal mit dem Rad aus | |
Potsdam zum Ministerium aufgemacht. Ich habe auch vor, das zu wiederholen – | |
zum Kanzleramt. Aber überwiegend werde ich natürlich im Auto gefahren. | |
Sie sagen, Bürger:innen sollen selber entscheiden. Aber müssen wir nicht | |
auch über Verzicht sprechen? | |
Ich bin kein Anhänger der Verzichtserzählung. Ich bin überzeugt, dass wir | |
es mit technologischer Modernisierung schaffen werden, CO2-neutral zu | |
wirtschaften, das Klima und unsere Ressourcen zu schonen und unseren | |
Wohlstand zu erhalten. Diese große Ingenieurinnen- und Ingenieursleistung | |
muss Deutschland zustande bringen. | |
Wenn wir den Klimawandel und die ökologischen Herausforderungen ernst | |
nehmen, können wir wirklich in 20 Jahren genauso viel Fleisch essen, Auto | |
fahren und fliegen wie heute? | |
Lassen Sie uns kurz den Blick weiten: Wir leben in einer Welt, die um das | |
Jahr 2050 wohl etwa zehn Milliarden Einwohnerinnen und Einwohner haben | |
wird. Und sie werden alle den Lebensstandard und den Wohlstand haben | |
wollen, den wir in den Industrieländern seit Langem genießen. Da wird es | |
nicht funktionieren, dass wir ihnen als Urenkel der einstigen | |
Kolonialherren, die die Industrialisierung mit einer unglaublichen | |
imperialistischen Unterdrückung des Restes der Welt vorangetrieben haben, | |
dann vorrechnen, das sei zwar ein schöner Traum, aber für sie nie | |
erreichbar. | |
Wir meinten keine andere Gesellschaft, sondern unsere. Wie reduzieren wir | |
unseren ökologischen Fußabdruck? | |
Wir werden dieses Ziel nicht mit Verzicht oder Verboten erreichen, sondern | |
dadurch, dass wir weniger Ressourcen verbrauchen, sorgsamer mit unseren | |
Rohstoffen umgehen und unsere Industrie so modernisieren, dass sie das | |
Klima nicht schädigt. | |
Wirtschaftswachstum ohne mehr Ressourcenverbrauch hat noch nie | |
funktioniert. | |
Doch, denken Sie beispielsweise an das Auto, da hat es über die Jahre große | |
Effizienzgewinne gegeben, die allerdings oft dadurch zunichtegemacht | |
wurden, dass die Autos größer und schneller wurden. Nun geht es darum, die | |
Mobilität zu elektrifizieren und eine klimafreundliche Landwirtschaft zu | |
entwickeln und umweltfreundlichere Heizungen. Bei der industriellen | |
Produktion müssen wir noch stärker auf Recycling setzen, um die Ressourcen | |
zu schonen. Darum muss es gehen – und nicht um ein asketisches Leben. | |
Geht es wirklich ohne Verzicht? Fleisch zu produzieren ist unökologisch und | |
klimaschädlich. | |
Lassen Sie es mich so sagen: Ich bin kein Anhänger der Volkserziehung. | |
Politik soll den Leuten nicht vorschreiben, wie viel Fleisch sie essen. | |
Aber in fast jedem Ernährungstipp ist zu lesen: Weniger Fleisch zu essen | |
ist gut für die Gesundheit. | |
Worauf könnten Sie am ehesten verzichten? | |
Ich habe einen so durchgeplanten Alltag, dass ich mir diese Frage gern | |
stellen würde. | |
Denken Sie nie: Ich sollte weniger Fleisch essen“? | |
Doch. | |
Hat das Konsequenzen? | |
Immer mal wieder. | |
Sie haben als Hamburger Bürgermeister nie einen Senator oder eine Senatorin | |
gefeuert. Wird Verteidigungsministerin Christine Lambrecht das erste | |
Kabinettsmitglied, das Sie vor die Tür setzen? | |
Aus meiner Hamburger Zeit können Sie erkennen, wie ich mit denen umgehe, | |
mit denen ich zusammenarbeite. Da können sich alle auf mich verlassen. | |
Ist Lambrecht eine gute Verteidigungsministerin? | |
Ich arbeite mit allen Mitgliedern des Bundeskabinetts sehr eng und | |
vertrauensvoll zusammen. | |
Am 20. Januar treffen sich die Nato-Verteidigungsminister:innen wieder in | |
Ramstein. Polen will Kyjiw nun auch Kampfpanzer liefern. Was tut | |
Deutschland? | |
Deutschland unterstützt die Ukraine finanziell, politisch, humanitär und | |
auch mit Waffen. Wir liefern besonders wirksame Waffen: die Panzerhaubitze. | |
Die Mehrfachraketenwerfer, die außer uns nur Großbritannien und die USA zur | |
Verfügung stellen. Wir unterstützen die Luftverteidigung der Ukraine aktiv | |
mit dem Flakpanzer Gepard, mit dem System Iris-T und demnächst mit | |
