Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Linda Zervakis auf der Republica: Im Dienste ihres Kanzlers
> Olaf Scholz trat 2022 auf der „Republica“ auf. Eine taz-Recherche zeigt:
> Die vermeintlich unabhängige Interviewerin hatte er selbst engagiert.
Bild: Moderatorin Zervakis befragt Olaf Scholz: Der Auftrag kam aus dem Kanzler…
Berlin taz | Die Aufmerksamkeit ist groß, als Olaf Scholz im Juni 2022 auf
der Republica zu Gast ist. Er war zwar schon mal hier, als Erster
Bürgermeister von Hamburg und Finanzminister, aber jetzt ist er
Bundeskanzler und will über „Digitalpolitik in der Zeitenwende“ sprechen.
Angela Merkel hatte sich trotz mehrfacher Einladung nie hingetraut zur nach
eigenen Angaben größten Digitalkonferenz Europas.
Scholz spricht erst mal lange [1][über den Krieg in der Ukraine und dann
über das Internet als „progressiver, demokratisierender Raum“.] Danach
befragt ihn die Moderatorin Linda Zervakis. „Fangen wir mit einem lockeren
Warm-up an!“ Die beiden sitzen auf schwarzen Ledersesseln, vor ihnen eine
Plastikkiste als Tisch.
Zervakis ist eine der bekanntesten Journalistinnen in Deutschland, lange
war sie das Gesicht der „Tagesschau“, seit 2021 arbeitet sie bei Pro7 vor
der Kamera. Im Mai 2021 interviewte sie zusammen mit einem Kollegen Olaf
Scholz in einer 45-minütigen Sondersendung. Direkt vor der Bundestagswahl
traf sie beim dritten TV-Triell noch einmal auf ihn. Wenn sich nun Menschen
Gedanken über mögliche Nachfolger:innen von Anne Will am Sonntagabend
machen, fällt auch ihr Name. Auf der Republica sagt Zervakis nun: „Wir
versuchen hier ja auch gute Stimmung zu verbreiten.“
Das Medienecho nach dem Auftritt des Bundeskanzlers ist ziemlich kritisch.
Die Wirtschaftswoche etwa [2][bezeichnet Scholz’ Worte als „inhaltsleer“].
Und ein Autor vom RND [3][stellt fest]: „Beim anschließenden Gespräch mit
Moderatorin Linda Zervakis wurde Scholz eher geschont.“
Was nicht in den Texten steht, aber eine Erklärung für das zahme Gespräch
sein könnte: Scholz hat sich die Interviewerin selbst mitgebracht. Wie
taz-Recherchen ergeben, wurde Moderatorin Zervakis vom Kanzleramt
ausgesucht und engagiert, nicht vom Veranstalter. Kommuniziert wurde das
nicht. Es sollte aussehen wie ein Gespräch mit einer unabhängigen
Moderatorin.
## Angst vor Peinlichkeiten
Die Geschichte von Scholz’ Auftritt auf der Republica gibt einen bislang
unbekannten Einblick, wie der Bundeskanzler sein Bild in der Öffentlichkeit
kontrollieren will. Dabei sieht keiner der Beteiligten gut aus. Der Kanzler
nicht, weil er oder seine Leute offenbar Angst vor kritischen Fragen haben.
Die Republica nicht, weil ihr der Bundeskanzler als Gast wichtiger zu sein
scheint als ein kontroverses Gespräch. Und auch die Moderatorin nicht, weil
sie ihre Rolle als unabhängige Journalistin verlässt.
Anhand von internen Unterlagen aus dem Kanzleramt, die die taz mit Hilfe
des [4][Informationsfreiheitsgesetzes] erlangt hat, und Gesprächen mit
Insidern lässt sich die PR-Aktion nachzeichnen. Zu einem zentralen Aspekt
schweigen das Bundespresseamt, Zervakis und ihr Sender aber eisern: dem
Geld.
Im Dezember 2021 schickt Organisator Markus Beckedahl einen Brief an Olaf
Scholz: Ob er auf der Republica eine Keynote halten wolle zum „Stand der
Digitalisierung in Deutschland“. Man sei auch offen für weitere Formats-
oder Themenvorschläge.