Patriot-Abwehrraketen. Und wir folgen einer klaren Linie: die Ukraine nach | |
Kräften zu unterstützen. Verhindern, dass es zu einem direkten Konflikt | |
zwischen Nato und Russland kommt. Und keine nationalen Alleingänge, sondern | |
enge Koordinierung mit unseren Freunden und Verbündeten, allen voran mit | |
den USA. Die USA wollen nun den Schützenpanzer Bradley liefern, Deutschland | |
liefert Schützenpanzer vom Typ Marder. | |
Kommt der Leopard-Panzer hinzu? | |
Wie erwähnt, treffen wir klug abgewogene und international eng koordinierte | |
Entscheidungen. Vor wenigen Tagen haben wir beschlossen, 40 Schützenpanzer | |
und ein Patriot-System zu liefern. | |
Und Kampfpanzer? | |
Die vergangenen elf Monate haben gezeigt, dass es klug ist, sich nicht | |
durch aufgeregte tägliche, ja manchmal stündliche Forderungen kirre machen | |
zu lassen. Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger findet das abgewogene | |
Vorgehen der Regierung bei Waffenlieferungen richtig. Ich weiß, dass viele | |
sich große Sorgen machen und hoffen, dass der Kanzler und seine Regierung | |
die Nerven behalten. Was mich bedrückt: In der medialen Berichterstattung | |
spiegelt sich das kaum wider, da scheint es ständig nur darum zu gehen, was | |
als Nächstes geliefert werden kann. Diese Verengung der politischen Debatte | |
ist problematisch. | |
Nerven behalten, heißt das – keine Kampfpanzer liefern, damit Deutschland | |
keine Kriegspartei wird? | |
Die Nato ist nicht Kriegspartei und wir sind es auch nicht, und dabei muss | |
es bleiben. Ich bin manchmal überrascht, wie leichtfertig mitunter | |
diskutiert wird. In einer weltpolitisch so gefährlichen Situation muss man | |
immer die Konsequenzen des eigenen Handelns im Blick behalten und sehr | |
sorgsam abwägen. Es gibt da keine absolute Wahrheit. Führungsstärke | |
bedeutet nicht, auf der Barrikade zu stehen und „Auf in den Kampf“ zu | |
rufen. Führungsstärke bedeutet in dieser Situation, die eine Gefahr für den | |
Frieden auf der ganzen Welt darstellt, die Nerven zu haben, das Richtige zu | |
tun. | |
Fürchten Sie noch immer den Einsatz von russischen Atomwaffen? | |
Atomwaffen dürfen nicht eingesetzt werden. Das ist eine zynische | |
Diskussion, an der ich mich nicht beteilige. | |
Putin hat mehrmals mit dem Einsatz gedroht … | |
Ein Ergebnis meiner Peking-Reise im November war, den chinesischen | |
Präsidenten dafür zu gewinnen, deutlich zu machen, dass es nicht zu einem | |
Einsatz von Atomwaffen kommen darf. Das war die Grundlage dafür, dass wir | |
uns auf dem G20-Gipfel auf Bali international auf eine ähnliche Erklärung | |
verständigen konnten. | |
Hat Putin das beeindruckt? | |
Seitdem sind zumindest die Drohungen aus Moskau leiser geworden. Die | |
Entschiedenheit, mit der auch Chinas Führung einen Atomwaffeneinsatz im | |
Ukrainekrieg ablehnt, ist unübersehbar. Beim G20-Gipfel haben viele Länder | |
aus Asien, Afrika und Südamerika die Resolution unterstützt. Es hat sich | |
ausgezahlt, dass wir zum G7-Gipfel in Elmau auch Indien, Indonesien, | |
Südafrika, Senegal und Argentinien eingeladen haben. Das war ein Zeichen | |
der Kooperation, das es von den G7 vorher so nicht gab. | |
Gibt es weitere diplomatische Offensiven? | |
Ich werde nach Lateinamerika, nach Afrika reisen und die Beziehungen zu | |
Indien und Indonesien weiter vertiefen. Meine Einschätzung ist: Die Welt | |
wird sich nicht wieder bipolar aufteilen mit den Zentren USA und China, | |
sondern multipolar entwickeln. Die aufstrebenden Nationen Asiens, die | |
großen Länder Südamerikas und Afrikas werden an Bedeutung gewinnen. Und uns | |
als Westen bleiben jetzt noch 20, vielleicht 30 Jahre Zeit, um zu diesen | |
Ländern gute, partnerschaftliche Verhältnisse aufzubauen. | |
Welches Buch lesen Sie eigentlich gerade? | |
Über die Weihnachtsfeiertage habe ich Lukas Bärfuss’ „Vaters Kiste“ | |
gelesen. Ein kleines, tolles Buch. Und Kim de l’Horizons „Blutbuch“. | |
Mochten Sie es? | |
Es hat den Deutschen Buchpreis zu Recht bekommen. Und ich habe Mohamed | |