Im Kanzleramt diskutieren sie die Anfrage und sehen darin eine Chance.
Scholz könne auf „dieser gut besuchten und anerkannten Konferenz“
digitalpolitische Ziele der Bundesregierung präsentieren, so formuliert es
Mitte Februar die Leiterin des Referats „Grundsatzfragen der
Digitalpolitik“. Allerdings wären die Erwartungen an den Auftritt sehr
hoch.
Die Referatsleiterin, die sich selbst „Nerd-in-Chief at Bundeskanzleramt“
nennt, macht sich Sorgen, dass der Auftritt nach hinten losgehen könnte:
„Außerdem könnten ggf. unscharfe Formulierungen schnell viral gehen und die
Digitalpolitik der gesamte LP (Legislaturperiode, Anm. der Red.)
unbeabsichtigt prägen.“ Sie verweist auf das geflügelte Zitat von Angela
Merkel: „Das Internet ist für uns alle Neuland.“ Daher würden sie sich das
Format – Keynote oder moderiertes Gespräch – gerne offen halten. Am Ende
entscheidet sich das Kanzleramt für eine Mischung aus beidem.
## Keine Antworten auf zentrale Fragen
Es ist erstmal nicht ungewöhnlich, dass vor Veranstaltungen oder Interviews
der Rahmen abgesteckt wird. In diesem Fall geht das aber weit über das
Übliche hinaus.
Nach taz-Recherchen war die Bedingung für das Gespräch, dass das Kanzleramt
entscheidet, wer Scholz befragt. Und das wurde ziemlich kurzfristig
mitgeteilt. Im Organisationsteam der Republica wurde die Sache kontrovers
diskutiert: Soll man sich wirklich darauf einlassen, dass der Gast selbst
die Moderatorin aussucht und mitbringt? Aber man wollte nicht auf den
Kanzlerbesuch verzichten, Scholz schafft Aufmerksamkeit, er ist der erste
Bundeskanzler, der die Konferenz besucht. Auf taz-Anfrage schreibt die
Sprecherin der Republica: „Eine Ausladung hätte vieles überlagert, auf das
wir lange hingearbeitet haben. Wir wollten lieber inhaltliche Schwerpunkte
mit vielen anderen Gästen setzen.“
Am 19. Mai 2022 fragt die zuständige Referentin im Bundeskanzleramt bei
Zervakis’ Management an, ob sie das Gespräch auf der Republica moderieren
wolle. „Die inhaltliche Vorbereitung mit Ihnen würden wir natürlich eng
begleiten“, heißt es in der Mail. Zervakis hat Interesse, ihr Management
schickt ein „Angebot“, das Kanzleramt sagt zu. Unklar ist, was Zervakis für
die Moderation bekommen hat. Kann Linda Zervakis eine vom Kanzleramt
bezahlte Moderation mit ihrer journalistischen Unabhängigkeit vereinbaren
und beim nächsten Mal wieder den Kanzler im TV interviewen, als sei nichts
gewesen? Und wieso wurde die Sache nicht zumindest transparent
kommuniziert?
Zervakis will nicht mit der taz sprechen. Ihr Manager beantwortet die
meisten Fragen nicht. Zervakis habe für die Moderation kein Honorar
erhalten, schreibt er. Das Bundeskanzleramt habe „lediglich die Frau
Zervakis im Zusammenhang mit der Teilnahme entstehenden Kosten erstattet“.
Was für Kosten das in welcher Höhe waren, will er nicht sagen. Auch ein
Pro7-Sprecher ist kurz angebunden: Linda Zervakis habe das Gespräch auf der
Republica ohne Honorar geführt, schreibt er. „Ein solches Interview ist mit
unseren journalistischen Werten sehr gut zu vereinbaren.“ Weitere Fragen,
unter anderem zur fehlenden Transparenz, ignoriert er.
Was für Kosten sollen das gewesen sein? Zervakis' Reisekosten hat nämlich
ihr Sender Pro7 erstattet, wie ihr Anwalt mitteilt. Zervakis’ Management
hat der Herausgabe ihres Angebots und der anschließenden Rechnung an das
Kanzleramt nicht zugestimmt. Das ist gemäß Informationsfreiheitsgesetz
möglich, wenn Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse berührt sind. Im konkreten
Fall enthalten laut Bundeskanzleramt die Dokumente „vollständig
Informationen, die Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit des
Unternehmens haben könnten, wenn diese öffentlich bekannt werden“.
## „Nur Positives über das Gespräch gehört“
Aber welche Geheimnisse sollte es geben, wenn Zervakis nur übliche Kosten
erstattet wurden? Es drängt sich bei all der Geheimniskrämerei der Verdacht
auf, dass hier die Bezahlung der Moderatorin vom Bundeskanzleramt als Teil
einer großzügigen „Kostenpauschale“ getarnt worden sein könnte.
Das Bundespresseamt beantwortete eine taz-Anfrage von Mittwochvormittag
bislang nicht. So bleibt unklar, welche Gelder vom Kanzleramt an Zervakis
flossen. Es gibt auch keine Antwort auf die Frage, wie oft Zervakis von der
Bundesregierung für Termine gebucht wurde und welche anderen
Moderator:innen schon von der Regierung engagiert wurden, ohne dass
das kenntlich gemacht wurde.
Es ist nicht unüblich, dass Journalist:innen nebenher Veranstaltungen
moderieren. Seit Jahren wird das immer wieder kritisch hinterfragt,
insbesondere wenn es sich um öffentlich-rechtliche TV-Moderator:innen
handelt. Sie bekommen meist gutes Geld dafür, dass sie durch Firmenevents
oder Preisverleihungen führen, das sind schnell vier- bis fünfstellige
Beträge pro Tag. Zervakis etwa moderierte, als sie noch
Tagesschau-Sprecherin war, den Nationalen Integrationspreis und den
Gewerkschaftstag der IG Metall.
Nach dem Republica-Termin, im vergangenen November, führte sie durch die
Auftaktveranstaltung der Diskussionsreihe „Deutschland.Einwanderungsland“,
organisiert von der Bundesregierung, mit dabei: Bundeskanzler Olaf Scholz.
Zuletzt machte Schlagzeilen, dass Julia Stein vom NDR eine
[5][Podiumsdiskussion auf dem Bauerntag moderierte und gleichzeitig eine
Sendung verantwortete], in der über die Veranstaltung berichtet wurde. Ein
Interessenkonflikt – aber zumindest war ihre Rolle bei der
Podiumsdiskussion transparent.
Transparenz gab es bei der Republica nicht. Die Konferenz verschweigt zwar
nicht, dass sie mit allen möglichen Organisationen und Institutionen
kooperiert, darunter auch mehrere Bundesministerien. Auf die Kooperationen
wird bei einigen Sessions hingewiesen. Beim Gespräch mit dem Bundeskanzler
gab es einen solchen Hinweis im Programm nicht.
Zwei Wochen nach Scholz’ Auftritt auf der Republica schickt eine
Mitarbeiterin von Zervakis’ Management per E-Mail eine Rechnung an die
„Liebe Franziska“ im Bundeskanzleramt. „Ich habe bisher nur Positives üb…
das Gespräch gehört“, schreibt sie „und hoffe, das ist bei euch ebenfalls
der Fall gewesen“.
Gerade wird die nächste Ausgabe der Republica geplant, sie wird Anfang Juni
wieder in Berlin stattfinden. Das Motto: „Cash“. In der Ankündigung heißt
es: „Auf der re:publica 2023 möchten wir dem Strom des Geldes folgen.“
Ein Auftritt des Bundeskanzlers sei nicht geplant, heißt es vom
Veranstalter.
Transparenzhinweis: Der Autor hat 2019 einen [6][Vortrag auf der Republica]
gehalten. Er bekam dafür kein Geld, aber kostenlosen Eintritt.