Mbougar Sarrs „Die geheimste Erinnerung der Menschen“ gelesen. Ein | |
großartiges Buch. | |
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Bundeskanzler. Oder ist Ihnen „Herr | |
Scholz“ lieber? | |
Ob Olaf, Herr Scholz oder Herr Bundeskanzler, ist mir ziemlich schnurz. | |
13 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Luetzerath/!t5896252 | |
## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
Anna Lehmann | |
Stefan Reinecke | |
## TAGS | |
Bundeskanzler | |
Lützerath | |
Olaf Scholz | |
Klima | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
GNS | |
Auto | |
IG | |
Hannover Messe | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Robert Habeck | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Politikerinnen | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Polizei NRW | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Weltwirtschaftsforum | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Christine Lambrecht | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Porträt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Proteste bei Hannover Messe: Gefährliche Goldprojekte | |
Die Bundesregierung sucht Rohstoffpartnernschaften. Doch die bergen Risiken | |
für Mensch und Umwelt – wie das Beispiel Indonesien zeigt. | |
Olaf Scholz auf der „Republica“: Dem Kanzler lieb und teuer | |
Die TV-Moderatorin Linda Zervakis versuchte erfolglos, eine | |
taz-Veröffentlichung zu verhindern. Nun ist klar, wie viel Geld sie vom | |
Kanzleramt bekam. | |
Robert Habeck über Klimapolitik und Krieg: „Lassen wir das Rumnölen!“ | |
Die Räumung von Lützerath sei richtig gewesen. Warum er der Klimabewegung | |
trotzdem dankbar ist, sagt Vizekanzler Robert Habeck im taz-Gespräch. | |
Linda Zervakis auf der Republica: Im Dienste ihres Kanzlers | |
Olaf Scholz trat 2022 auf der „Republica“ auf. Eine taz-Recherche zeigt: | |
Die vermeintlich unabhängige Interviewerin hatte er selbst engagiert. | |
Neuausrichtung der Außenpolitik: SPD sucht Antworten | |
Die SPD galt lange als russlandfreundlich und rüstungskritisch. Durch den | |
Krieg in der Ukraine muss sie ihre Grundsätze ändern. Nun gibt es ein | |
erstes Konzept. | |
Debatte um Leopard-2-Panzer: Scholz laviert bei Panzerfrage | |
Gibt Deutschland die Leos frei? Der Kanzler schweigt noch – und erntet | |
dafür Kritik aus der eigenen Koalition und international. | |
Die Wahrheit: Beworfen und ausgelacht | |
Nächster Schritt Traumabewältigung: So schlimm war die Räumung in | |
Lützerath. Ein Betroffener berichtet. | |
Geberkonferenz in Ramstein: Ukraine aufrüsten, Russland bremsen | |
Auf dem Ukraine-Gipfel in Ramstein wollen Kyjiws westliche Verbündete ihre | |
Hilfe deutlich ausweiten, bevor Russland den Krieg erneut eskaliert. | |
Weltwirtschaftsforum in Davos: Scholz schweigt zu Panzern | |
Kanzler Scholz kündigt auf dem Weltwirtschaftsform keine Panzerlieferungen | |
an die Ukraine an. Stattdessen wirbt er für den Industriestandort | |
Deutschland. | |
Energieverbrauch senken: Effizienzgesetz steckt fest | |
Bei seinem AKW-Machtwort hatte der Bundeskanzler ein Gesetz für einen | |
geringeren Energieverbrauch angekündigt. Aber es kommt einfach nicht. | |
Verteidigungsministerin will hinwerfen: Rücktritt auf Raten | |
Sie ist umstritten und angezählt: Nun gibt es Hinweise, dass | |
Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) ihr Amt bald | |
niederlegen will. | |
Waffenlieferungen an die Ukraine: Scholz' Drama um den Leo | |
Bekommt die Ukraine den Leopard-2-Kampfpanzer? Nun sind die westlichen | |
Verbündeten am Zug, wobei Berlin eine Schlüsselrolle spielt. | |
Russischer Angriffskrieg: Panzer für die Ukraine | |
Nun wird aufgerüstet: Deutschland, die USA und Frankreich liefern mehr | |
Kriegsgerät in die Ukraine. Wie das den Krieg verändern könnte. | |
Biografie über Olaf Scholz: Mund abputzen, weitermachen | |
„Zeit“-Journalist Mark Schieritz hat ein freundliches Porträt über Kanzler | |
Olaf Scholz geschrieben. Bei entscheidenden Fragen muss auch er passen. |