Anmerkung der Redaktion, 7.2.2023: Linda Zervakis teilt nach
Veröffentlichung des Artikels mit, dass ihr Sender Prosieben ihre Anreise
zur Republica (mit dem ICE von München nach Berlin und zurück) bezahlt
habe. Am 7.2. schreibt uns die Republica-Sprecherin: „Wir hatten die
Übernahme der Reisekosten von Frau Zervakis auf Anfrage ihres Managements
zugesagt. Kurz vor der Veranstaltung wurden wir dann jedoch darüber
informiert, dass eine Übernahme der Reisekosten doch nicht notwendig sein
würde.“ Die ursprüngliche Darstellung der Republica haben wir im Text
korrigiert.
In welcher Höhe und wofür das Bundeskanzleramt eine Kostenpauschale an
Zervakis gezahlt hat, ist immer noch unklar. Weder das Bundeskanzleramt
noch Zervakis, die gegen diesen Text presserechtlich vorgeht, wollen diese
Frage beantworten. Die taz hat heute einen Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung auf Auskunfterteilung gegen das Bundeskanzleramt
angebracht.
Anmerkung der Redaktion, 21.2.2023:
Linda Zervakis geht nun nicht mehr presserechtlich gegen diesen Text vor.
Ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat sie am 17.02.2023
zurückgenommen. Zuvor hatte die zuständige Pressekammer des Landgerichts
Hamburg ihrem Anwalt mitgeteilt, dass bei vorläufiger Würdigung der Antrag
keinen Erfolg haben dürfte.
27 Jan 2023
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=WMkUZxtbF5Q
[2] https://www.wiwo.de/politik/deutschland/olaf-scholz-auf-der-re-publica-verl…
[3] https://www.rnd.de/politik/olaf-scholz-auf-der-republica-2022-die-digitalme…
[4] /Informationsfreiheitsgesetz/!t5011502
[5] /Fehlverhalten-beim-NDR-in-Kiel/!5896888
[6] https://19.re-publica.com/de/session/akte-hannibal-werkstattbericht
## AUTOREN
Sebastian Erb
## TAGS
Schwerpunkt Pressefreiheit
Presse
Olaf Scholz
Kanzleramt
Informationsfreiheitsgesetz
Journalismus
Pro7
re:publica
Digital
IG
GNS
Sebastian Kurz
PR
Schwerpunkt Pressefreiheit
Österreich
Bundeskanzler
Ampel-Koalition
Medienpolitik
## ARTIKEL ZUM THEMA
Sebastian Kurz und die Presse: Macht und Boulevard
Die Beziehung zwischen Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz und der
Boulevard-Presse ist zweifelhaft. Schon gibt es neue Anschuldigungen.
Von der Regierung bezahlte Journalisten: 11.000 Euro für eine Moderation
Das Bundeskanzleramt rechtfertigt eine hohe Zahlung an Linda Zervakis. Das
intransparente Vorgehen wurde nun auch im Bundestag kritisiert.
Olaf Scholz auf der „Republica“: Dem Kanzler lieb und teuer
Die TV-Moderatorin Linda Zervakis versuchte erfolglos, eine
taz-Veröffentlichung zu verhindern. Nun ist klar, wie viel Geld sie vom
Kanzleramt bekam.
Medienskandal in Österreich: Das Wunschkonzert verstummt
Schon wieder ein Korruptionsskandal: Der Direktor des
Niederösterreichischen ORF tritt ab, um einem Untersuchungsbericht
zuvorzukommen.
Bundeskanzler Olaf Scholz zu Lützerath: „Da verläuft für mich die Grenze“
Olaf Scholz verteidigt den Lützerath-Kompromiss und wünscht sich Proteste
für Windräder. Ein Gespräch über Kampfpanzer und den Spaß am schnellen
Fahren.
Ein Jahr Ampel-Kanzler: „Etwas lauter bitte, Olaf“
Auch nach einem Jahr im Amt bleibt Olaf Scholz für viele schwer greifbar.
Das öffentliche Urteil ist verhalten, Koalitionspartner aber sind
zufrieden.
Umstrittene Messe-Präsenz der ARD: Reizwort IFA
Bei der am Freitag beginnenden Messe IFA ist auch die ARD wieder dabei.
Nach dem RBB-Skandal ist das nicht unumstritten, denn der Auftritt kostet.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.